1. Startseite
  2. Lokales
  3. Landkreis Ludwigsburg
Logo

Kliniken
Krankenhauspersonal hart am Limit

Die Intensivstationen füllen sich wieder mit Covid-Patienten, auch in Ludwigsburg. Aber es gibt weniger Intensivbetten. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Die Intensivstationen füllen sich wieder mit Covid-Patienten, auch in Ludwigsburg. Aber es gibt weniger Intensivbetten. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Nach 13 Monaten Coronapandemie arbeiten sehr viele Beschäftigte der Krankenhäuser im Kreis hart an der Grenze ihrer Belastbarkeit: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich bin ausgebrannt!“ Sätze wie diesen hört der RKH-Betriebsratsvorsitzende Martin Oster immer öfter. Kolleginnen und Kollegen wieder aufzubauen, ihnen Mut zuzusprechen – das gehöre längst zu den Standardaufgaben der Personalvertretung der Regionalen Kliniken-Holding.

Kreis Ludwigsburg. Natürlich sei das Personal der RKH-Kliniken unterschiedlich stark von den Folgen der Pandemie betroffen, sagt Oster. Der für die Betriebsratsarbeit freigestellte Unfallchirurg schildert die Lage der Pflegenden auf den Intensivstationen, die „in voller Montur“ und bis zur Erschöpfung beatmete Patienten oft wochenlang von der Rücken- in die Baulage drehen – und am Ende allzu oft keinen Erfolg haben: Etwa jeder zweite beatmete Corona-Intensivpatient stirbt. „Man nimmt ja auch als Mensch auf, was diese Krankheit bedeuten kann“, sagt Oster: Die Versorgung von Covid-19-Kranken zehrt an den körperlichen und psychischen Kräften von Pflegekräften und Ärzten.

Auch RKH-Geschäftsführer Professor Jörg Martin und Intensiv-Chefarzt Professort Götz Geldner haben die Belastungen des Klinikpersonals wiederholt unterstrichen. Oster macht darauf aufmerksam, dass Corona nicht Beschäftigten „auf Intensiv“ enorme zusätzliche Anstrengungen abverlangt: „Auch der Pförtner, der aufgebrachte Verwandte wegen des Besucherstopps abweisen muss, kann zusätzlich belastet sein“, sagt er. Das Gleiche gelte für die Pflegekräfte auf den Normalstationen, die für Patienten ohne Besuch und ihre Angehörigen am Telefon ein Ohr haben und zusätzliche Aufmerksamkeit aufbringen müssten. Osters Vize Ralf Kurfiss, seit 1978 Pfleger an den damaligen Kreiskliniken, verweist zudem auf personellen Konsequenzen, die die Schaffung eigener Covid-Stationen hatte: Weil die anderen Stationen dafür Personal abstellen mussten, seien teils funktionierende Teams gesprengt worden. Erfahrene Pfleger etwa aus der Urologie müssten in der Unfallchirurgie einspringen, ohne Arbeitszusammenhänge und Routinen dort zu kennen. „Dazu kommt“, ergänzt Martin Oster, „dass wir wegen Corona privat die gleichen Sorgen haben wie alle anderen auch: die Kinder im Homeschooling, der Partner im Homeoffice oder auf Kurzarbeit.“

Bleibt die Sorge vor dem Virus selbst: 501 RKH-Mitarbeitende haben sich seit Beginn der Pandemie angesteckt, davon 250 in Ludwigsburg und 111 in Bietigheim. Wo sie sich infiziert haben, ist meist unklar, die Kliniken-Holding geht aber in nur 82 Fällen davon aus, dass dies„mit hoher Wahrscheinlichkeit im häuslichen Umfeld“ geschah. Zwar wird das Krankenhauspersonal inzwischen regelmäßig getestet, doch symptomfrei Infizierte haben offenkundig teils mehrere Kollegen angesteckt. Ein öffentlich bekannt gewordenes Beispiel ist das der Wäscherei am Ludwigsburger Klinikum, wo die Infektion eines Beschäftigten, der sich zu Hause angesteckt hatte, letztlich zur Ansteckung etwa der Hälfte der 50-köpfigen Mannschaft geführt hatte.

Generell gilt der Krankenstand als Indikator der Arbeitsbelastung. An den Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim stieg die Krankenquote von 2019 auf 2020 von 5,47 auf 5,86 Prozent. Das scheint nicht viel, ergibt bei fast 4000 Beschäftigten aber einen beträchtlichen Arbeitsausfall. Zudem ist der Pflegedienst besonders stark betroffen – hier stieg der krankheitsbedingte Arbeitsausfall um 6,11 auf 6,76 Punkte – ein Plus von 10,6 Prozent. „Man muss sehen, dass die Belastung in der Pflege wegen des chronischen Personalmangels schon in den letzten Jahren immer weiter zugenommen hat“, sagt Oster: „Am Anfang der Pandemie haben wir unsere letzten Kraftreserven mobilisiert. Doch inzwischen sind wir in einem Marathonlauf!“ Und dafür fehle den Krankenhäusern und ihrem Personal die Basis, klagt Oster: „Aus ökomischen Notwendigkeiten ist längst ein wirtschaftliches Diktat geworden“, kritisiert er sowohl die Krankenhausfinanzierung insgesamt als auch die vom Kreistag von der RKH eingeforderte „schwarze Null“. Nach der Pandemie müsse grundlegend neu über die Finanzierung der Kliniken und eine nachhaltige Stärkung der Pflege nachgedacht werden.

Ein Drittel der Intensivpflegenden wolle seinen Job wegen der hohen Belastung an den Nagel hängen, titelte das Ärzteblatt vorige Woche. Ganz so dramatisch sei die Lage an der RKH noch nicht, meinen sowohl Oster als auch die Geschäftsleitung. Die Betriebsräte appellieren jetzt zunächst direkt an die Bevölkerung, die Coronaregeln konsequent zu befolgen: „Tragen Sie Ihr Möglichstes dazu bei, sich selbst und damit auch uns gesund und leistungsfähig zu erhalten!“ Beim Gedanken an sogenannte Querdenker empfinde er „Wut und Depression“, sagt Oster.

350_0900_32087_COKRBietigheim_Zweites_Warterich_061016.jpg

„Aus ökomischen Notwendigkeiten ist ein wirtschaftliches Diktat geworden.“

Martin Oster
RKH-Betriebsrat