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Gehaltserhöhung für Erzieherinnen
Kita-Leiterinnen aus dem Landkreis Ludwigsburg kritisieren Tarifabschluss: Nicht für alle gibt’s mehr Geld

Kita-Streik: Im April demonstrieren mehr als 200 Erzieherinnen und Erzieher in Bietigheim-Bissingen. Archivfoto: Alfred Drossel
Kita-Streik: Im April demonstrieren mehr als 200 Erzieherinnen und Erzieher in Bietigheim-Bissingen. Foto: Alfred Drossel
„Ich bin am Limit!“ Daniela Wesenberg findet deutliche Worte, wenn es um ihre Arbeit geht: Sie leitet die Kita Farbstraße in Bietigheim-Bissingen und hat gemeinsam mit ihren Kolleginnen in den Coronajahren massiv Mehrarbeit geleistet. Doch während die Erzieherinnen nach dem Tarifabschluss nun mehr Geld bekommen, gehen die Kita-Leitungen leer aus. Das sei nicht fair und fördere eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, kritisiert die Löchgauerin.

Löchgau/Bietigheim-Bissingen. Als im Frühjahr die Erzieherinnen auf die Straße gehen und für mehr Geld und Anerkennung streiken, sind auch die Mitarbeiterinnen der Kita Farbstraße aus Bietigheim-Bissingen mit dabei. Viele von ihnen sind in der Gewerkschaft und immer wieder bei den Demos, die die Tarifverhandlungen regelmäßig begleiten. „Wir müssen für unsere Rechte kämpfen“, sagt Daniela Wesenberg. Die Löchgauerin ist Erzieherin aus Leidenschaft. Seit 2011 arbeitet sie in dem Beruf, seit fünf Jahren als Leiterin der Kita Farbstraße. Knapp 90 Kinder werden dort von 14 Mitarbeitenden betreut. „Die Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern wird viel zu wenig gesehen und wertgeschätzt“, ist sie sich mit ihrer Stellvertreterin Jasmin Kaya einig. Deshalb demonstrieren sie. Für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung – und gegen das noch weit verbreitete Vorurteil, dass Erzieherinnen nur Kaffee trinken und mit Kindern spielen.

Deutliche Mehrbelastung wegen Corona

Doch als das Ergebnis der Tarifverhandlungen feststeht, sind die beiden Frauen mehr als enttäuscht: Zwar erhalten sie wie alle Beschäftigten zwei zusätzliche freie Tage, doch mehr Geld bekommen sie nicht. Die Gewerkschaft Verdi und die Arbeitgeberverbände haben sich zwar auf monatliche Zulagen für Erzieherinnen und Erzieher in Höhe von 130 Euro geeinigt – „um die Tätigkeiten im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste aufzuwerten“, wie Verdi betont. Allerdings sind Kita-Leitungen und ihre Stellvertretung nun erstmals von der Gehaltserhöhung ausgenommen. Auch Daniela Wesenberg und Jasmin Kaya gehen damit leer aus.

Das sagt die Gewerkschaft

Die Tarifverhandlungen für rund 330.000 kommunale Kita-Erziehungskräfte und andere Beschäftigte in sozialen Berufen hatten im Mai ein Ergebnis gebracht: Die Beschäftigten erhalten zunächst pro Jahr pauschal zwei zusätzliche freie Tage sowie die Option, Teile ihres Gehalts in maximal zwei weitere Entlastungstage umzuwandeln. Daneben bekommen Erzieherinnen und Erzieher im kommunalen öffentlichen Dienst monatlich 130 Euro mehr. Von dieser Zulage profitieren allerdings nicht die Kita-Leitungen – die stellvertretende Landesbezirksleiterin von Verdi, Hanna Binder, erläutert die Hintergründe. Bei den Verhandlungen sei es eigentlich um die höhere Eingruppierung der Erzieherinnen in Entgeltgruppen gegangen – also nicht um pauschale Lohnerhöhungen. Die Arbeitgeber hätten hier aber eine Veränderung blockiert, stattdessen einigte man sich auf die 130-Euro-Zulage. In der Tarifrunde im Jahr 2015 habe man dagegen recht viel für die Kita-Leitungen erreicht, sagt Hanna Binder und verweist auf höhere Eingruppierungen und Freistellungen für die Leitungsfunktion. Und auch bei den nächsten Verhandlungen stünden die Leitungen wieder stärker im Fokus.

