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Bietigheim-Bissingen
Vom Stellvertreter zum Dürr-Chef in Bietigheim

Jochen Weyrauch.Foto: Dürr/p
Jochen Weyrauch. Foto: Dürr/p
Jochen Weyrauch folgt auf Ralf Dieter und wird Vorstandsvorsitzender beim Lackiertechnikspezialisten

So geräuschlos verläuft ein Wechsel an der Unternehmensspitze selten. Beim Lackiertechnikspezialisten Dürr AG hat ab Januar 2022 der 55 Jahre alte Jochen Weyrauch das Sagen, der bislang Stellvertreter des scheidenden Konzernchefs Ralf Dieter gewesen ist. Die Personalie ist keine Überraschung gewesen, da der ausgebildete und promovierte Wirtschaftsingenieur Weyrauch sich zuletzt bereits um das Kerngeschäft des in Bietigheim-Bissingen ansässigen Unternehmens kümmerte.

Er gehört dem Vorstand des Maschinen- und Anlagenbauers schon seit 2017 an. Doch dass er einmal die Geschicke eines Großunternehmens leiten wird, konnte sich der Vater von zwei erwachsenen Kindern am Anfang seiner beruflichen Laufbahn gar nicht vorstellen. „Eigentlich wollte ich nach dem Abitur erst einmal nicht studieren, sondern mit Freunden in Paris einen Motorradladen aufmachen. Ich bin lange nur Motorrad gefahren und erst mit Mitte 20 auf das Auto umgestiegen“, sagt der Manager. Doch dann kam es doch anders und Weyrauch bekam nach dem Abitur einen Studienplatz in Kaiserslautern und fand über die Jahre hinweg seinen Weg in die Industrie.

Er startet seine unternehmerische Karriere beim Autozulieferer Continental Treves; später ging er zur Turbo-Lufttechnik, die zum Anlagenbauer Babcock-Borsig gehört. Weyrauch kennt seinen Vorgänger Dieter schon lange. Als der scheidende Konzernchef 2005 noch Chef der damals kriselnden Dürr-Tochter Carl Schenck AG war, ist auch der Pfälzer im Vorstand des Auswucht- und Diagnosespezialisten gewesen. „Wir beide sind regelmäßig in einem alten Audi zu Dürr gefahren und mussten erklären, wie wir das Unternehmen wieder auf Kurs bringen wollten.“

Weyrauchs Bereich ist Ende 2005 verkauft worden, weil Dürr hohe Schulden hatte. Der Manager war damals Vorsitzender der Geschäftsführung der verkauften Schenck-Einheit gewesen, die an einen Finanzinvestor ging. Mit ihnen hat der 55-Jährige keine schlechten Erfahrungen gemacht. Es gebe in der Regel gute, klare und nachvollziehbare Spielregeln. „Man kann relativ schnell Dinge absprechen. Manchmal schneller als in Unternehmen, die mehrere Anteilseigner haben.“ Später ist der Inhaber einer Privatpilotenlizenz, der aber nur noch wenig fliegt, auf die andere Seite gewechselt. Er arbeitete dann selber als Berater und Investor im Bereich der Finanzinvestoren. Weyrauch ist ein Mensch, der auch gern einmal riskantes ausprobiert. Zumindest als Privatmensch. Während des Studiums ist er auch Drachen geflogen. Doch der Ausflug in den Bereich Private Equatiy dauerte nur wenige Jahre. Er hat sich vorstellen können, in dem Umfeld zu bleiben. „Aber ich fand, dass ich zu jung war, um nur noch indirekten Einfluss zu nehmen. Mich reizte es, das Geschäft an vorderster Stelle und mit entsprechender Verantwortung zu übernehmen.“ Und so ist der Pfälzer seit mehreren Jahren wieder bei dem im M-Dax notierten Unternehmen, bei dem Großaktionär die Familie von Heinz Dürr ist, der in den 1990er Jahren als Bahnchef bekannt war.

