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Was zählt, sind die inneren Werte

Die Liebe zur Musik: Die ehemalige Geigenlehrerin Karin Reinert testet die Haube. Foto: Holm Wolschendorf
Die Liebe zur Musik: Die ehemalige Geigenlehrerin Karin Reinert testet die Haube. Foto: Holm Wolschendorf
„Pop-Up-Friseursalon“ macht von Freitag bis Sonntag in der Barockstadt Station

Ludwigsburg. Wer in den knallig angestrichenen und doch ob seiner Größe eher unscheinbaren Bauwagen steigt, begibt sich auf eine Zeitreise einige Jahrzehnte zurück. In eine Zeit, als Trockenhauben im Friseursalon noch nicht mattgrau lackiert waren und Wellenmustertapeten möglicherweise als Baustein pfiffiger Innenarchitektur galten. Der charmante „Pop-Up-Friseursalon“, der als mobile Audioinstallation bis Ende Oktober durch die Region Stuttgart tourt (wir berichteten), hat nun in der Barockstadt seine kleine Kippleiter ausgeworfen. Im Gepäck: zahlreiche Geschichten von Menschen aus der ganzen Region, die man sich unter den Hauben nacheinander anhören kann.

Etwa die von Karin Reinert, die jahrzehntelang bis zum Ruhestand und darüber hinaus Geigenlehrerin an der Jugendmusikschule Ludwigsburg war. Mittlerweile wohnt sie in Weißenborn bei Leipzig, anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Schule und der mehrtägigen Stationierung des Friseursalons ist sie an ihre alte Wirkungsstätte zurückgekehrt – auch, um sich ein Bild vom Ergebnis ihres einstündigen Telefoninterviews zu machen. Gelesen hat sie den Text des dreiminütigen Konzentrats bereits, aber die von einer Sprecherin vorgetragene Endfassung hat sie noch nicht gehört.

Bevor sie sich also durch die 30 Gespräche, die Jonas Bolle, Simon Kubat und Christian Müller vom Stuttgarter „Citizen.Kane.Kollektiv“ geführt haben, hört – man kann nicht vor- oder zurückspulen –, erzählt sie, was ihre Geschichte ist. „Die Musik ist mein Leben“, sagt sie und lächelt. „Und das Unterrichten.“ In einem Geschäftshaushalt aufgewachsen, sahen es die Eltern nicht gern, dass sich ihre Tochter mit Musik beschäftigen wollte. Und dann auch noch Geige! „Ich musste mir das erkämpfen“, sagt Reinert. Sie lernte also das Instrument ihrer Träume, studierte später an der Musikhochschule. Und wie sie dann bei den jungen Menschen die Freude an der Musik weckte oder dies zumindest stets versuchte. Viele Nachwuchsmusiker begleitete sie auf ihrem Weg – manche von ihnen so erfolgreich, dass diese auch professionelle Musiker wurden. Nach einem Unfall, nach Jahrzehnten mit den Fingern auf den vier Saiten, kann Reinert mittlerweile nicht mehr Geige spielen. Auch das gehört zu ihrer Geschichte. Das Leben ist eben ein Auf und Ab.

Der Literat und Dichter Timo Brunke hat das zweite der beiden Ludwigsburger Hörstücke beigetragen. Darin spricht er über seine persönliche Bindung zu dem in der Barockstadt geborenen Dichter Eduard Mörike und dessen Peregrina-Zyklus, jenem eher wenig bekannten Werk, das er einst einer unerfüllten Liebe widmete.

Das Projekt beschäftigt sich auf unterschiedlichste Weise mit Rückzugsorten der Gesellschaft – heruntergebrochen auf persönliche Erlebnisse, die sich häufig um die Liebe, das Paradies und die Arbeit drehen. Der Friseursalon ist, wie sollte es anders sein, traditionell ein guter Ort für solch spannende Geschichten.

Info: Der Salon steht am Freitag von 11 bis 22.30 Uhr im Hof der Karlskaserne. Am Samstag von 11 bis 20 Uhr und am Sonntag von 11 bis 17 Uhr befindet er sich in der Oberen Marktstraße. Der Eintritt ist frei.