Trotzdem könne sie den jetzigen Unmut nachvollziehen. Es sei verständlich, dass das Ergebnis als ungerecht empfunden werde. In vielen Gesprächen habe man aber auch Überzeugungsarbeit leisten können. Insgesamt seien die Tarifverhandlungen mit guten Ergebnissen abgeschlossen worden – auch für die Leitungen. Ihr Gehalt richtet sich nach der Anzahl der Kinder, die in der Einrichtung betreut werden. Hier gelten künftig neue Bemessungsgrundlagen.

„Wie ein Schlag ins Gesicht“

Diese Entscheidung sei wie ein Schlag ins Gesicht und habe sie sehr geärgert, sagt die Löchgauerin: „Nicht, dass ich es meinen Mitarbeitern nicht gönne, aber wer hat den Kopf hingehalten die letzten zwei Jahre?“ Die Coronazeit sei sehr anstrengend und äußerst kräftezehrend gewesen – für alle Erzieherinnen und Erzieher, aber besonders auch für die Kita-Leitungen: Notbetrieb, Kurzarbeit, Quarantäne, ständig wechselnde Vorschriften, genervte Eltern, ein großer Wechsel und Krankheitsfälle im Team, Zwist mit der Verwaltung – „ich kann gar nicht aufzählen, was alles war“, sagt die 46-Jährige. Es sei auf jeden Fall die anstrengendste Zeit seit ihrem Einstieg in den Beruf gewesen, sind sich Daniela Wesenberg und Jasmin Kaya einig.

Nächste Herausforderung steht bevor

Hinzu kommen die „normalen“ Verwaltungsaufgaben, die auch ohne Corona anfallen und immer mehr Zeit beanspruchen – die dann an anderer Stelle fehlt. Mittlerweile müssten sie sich um die Organisation der Erste-Hilfe-Kurse kümmern, eine Aufgabe, die vorher die Stadt als Trägerin übernommen hat, nennt Jasmin Kaya ein Beispiel. „Es sind einfach viele Kleinigkeiten, die anfallen. Aber trotzdem haben wir ja noch unsere ganz normalen Erzieherinnen-Aufgaben.“ Und die nächste Herausforderung steht schon bevor: Zum neuen Kindergartenjahr kommen zwei Flüchtlingskinder in die Kita Farbstraße. Wieder eine neue Aufgabe für das ganze Team.

Frustrierend sei es, dass dann gerade die Kita-Leitungen im Tarifabschluss von der Gehaltserhöhung ausgenommen wurden. Zumal diese auch schon weniger Coronaprämie erhalten hätten. Die Folge: Die finanzielle Spanne zwischen Erzieherinnen und der Kita-Leitung schrumpfe. „Da muss ich mich schon fragen: Warum tue ich mir den Stress überhaupt noch an?“, sagt Daniela Wesenberg und spricht von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, die sich auftue. Ihnen fehle die Wertschätzung, ergänzt die Bietigheimerin Jasmin Kaya: „Wir hätten uns einfach die gleiche Anerkennung gewünscht.“ 130 Euro monatlich mehr im Geldbeutel – das wäre immerhin ein sorgenfreier Einkauf gewesen, sagen sie mit Blick auf ständig steigende Kosten.

Stadt Bietigheim-Bissingen wird nicht übertariflich zahlen

Wie lange sie unter diesen Umständen noch als Kita-Leiterinnen arbeiten wollen, wissen die beiden Frauen nicht. „Zu einem besseren Angebot würde ich wahrscheinlich nicht Nein sagen“, meint Daniela Wesenberg. Auch wenn es schwerfallen würde, denn beide sind mit Herzblut bei der Sache: „Wir sind die Ersten, die morgens hier sind, und die Letzten, die am Abend gehen“, sagt Jasmin Kaya.

In der Pflicht sehen beide hier übrigens auch die Stadt Bietigheim-Bissingen: Als Arbeitgeberin hätte sie die Möglichkeit, übertariflich zu zahlen. In manchen Kommunen werde das so gehandhabt – auch mit Blick auf den Wettbewerb um die Fachkräfte, denn vielerorts werden Erzieherinnen händeringend gesucht. Doch diesen Weg werde die Stadt nicht gehen, sagt Pressesprecherin Anette Hochmuth auf Nachfrage unserer Zeitung: „Wir wollen den Wettbewerb durch übertarifliche Bezahlung nicht noch weiter schüren und Fachkräfte gegenseitig abwerben.“ Stattdessen will Bietigheim-Bissingen durch die guten Arbeitsbedingungen in den Kitas überzeugen. Anette Hochmuth nennt hier zum Beispiel die Personalausstattung, die Gruppengröße oder die Einstufung in die Tarifgruppen.