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Ehrenbürgerschaft
Oettinger: In der Heimat weiter in der ersten Reihe

Ein Kind der Stadt Ditzingen und des Landkreises, das bei seinen Heimatbesuchen selten leer ausgeht: Günther Oettinger (links oben mit OB Michael Makurath) bekommt das Ehrenbürgerrecht der Großen Kreisstadt verliehen. Die Kreis-CDU beschenkt ihn zum
Ein Kind der Stadt Ditzingen und des Landkreises, das bei seinen Heimatbesuchen selten leer ausgeht: Günther Oettinger (links oben mit OB Michael Makurath) bekommt das Ehrenbürgerrecht der Großen Kreisstadt verliehen. Die Kreis-CDU beschenkt ihn zum Abschied aus der aktiven Politik mit dem gleichnamigen Bier (rechts) – und mit Taube in der Hand auf dem Schäferlauf. Foto: Wolschendorf, Becker, Drossel (Archiv)
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Günther Oettinger hat im Laufe seiner Politikerkarriere fast alles erreicht. Nun ist er auch noch in seiner Heimatstadt Ditzingen zum Ehrenbürger ernannt worden und nutzt die Gelegenheit zu einer Ruckrede – natürlich in Stakkato-Schwäbisch.

Ditzingen. Kurz vor Beginn der Sommerferien ist Günther Oettinger schon braun gebrannt und äußerlich entspannt. Mit seiner Lebensgefährtin Friederike Beyer und Sohn Alexander schlendert er am Sonntagmorgen in Ditzingen gemütlich in Richtung Stadthalle. Oettinger hat in seiner Heimatstadt die Junge Union gegründet, er führte die CDU im Gemeinderat an, unterlag bei der OB-Wahl, wurde Ministerpräsident, EU-Kommissar, Bundesverdienstkreuzträger und Inhaber des Alefanzordens des Fasnachtsmuseums Schloss Langenstein.

Doch die vielleicht bedeutendste Auszeichnung bekommt Oettinger am Sonntagmorgen in Ditzingen – die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt, vergleichbar mit der Seligsprechung im Vatikan, wie Oberbürgermeister Michael Makurath in seiner Laudatio augenzwinkernd sagt. Nur besser, weil sie noch zu Lebzeiten zuerkannt werde und lediglich mit einer kleinen Verpflichtung verbunden sei: sich gelegentlich bei Festakten in der Stadt blicken zu lassen.

Wacher Geist, schnelle Zunge

Das dürfte für Oettinger keine große Hürde werden. „In Ditzingen hat meine politische Tätigkeit begonnen, und die Verbindung zur Stadt und den langjährigen Weggefährten ist nie abgebrochen“, sagt Oettinger auf dem Festakt. Hier hat er in den 60er und 70er Jahren den Grundstein für sein Netzwerk gelegt und früh Talente entwickelt: Mit schneller Auffassungsgabe und noch schnellerer Zunge auf so vielen Empfängen, Podiumsdiskussionen und Abendveranstaltungen Tacheles zu reden wie möglich – und bei den Nachbesprechungen als einer der letzten zu gehen. „Früh hat man Günther Oettinger mit Lothar Späth verglichen“, sagt Makurath über einen zweiten großen Sohn des Landkreises schmunzelnd – weil außer dem Heiligen Geist nur Späth und Oettinger an mehreren Orten zugleich sein konnten.

Seine Redezeit in Ditzingen nutzt Oettinger, um über die Stadt und dann den Erdkreis Klartext zu sprechen. Er lobt die wirtschaftliche Kraft, die von Weltunternehmen wie Trumpf und Thales, aber auch Bosch in Schwieberdingen und Gerlingen ausgehe. Gleichzeitig fordert Oettinger, sich weiterzuentwickeln und nicht zu einem „Open-Air-Museum“ zu erstarren. Werte wie Demokratie, Gewaltenteilung und Menschenrechte würden nur verbunden mit wirtschaftlicher Kraft als Exportschlager in der Welt taugen.

Schnell ist Oettinger bei seinem Lieblingsthema angelangt: dem Kampf der Systeme. Auf der einen Seite China, das in 30 Jahren wirtschaftlich, technologisch und militärisch Nummer eins in der Welt sein wolle – und voll im Zeitplan liege. Auf der anderen Seite die USA, die unter dem Präsidenten Joe Biden zwar an der Verbesserung der transatlantischen Beziehungen arbeiten, aber nicht mehr von Trumps America-first-Losung abrücken würden. Was es für den Netzwerker und Europäer Oettinger nun braucht: Seilschaften unter den verbliebenen Nationen der EU und Investitionen in Bildung, Forschung und berufliche Qualifikation.

Die geladenen Gäste in Ditzingen klatschen heftig. Es gibt im Publikum Menschen, die Oettinger einst für kanzlerfähig gehalten haben – oder zumindest der Überzeugung sind, dass er die Machtübernahme der Grünen vor rund zehn Jahren verhindert hätte, als ihn die Kanzlerin nach Brüssel weglobte. Der SPD-nahe Makurath erinnert daran, dass der Ministerpräsident Oettinger damals Ergebnisse einfuhr, für die andere zwei Wahlen gebraucht hätten. Da bleibt einigen Ehrengästen das Lachen im Hals stecken.

Andererseits ist es kein Geheimnis, dass sich der Aktenfresser Oettinger in seinem langen politischen Leben nicht nur Freunde gemacht hat. Das gilt besonders für Menschen, denen der liebe Gott keine ganz so schnelle Auffassungsgabe mitgegeben hat wie ihm. Eine gewisse Routine erlangte er zudem in der Disziplin Zurückrudern. Chinesen nannte er abfällig „Schlitzohren mit Schlitzaugen“, er plauderte aus, dass einem seiner Minister nach einer Dienstreise die Frau an der Tankstelle verloren ging. Und natürlich der Klassiker: Wie Oettinger den einstigen NS-Marinerichter und ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger zum Gegner des Regimes verklärte.

Der Hang zu flotten Sprüchen – „free from the liver“, frei von der Leber weg, noch so ein Oettinger-Highlight – hat seine Karriere befeuert. Weil er komplexe Sachverhalte in bildhafte Sprache verwandeln kann. Er hat ihm aber auch schwer geschadet, etwa wenn er angestachelt von Fußballfans eine Halbe aus einem Herrenschuh wegzischte.

Doch zurück nach Ditzingen. Der Politiker Oettinger ist jetzt Lobbyist. Die Liste seiner Arbeitgeber ist deutlich zweistellig. Klartext redet er immer noch, wenn er gefragt wird. Nach einer Halben ist ihm nach dem knapp einstündigen Festakt in der Stadthalle aber nicht zumute. Sein Wunsch: Bei einem Gläschen Wein mit alten Weggefährten zu plaudern.