Der Maschinen- und Anlagenbauer habe sich 2021 gut stabilisiert. Das Niveau von 2019 habe man aber noch nicht erreicht. „Die Autoindustrie hat noch einen Anteil von 50 Prozent am Gesamtgeschäft von Dürr, aber das Geschäft von Homag mit Holzbearbeitungsmaschinen wächst sehr stark“, sagt der 55-Jährige, der in der Freizeit gerne mal fotografiert und in seinem Vorstandsbüro einige großformatige auch von ihm gemachte Aufnahmen hängen hat. Das M-Dax-Unternehmen ist längst nicht mehr nur auf das Auto konzentriert. In fünf Bereichen engagiert sich das Unternehmen mittlerweile – das Geschäft mit Lackieranlagen ist unverändert das Größte. Dann folgen gleich an zweiter Stelle die Maschinen für die Holzbearbeitung. Deutlich kleiner ist die Lackapplikationstechnik, wozu die Lackierroboter gehören, die Abluftreinigungsanlagen und die Auswuchttechnik. Zu einem sechsten Geschäftsfeld könnte sich die Medizintechnik entwickeln. Hier gab es in der Vergangenheit Zukäufe.

Das Geschäft mit den Lackieranlagen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. „Beim Lackieren hat es in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gegeben.“ Es gebe jetzt schon die ersten Autobauer, die die Karosserie mit Farbe quasi bedruckten, anstatt mit Zerstäubern zu arbeiten. „Bisher kommt das Verfahren in der Serienproduktion bei der Dachlackierung zum Einsatz. Aber wir sind als einziges Unternehmen auf dem Weg, auch die komplette Karosserie zu bedrucken.“ Dadurch entstünden neue Möglichkeiten bei der Individualisierung der Lackierung.

Im Bereich der Lackiererei gibt es durchaus noch Potenzial für die Senkung des Energieverbrauchs. „Die Lackiererei macht knapp 50 Prozent des Energieverbrauchs bei der Autoherstellung aus. Deshalb ist gerade da das Potenzial für nachhaltige Produktionstechnologien so groß.“ Durch die Umstellung auf Ökostrom könnten die Autohersteller etwas für ihren ökologischen Fußabdruck machen. „Üblicherweise werden die Trockner in einer Lackierstraße mit Gas beheizt. Das kann man nun mit Ökostrom machen. Auch unsere Abluftreinigungsanlagen kann man ganz auf Ökostrom umstellen und so die Gasverbrennung vermeiden.“

Das Thema Elektromobilität ist für Dürr von besonderer Bedeutung. „Der Wachstumsmarkt rund um die Fertigung von Batteriezellen für Elektroautos ist für uns sehr wichtig.“ Den ersten größeren Auftrag habe man von dem deutschen Batteriezellenhersteller Cellforce bekommen, dem Gemeinschaftsunternehmen von Porsche und Customcells. Dort kommt ein spezielles Verfahren zum Einsatz, bei dem die Beschichtung der Elektroden auf beiden Seiten gleichzeitig erfolgt. Dürr verfüge über eine hocheffiziente Technologie und könne als Systemanbieter komplette Beschichtungslinien realisieren. Bei Cellforce geht es zunächst um mindestens 100 Megawattstunden pro Jahr. „Beim Bau von Batteriefabriken, die für zehn Gigawattstunden ausgelegt sind, kann man bei der Beschichtungslinie auf einen Auftragswert von über 100 Millionen Euro kommen.“

Es werde spannend sein, ob die europäischen Batteriehersteller neben den etablierten asiatischen Spielern auch auf europäische Lieferanten setzen, sagt Weyrauch. Und zum Thema rund um die neue Mobilität meint er. „Die E-Mobilität ist wie eine Bushaltestelle, bei der man als neuer Automobilhersteller zusteigen kann.“ Darauf setzt der neue Vorstandsvorsitzende, der bei dem Traditionsunternehmen in große Fußstapfen tritt. Angst davor hat er keine. Mit einem Augenzwinkern meint er: „Ich habe bei Dürr ein gehobenes Trainingsprogramm absolviert.“