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„Dafür sollte die Stadt nicht Spielwiese sein“

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Der Schulweg zwischen all den Autos hindurch will gelernt sein.Foto: contrastwerkstatt/Adobe Stock
Die Kritik an der Schutzranzen-App reißt nicht ab: Für die einen ist sie Datenkrake und Überwachungsinstrument, für die anderen ein Sicherheitsrisiko, andere wiederum bezweifeln die Sinnhaftigkeit. Ob sie überhaupt in Ludwigsburg an den Start gehen kann, entscheiden aber die Datenschützer.

Ludwigsburg. „Die Schutzranzen-App leistet einen entscheidenden Beitrag zum sicheren Schulweg“, hatte OB Werner Spec vor neun Monaten freudig verkündet. Da hatte Ludwigsburg gerade entschieden, sich für die Schutzranzen-App des Unternehmens Coodriver als Testfeld zur Verfügung zu stellen – als Teil der Vorzeigeprojekte von Living Lab, Digitalisierung und Mobilität. Von Euphorie allerdings ist derzeit auf beiden Seiten wenig zu spüren: Die Kritik an Sicherheit, Datenschutz und Sinnhaftigkeit reißt nicht ab.

Der Unternehmer und gebürtige Freiberger Walter B. Hildebrandt hatte die App 2015 entwickelt, um Kinder auf dem Schulweg zu schützen. Das Kind trägt im Schulranzen einen Sender, der dem Autofahrer auf sein Handy eine Warnung sendet, wenn er sich in einer bestimmten Entfernung befindet. Zudem sind die Grundschulen im Radius von 150 Metern mit einem digitalen Schutzkreis ausgestattet, der ebenfalls ein Signal an das Smartphone sendet.

Nach massiver Kritik an der zusätzlichen Tracking-Funktion, mit der Eltern kontrollieren können, wo sich ihre Kinder befinden, hat Coodriver wie berichtet nachgebessert: Seit April gibt es die Funktion nicht mehr. Das jedoch genügt den Datenschützern von Digitalcourage nicht, die in ihrem Blog zu Spenden aufrufen. Coodriver hatte mit einer Unterlassungsklage auf die Äußerung „Schrottup“ reagiert. Digitalcourage – die sich auch gegen Polizeigesetze und für freies Internet stark machen – bereiten sich auf eine Gerichtsverhandlung vor. „Mit einer neuen Version der Schutzranzen-App lenkt Coodriver davon ab, was im Konzept falsch ist. Kinder-Tracking ist keine Lösung, sondern ein Problem.“

Erst Auszeichnung, dann Zweifel

Das sah Auto Motor und Sport 2016 noch anders: Damals verlieh die Zeitschrift Coodriver für die innovative digitale Technologie einen „Safety Award“. In puncto Sicherheit allerdings ruft die App viele Zweifler auf den Plan, darunter auch das Polizeipräsidium Ludwigsburg. Dort hat man sich im Referat Prävention Gedanken über die Verkehrssicherheit gemacht – und ist nicht angetan. „Wir sehen es grundsätzlich kritisch, wenn im Auto ein Handy benutzt werden muss“, heißt es auf Anfrage unserer Zeitung. „Wir wissen schließlich, dass die Unfallzahlen mit Handynutzung steigen.“

Die bisherigen Zone-30-Bereiche und Warnschilder an Schulen reichten aus, so die Polizei weiter, das akustische Signal lenke nur ab. Warnhinweise in bestimmten Bereichen wie in den digitalen Schutzzonen seien nur sinnvoll, wenn sie bereits im Navi-Bordcomputer eingespeichert seien. Einzelne Peilsender seien irreführend für die Kinder. „Wie erkläre ich einem Achtjährigen, dass der Sender keine absolute Sicherheit bedeutet?“ Wichtiger sei es, die Kinder mit Übungen und Erklärungen verkehrssicher zu machen. Verkehrserziehung und Prävention „sind uns viel wichtiger“. Dies sei Aufgabe der Eltern, zudem beteilige sich das Polizeipräsidium mit Angeboten wie „Gib acht im Verkehr“, Fortbildungen in Sachen Verkehrserziehung, aber auch dem Fahrradführerschein an Schulen.

Die Verkehrssicherheit treibt auch den Fahrradclub ADFC um. Die App lenke den Autofahrer ab und sei nur Nutzern von digitalen Hilfsmitteln zugänglich, erneuert der ADFC seine Kritik. Damit gebe es nicht mehr Verkehrssicherheit: „Dafür sollte die Stadt nicht Spielwiese sein.“ Projekte wie Bus auf Beinen oder Schulradler seien besser geeignet. Kinder müssten lernen, sich sicher im Verkehr zu bewegen. „Warum beißt sich die Stadt an diesem Projekt fest?“

Datenschützer weiter in der Prüfung

Die Stadt Wolfsburg sowie VW waren schnell aus dem Projekt ausgestiegen, Ludwigsburg indes hat ihr Ja zum Schutzranzen-Projekt trotz Kritik aus dem Gemeinderat bekräftigt, wartet aber ab. Denn ob und wie Schutzranzen-App und -Sender des Wolfsburger Unternehmens – die weiterhin zu haben sind – Bestand haben, entscheidet die Datenschutzbehörde Niedersachsens. Man sei noch in der Prüfung, so ein Pressesprecher. Der Aspekt der Verkehrssicherheit rückt hier in den Hintergrund. „Uns geht es um den Datenschutz: die Anonymisierung, das Tracking und die Registrierung.“

Coodriver-Gründer Walter B. Hildebrandt ist überzeugt davon, dass die Prüfung „zu einem guten Schluss kommt“. Der gleichzeitig Startschuss sein soll für die Projektphase: Die sollte ursprünglich mit einem Runden Tisch mit ADAC, Eltern, Schulen und Schulbehörde und Polizei starten.