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Arbeitsmarkt
Lieber in die Werkstatt als in den Hörsaal

Ina Anwander brach ihr Studium ab – und ist nun Zimmerin.Foto: C. Schirp/Muny
Ina Anwander brach ihr Studium ab – und ist nun Zimmerin. Foto: C. Schirp/Muny
Handwerkskammer Region Stuttgart: Immer mehr Studienabbrecher starten eine berufliche Ausbildung – Ansprechpartner berät Wechselwillige

Ludwigsburg. An einem Tag im Frühjahr 2016 betritt Ina Anwander die Holzbau & Schreinerei Muny. Die junge Frau aus Immenstadt im Allgäu, damals 20 Jahre alt, studiert Bauingenieurwesen in Stuttgart, ihr zweites Semester ist bald vorbei. Sie hat keine große Freude an ihrem Studium – zu viel Theorie, zu wenig körperliche Betätigung.

Nun steht Anwander im Büro des Kornwestheimer Betriebs Muny, auf den sie im Internet gestoßen ist. Sie fragt nach einem zweiwöchigen Praktikum, erhält eine Zusage – und bekommt, weil sie so gut mitarbeitet, nach drei Tagen ein Lehrstellenangebot zur Zimmerin. Sie bricht ihr Studium ab, überbrückt den Sommer mit einem Ferienjob bei Muny, im Herbst 2016 beginnt dort ihre Ausbildung.

Zweieinhalb Jahre später, im Januar 2019, schließt Anwander ihre Ausbildung ab – mit der Prüfungsnote 1,0, wie Eberhard Muny, einer von zwei Geschäftsführern des Unternehmens im Landkreis Ludwigsburg, mitteilt.

Jedes Jahr gebe es etwa 16 Bewerbungen auf eine Lehrstelle – „davon kommen zwei bis drei von Personen, die ihr Studium abbrechen wollen“, sagt Patrick Pressel, der zweite Muny-Geschäftsführer. Anwander bringe Eigenschaften mit, die auch im Handwerk wichtig seien: Interesse, Intelligenz, soziale Kompetenz, eine schnelle Auffassungsgabe und Verantwortungsbewusstsein. Wichtig sei auch, mitzudenken und „das eigene Ego zurückzustellen“.

Auch Katharina Zasche (24) aus Heilbronn brach ihr Studium (Architektur) ab, um bei Muny eine Lehre zu machen. Jetzt, nach einem von der EU geförderten Arbeitsaufenthalt in Italien, reist sie durch Europa. „Im Herbst kommt sie voraussichtlich in unseren Betrieb zurück“, so Pressel, „sie hat sich ebenfalls bei uns wohlgefühlt.“

Immer mehr Studienaussteiger begännen eine berufliche Ausbildung – „das zeigen sowohl die Zahlen wissenschaftlicher Studien als auch Erfahrungswerte aus der Praxis“, sagt Julia Häcker, stellvertretende Pressesprecherin der Handwerkskammer Region Stuttgart (HRS).

Berufsorientierungsberater der Kammer registrierten zuletzt ein steigendes Interesse an alternativen Angeboten zum Studium, so Häcker. Berufsschullehrer und Rektoren hätten in ihren Klassen mehr Studienaussteiger. Diese starteten eine Ausbildung vor allem im Bäcker-, Konditor- und Schreinerhandwerk – das, so Häcker, seien Einschätzungen von Unternehmen, Ausbildungsberatern und Berufsschullehrern.

Fehlender Praxisbezug, mangelnde Motivation, finanzielle Engpässe – das sind laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung Gründe für einen Ausstieg aus dem Studium. Die Handwerkskammer umwirbt diese Abbrecher – sie sind besonders für kleine und mittlere Unternehmen eine attraktive Zielgruppe. Denn immer mehr Betriebe können ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen, weil sie keine passenden Bewerber finden. Studienabbrecher könnten die Fachkräfte-Lücke im Handwerk schließen helfen.

Praxisbezug, Betreuung im Betrieb, eigenes Gehalt, 130 Berufe, gute Aufstiegschancen – für HRS-Ausbildungsexperte Patrick Wolf sind das gute Gründe, um als Studienabbrecher ins Handwerk zu wechseln. Die Kammer berate akademische Abbrecher in Kooperation mit Universitäten und der Arbeitsagentur – etwa zu einer verkürzten Ausbildung und passenden Betrieben.

Doch könnten Fehlentscheidungen bereits in der Schulzeit vermieden werden, so Wolf: „Berufsorientierung ist die beste Prävention von Studienabbrüchen.“ Nach dem Abitur eine Entscheidung hinauszuzögern und „erstmal an die Hochschule zu gehen, ist unklug“.

Wer sein Studium abbricht oder mit ihm unzufrieden ist, soll eine handwerkliche Ausbildung als sinnvolle Alternative zum Studium sehen – das jedenfalls ist das Ziel eines Projekts, mit dem die Handwerkskammer auf ihr Beratungsangebot aufmerksam macht. Sie bewirbt es etwa mit Flyern, Radiospots und im Internet (siehe „Info“).

In Videos werden Menschen aus der Region Stuttgart vorgestellt, die der akademischen Laufbahn eine handwerkliche Ausbildung vorgezogen haben: Feinwerkmechaniker Matthias Hujicek (29) aus Winterbach brach sein Studium der Werkstoff- und Oberflächentechnik ab, Benjamin Czech (Stuttgart-Feuerbach) beendete vorzeitig sein Jurastudium und ist nun Schreiner. Lydia Steinbrich (29, Stuttgart) hat ein Studium in Übersetzung und Sprachwissenschaft abgeschlossen – und ist nun Konditormeisterin und Inhaberin einer Baumkuchenboutique in Stuttgart. Die Selbstständige arbeitet gern in einem handwerklichen Beruf: „Man sieht am Ende des Tages, was man geschafft hat.“

Info: Die Handwerkskammer Region Stuttgart informiert im Internet über das Handwerk als Alternative zum Studium: www.komm-ins-handwerk.de. Mitarbeiter Patrick Wolf bietet eine persönliche Beratung an, Telefon (07.11) 1.65.72.56, E-Mail: patrick.wolf@hwk-stuttgart.de.