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Steillagen
Kapellenbergrunde in Kirchheim: Weit mehr als nur Weinbau

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Enthüllt (von links): Bürgermeister Uwe Seibold, Rainer Gessler vom VRS und Christian Sußner vom Landratsamt zeigen den Besuchern die neue Tafel. Fotos: Holm Wolschendorf
Enthüllt (von links): Bürgermeister Uwe Seibold, Rainer Gessler vom VRS und Christian Sußner vom Landratsamt zeigen den Besuchern die neue Tafel. Foto: Holm Wolschendorf
Die gestern offiziell eröffnete „Kapellenbergrunde“ in Kirchheim ist weit mehr als nur ein erlebnisreicher Wanderweg durch die Weinberge. Vielmehr soll den Ausflüglern bewusst werden, wie wichtig es ist, sich für die Kulturlandschaft Steillage einzusetzen. Die Kommune selbst geht hier mit gutem Beispiel voran.

Kirchheim. Auch wenn der Anlass gestern Vormittag ein schöner war, so wurden auch nachdenklich Töne angestimmt: „So schön und spektakulär die Landschaft ist, so zerbrechlich ist sie auch“, sagte Bürgermeister Uwe Seibold, als er die vielen Gäste auf einer kleinen Wiese entlang des Neckartalradwegs begrüßte. Der Erhalt der Steillagen hänge an dem berühmten seidenen Faden. Vielen Wengertern sei es nicht mehr möglich, von der mühseligen Bewirtschaftung der Steillagen zu leben. Und wo die Wirtschaftlichkeit fehlt, dauert es meist nicht mehr lange bis der Weinberg brach liegt.

Das ist allerdings kein reines Kirchheimer Problem, sondern betrifft viele Kommunen. Elf von ihnen haben sich vor einiger Zeit zum „Ile Regionalmanagement Neckarschleife“ zusammengeschlossen, um mit vereinten Kräften die einzigartige Kulturlandschaft so weit wie möglich zu erhalten. Eine dabei entstandene Idee waren die Steillagen-Rundwanderwege. Solche sind mittlerweile in Ingersheim und auch Mundelsheim eröffnet worden. In Kirchheim dauerte es pandemiebedingt etwas länger, bis die Wege ausgewiesen, verkehrssicher waren und die Beschilderung aufgestellt wurde. Doch das Warten hat sich gelohnt. Davon konnte sich gestern auch Regionalmanager Peter Wendl überzeugen; er hat die „Kapellenbergrunde“ konzipiert. Herausgekommen ist eine abwechslungsreiche, rund sechs Kilometer lange Tour, die zwar auch durch den Ortskern und entlang des Neckartalradwegs führt, aber eben vor allem durch die Steillagen. Das ist das Besondere an dem Rundwanderweg: Die Ausflügler sind nicht nur ober- und unterhalb der Weinberge unterwegs, sondern werden auch direkt hinein geführt. „So wird das unmittelbare Erlebnis der Steillagen möglich“, sagte Seibold.

Insgesamt 70000 Euro seien investiert worden, der Verband Region Stuttgart (VRS) übernahm 50 Prozent der Kosten. Seibold: „Nur gemeinsam ist es möglich, die Herausforderung – die Kulturlandschaft zu erhalten – zu stemmen.“ Der VRS wiederum war glücklich über das eingereichte Projekt, wie der stellvertretende VRS-Vorsitzende Rainer Gessler sagte: Die Region lebe von guten Vorschlägen wie diesem, die in der Summe eine grüne Infrastruktur bildeten. Und eben eine solche grüne Infrastruktur mache die Region, insbesondere den Landkreis auch für Touristen sehr interessant. Er sprach über die anstrengende Steillagenbewirtschaftung und meinte, es sei gut und recht, dass die Landschaft unterstützt werde. Und: „Kirchheim ist auf einem absolut guten Weg“, sagte er über den kommunalen Eigenbetrieb, der seit Anfang 2020 brachliegende Steillagen aufbereitet, bewirtschaftet und bereits die ersten Weine produziert. Die Kommune schließt mit Grundstückseigentümern kostenfreie Pachtverträge ab und kann zudem Flächen, die ihr bereits als Schenkung angeboten worden waren, als „bedingte Schenkung“ annehmen (wir berichteten mehrfach). „Wenn jemand nicht mehr kann, dann engagiert sich die Gemeinde weiter“, sagte Gessler. Das sei wichtig, sonst bestehe die Gefahr eines Dominoeffekts – liegt ein Weinberg brach, folgt bald darauf der nächste.

Wie schnell die Steillagen weniger werden können, verdeutlichte Dr. Christian Sußner vom Umwelt-Dezernat des Landratsamts Ludwigsburg. Zwar gebe es nirgendwo sonst in Deutschland so viele terrassierte Steillagen wie hier im Landkreis. Doch vor etwa fünf Jahren seien es noch 365 Hektar gewesen, jetzt eher 320 bis 330 Hektar. Deswegen sei es schön, dass es solche Projekte gebe, mit denen das Bewusstsein für die Steillagen geschaffen werden. „Es ist mehr als Weinbau: Es ist Ökologie mit seinem unglaublichen Artenreichtum, es ist auch Gegenstand des Tourismus und es ist eine wirtschaftliche Betätigung.“

Und die Steillagen sind auch beliebter Ort für Kultur – zumindest in Kirchheim. So hat gestern nicht nur Saxofonist Klaus Graf mit dem Dukes Jazzquartett den ganzen Tag für Musik gesorgt, sondern es wurde auch die Ausstellung von Brigitta Loch eröffnet. Die großen Bilder, die unter dem Motto „Mauerköpfe“ entlang des Neckartal-Radwegs in den Steillagen platziert sind, sollen die Betrachter zum Nachdenken anregen.