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Interview
„Kaum einer lebt freiwillig auf der Straße“

Heinrich Knodel hat sich für Menschen eingesetzt, die oft aufgrund persönlicher Krisen auf der Straße landen. Foto: privat
Heinrich Knodel hat sich für Menschen eingesetzt, die oft aufgrund persönlicher Krisen auf der Straße landen. Foto: privat
Wohnungslosigkeit hat viele Gründe und nicht immer offensichtliche. Die vielfältigen Fragestellungen und vor allem deren Lösungen sind der Lebensinhalt von Heinrich Knodel. Er ist Geschäftsführer der Wohnungslosenhilfe im Landkreis und hält demnächst im Besigheimer Wartesaal einen Vortrag. Unsere Zeitung sprach mit ihm über seine Arbeit.

Besigheim. Herr Knodel, wie sind Sie zur Wohnungslosenhilfe im Landkreis Ludwigsburg gekommen?

Heinrich Knodel: Eigentlich stamme ich aus Friedrichshafen und habe im Zuge meines Zivildiensts in Altshausen bei Ravensburg zum ersten Mal Kontakt mit der Arbeit mit Wohnungslosen gehabt. Seitdem beschäftigte mich das Thema. Es hat mich auch animiert, Sozialpädagogik zu studieren. Am 17. November 1983 habe ich schließlich meinen Dienst bei der Wohnungslosenhilfe in Ludwigsburg angetreten.

Wie war die Arbeit zu Beginn in den 80er Jahren?

Die Wohnungslosenhilfe wurde 1983 gegründet, ich war damals der erste hauptamtliche Mitarbeiter. Damals gab es noch viele Fälle der klassischen „Tippelbrüder“. Die sind herumgewandert und haben sich in den Kommunen täglich ihre fünf D-Mark abgeholt. Der Rest der Sozialhilfe waren dann Sachleistungen. 1987 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass auch Wohnungslosen die Sozialhilfe in voller Höhe in bar zusteht.

Wie hat sich die Lage in den vergangenen 40 Jahren gewandelt?

Der früher typische „Tippelbruder“ ist nahezu „ausgestorben“. Heute ist die Klientel vielschichtiger. Es sind jüngere Menschen, zu rund 20 Prozent auch Frauen, betroffen. Viele sehen äußerlich gepflegt aus, die erkennen Sie im Stadtbild nicht. Wer seine Wohnung in einem kleinen, ländlichen Ort verliert, wo man ihn gut kennt, sucht in der größeren Stadt die Anonymität.

Was sind die Gründe für den sozialen Abstieg und den Wohnungsverlust?

Der Klassiker sind Männer um die 45, die früher ein bürgerliches Leben gehabt haben. Durch Arbeitslosigkeit oder Sucht kommen sie in eine Abwärtsspirale. Viele wirft die Trennung von der Partnerin endgültig aus der Bahn. Zudem nehmen Männer in Krisen weniger schnell Hilfe an als Frauen. Bei jungen Menschen ist es oft so, dass sie nie wirklich Fuß gefasst haben. Abgebrochene Ausbildungen, psychische Krankheiten und Süchte herrschen hier vor.

Was setzt die Wohnungslosenhilfe dieser Misere entgegen?

In der Tagesstätte bieten wir Leuten, die auf der Straße leben, zumindest tagsüber einen Ort, wo sie sich aufhalten, sich waschen können, für 1,50 Euro eine Mahlzeit erhalten. In der Fachberatungsstelle helfen wir den Leuten zuallererst, ihre Sozialleistungen zu beantragen. Wir geben ihnen eine Postadresse, denn nur so erhalten sie Geld und Krankenversicherung.

Wie bringen Sie die Leute unter?

In unserem Aufnahmehaus für Männer haben wir 21 Plätze. Zudem gibt es in Ludwigsburg drei Appartements für Frauen. Hinzu kommen 55 eigene Wohnplätze. Eigentlich sollen die Leute dann eine eigene Wohnung finden, aber da macht uns die allgemeine Wohnungsnot schwer zu schaffen.

Außerdem sind wir seit 2016 auch präventiv tätig. Großes Thema dort ist die Erhaltung von Wohnraum oder die schnelle Suche nach neuem, wenn es sich um eine Eigenbedarfskündigung des Vermieters handelt.

Wie sieht die Lage im nördlichen Landkreis aus?

In Besigheim haben wir die Fachstelle für Wohnungssicherung, in die auch Menschen aus umliegenden Kommunen kommen können. 2020 hatten wir 15 Neuaufnahmen, sechs Fälle konnten wir erfolgreich abschließen. Hinter diesen sechs Fällen stehen 18 Menschen, davon acht Minderjährige, bei denen wir den endgültigen Wohnungsverlust verhindern konnten.

Auf welche Vorurteile treffen Wohnungslose?

Der Normalbürger sieht die Menschen, die am Bahnhof mit einer Flasche stehen, und denkt, die wollen doch gar nicht anders. Tatsächlich lebt aber kaum einer freiwillig auf der Straße. Fast alle hat eine Lebenskrise aus der Bahn geworfen. Da hat jeder von uns seine ganz eigene Belastungsgrenze. Und spätestens das Leben auf der Straße macht viele krank und treibt sie in die Resignation. Diese Menschen brauchen Hilfe, damit wieder Hoffnung wachsen kann.

Info: Am kommenden Montag, 15. November, 20 Uhr, hält Heinrich Knodel im Besigheimer Wartesaal am Bahnhof einen Vortrag über „Wohnungslos – selber schuld?“ . Dabei möchte der 63-jährige Sozialpädagoge den Besuchern einen Einblick in seine Arbeit sowie ein Verständnis für Menschen in Notlagen vermitteln. Der Eintritt ist frei, es liegt ein Spendenkoffer aus.