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Prozess hinter verschlossenen Türen

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Ein ehemaliger Azubi der Bosch-Kita in Schwieberdingen soll sich an mindestens sieben Kleinkindern vergangen und die Taten zum Teil fotografiert und gefilmt haben. Am Dienstag hat der Prozess gegen den Mann begonnen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Schwieberdingen/Stuttgart. Der mutmaßliche Täter kommt im blauen T-Shirt, mit langen dunkelblonden Haaren und Vollbart aus der Untersuchungshaft in Saal eins des Stuttgarter Landgerichts. Er trägt Handschellen und versteckt sein Gesicht hinter einer roten Mappe, um den Blicken der Öffentlichkeit zu entgehen. Im Zuschauerraum sitzen Erzieher der früheren Kita Piccolo Paradiso in Schwieberdingen, die jetzt einen neuen Betreiber hat und Eltern, die ihre Kinder dorthin geschickt haben. Der Autozulieferer Bosch, der in Schwieberdingen rund 6500 Menschen beschäftigt, hat in der Einrichtung knapp 120 Betreuungsplätze für den Nachwuchs seiner Mitarbeiter eingerichtet. Die Idee: Beruf und Familienleben in Einklang zu bringen. Die Nachfrage nach Plätzen, so ist zu hören, bleibe hoch.

Dabei wiegen die Vorwürfe gegen den 21 Jahre alten Angeklagten schwer. Die Staatsanwaltschaft legt ihm sexuellen Missbrauch an mindestens sieben Kindern zur Last. Der Tatzeitraum erstreckt sich über zwei Jahre: von März 2016 bis März 2018. Keines der mutmaßlich missbrauchten Kinder war älter als drei Jahre. Nach Angaben des Landgerichts hat der frühere Praktikant und spätere Azubi zudem teilweise gefilmt und fotografiert, wie er sich an den Kindern vergangen hat. Auf seinem Computer stellen die Ermittler Tausende Dateien mit Kinderpornos sicher.

Eine Mutter bringt die Fälle im März ins Rollen. Damals äußert sie den Verdacht, dass ihre Tochter in der Kita womöglich sexuell missbraucht worden sei. Vor Gericht, so heißt es jetzt, will der ehemalige Azubi der Bosch-Kita reinen Tisch machen – allerdings nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. So führt es sein Verteidiger Michael Lepp ins Feld.

Der Angeklagte leidet offenbar unter einer Autismusform, dem Asperger Syndrom. Dabei handelt es sich nach Angaben von Wissenschaftlern um eine „unsichtbare Behinderung“. Menschen mit Asperger Syndrom haben Schwierigkeiten mit ihrem sozialen Umfeld und der Kommunikation in der Öffentlichkeit. Außerdem verarbeiten sie wohl Sinnesreize anders.

Auch die fünf Nebenkläger, allesamt Eltern der betroffenen Kleinkinder, beantragen, die Hauptverhandlung hinter verschlossenen Türen zu führen. Dem will die Staatsanwaltschaft nicht entgegenstehen – und auch nicht die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf. „Es stehen zwar schwere Straftaten im Raum“, sagt sie am Dienstagmorgen, die ein beträchtliches öffentliches Interesse auslösen würden. Allerdings überwiegt in ihren Augen der Schutz der Opfer, aber auch des mutmaßlichen Täters.

Als ihn die Polizei am 6. April festnimmt, ist der Mann erst 20 Jahre alt, was ihn laut Gesetz zu einem Heranwachsenden macht, der wohl nach Jugendstrafrecht behandelt werden muss. Die Richterin Eßlinger-Graf befürchtet, dass der Angeklagte während des Verfahrens bloßgestellt und berufliche und soziale Nachteile erleiden könnte, die seine Reifung gefährden würden.

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Erst zur Verkündung des Urteils, das für Anfang Oktober erwartet wird, dürfen Prozessbeobachter vielleicht wieder in den Saal. Die Richterin gestern: „Das ist noch nicht entschieden.“ Als sicher gilt, dass allenfalls der Tenor des Urteils öffentlich verkündet wird, keinesfalls aber die Begründung.

Bei einer Verurteilung drohen dem Ex-Azubi bis zu zehn Jahre Gefängnis. Vor Gericht sagt der junge Mann aus, dass er nach den Vorfällen in Schwieberdingen eine Ausbildung für Elektronik aufgenommen habe.

An der Bosch-Kita wird die Angelegenheit nach Angaben eines Firmensprechers mit den Eltern und externen Fachleuten aufgearbeitet. Ermittlungen gegen die frühere Leiterin der Einrichtung hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft bekanntlich eingestellt. Der Verdacht, sie könnte sich des sexuellen Missbrauchs wegen Unterlassens strafbar gemacht haben, erhärtete sich nicht.

 

Info: Das Landgericht hat bis zum 9. Oktober noch vier weitere Verhandlungstage festgesetzt.