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Gewaltexzess
„Wir haben damit nichts zu tun“

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Der Faschingsumzug durch Neckarweihingen am Mittag verlief friedlich. Am Abend kam es dann bei einer Feier am Gerätehaus der Feuerwehr zu Gewaltszenen gegen Polizisten.Foto: Theiss
Nach dem traditionellen Neckarweihinger Fasnetsumzug der Mistelhexen war es am Sonntagabend zu Gewaltszenen gekommen. Betrunkene, meist junge Männer, attackierten Polizisten, die Beamten lösten daraufhin mit Pfefferspray und Schlagstöcken die Versammlung auf. Nun distanzieren sich die Mistelhexen von dem Vorfall. „Unsere Veranstaltung war zu diesem Zeitpunkt längst vorbei“, sagt der Präsident Stefan Diefenbach.

Neckarweihingen. Dabei sei es doch ein schöner Tag gewesen. Der Umzug durch Neckarweihingen sei friedlich verlaufen. Froh, bunt, heiter sei die Atmosphäre gewesen. So wie immer, sagt Stefan Diefenbach, Präsident der Mistelhexen. Die Neckarweihinger Fasnetszunft organisiert jedes Jahr den beliebten Fasnetsumzug durch den Stadtteil. Zwei Tage danach ist aber alles anders. Diefenbachs Telefon hört nicht auf zu klingeln. Erst am Montagnachmittag hat er überhaupt erfahren, was sich am Sonntagabend für unschöne Szenen abgespielt hatten, erzählt er uns gestern. Er sei entsetzt gewesen.

Die Situation eskalierte gegen 20.15 Uhr auf dem Vorplatz des Gerätehauses der Neckarweihinger Feuerwehr. Die Feuerwehr betreibt dort jedes Jahr zum Umzug ihre „Blaulichtbar“, die laut der Facebook-Ankündigung von 13 bis 21 Uhr geöffnet war. Betrunkene Feierwütige attackierten Polizisten, diese mussten mit Pfefferspray und Schlagstöcken die Feier auflösen, heißt es in der Mitteilung des Polizeipräsidiums. Zehn Streifenwagenbesatzungen waren im Einsatz. Fünf Polizisten wurden verletzt, neun Angreifer vorläufig festgenommen. Die Krawallmacher waren alkoholisiert und fast alle unter 30-jährige Deutsche. Ob auch Mitglieder der Feuerwehr beteiligt waren, dazu will sich die Polizei nicht äußern. Das sei für die Ermittlungen nicht relevant. Wie viele Personen darüber hinaus beteiligt waren, müssen die Ermittlungen noch klären. Zum Zeitpunkt des Vorfalls waren jedenfalls noch etliche Besucher anwesend.

„Nach unserem Kenntnisstand waren keine Hästräger oder aktive Umzugsteilnehmer in die Schlägerei involviert“, betont Stefan Diefenbach. Er spricht von „betrunkenen Halbstarken“, die diese Gewalttaten ausgeübt hätten, von „Problemen wie in einem Fußballstadion“. Der Umzug sei zu dieser Uhrzeit schon lange vorbei gewesen. „Wir waren längst mit den Aufräumarbeiten fertig und zu Hause. Unsere Veranstaltung endete um 17 Uhr, da reisten die meisten Gastvereine ab“, so der Präsident. Man wolle sich von den Vorfällen distanzieren. Das haben die Mistelhexen gestern auch in einer Stellungnahme erklärt, die sie im Internet veröffentlicht haben. „Wir wollen nicht damit in Verbindung gebracht werden.“

Für Stefan Diefenbach geht es auch darum, mit Vorurteilen aufzuräumen. Der Vorfall rücke nämlich die gesamte Faschingsszene in schlechtes Licht. „Das tut unheimlich weh“, sagt Diefenbach. Denn ohnehin hätte die Fasnet mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. „In vielen Köpfen ist Fasnet nur ein Saufevent.“ Das stimme so aber nicht, betont er. „Wir machen den Fasnetsumzug und unsere anderen Veranstaltungen für Familien und Kinder.“ Auch deshalb besuche die Zunft jährlich in der Narrenzeit um die 15 Kindergärten und über zehn Altenheime. „Wir wollen die Freude und den Spaß weitergeben,“ sagt er. „Wir betreiben unser Hobby getreu nach dem Motto der schwäbisch-alemannischen Fasnet: ‚Jedem zur Freud und niemand zum Leid.‘“

Noch nie habe es in den 34 Jahren Vereinsgeschichte Stress gegeben, weder auf den Brauchtumsabenden noch bei den Umzügen. Insgesamt gebe es bei dem Faschingsumzug immer mehrere Stände, auch örtliche Vereine seien anwesend, da habe es nie Probleme gegeben. Zudem achte man bei den Mistelhexen auf den Alkoholkonsum. „Wenn einer von uns zu viel getrunken hat, darf er nicht mitlaufen“, sagt Diefenbach. Seit 2011 habe man auch die Regeln für den Alkoholausschank verschärft. Selbst Bier und Wein bekommen nur noch über 18-Jährige. Zugleich erklärt Diefenbach auch, warum Alkohol zur schwäbisch-alemannischen Fasnet traditionell dazugehört. „Fasnet ist ein Schwellenfest, das kurz vor Aschenmittwoch beginnt.“ Man hatte das zum Anlass genommen, alles zu verbrauchen, was man hatte, Lebensmittel und Alkohol, bevor die Fastenzeit beginnt. „So hat sich ein Fest daraus entwickelt.“

Dass Faschingsveranstaltung im Kreis überwiegend ruhig verlaufen, kann auch die Polizei bestätigen. „Bei den zurückliegenden Faschingevents war alles bis auf kleinere Vorkommnisse in Ordnung“, sagt der Pressesprecher des Polizeipräsidiums, Peter Widenhorn. Dass jedoch zu viel Alkohol zum Problem werden kann, ist für die Polizei nichts Neues. Das war am Sonntag der Fall. Als Beamte eine Schlägerei zwischen wohl drei angetrunkenen Beteiligten auflösen wollten, solidarisierten sich andere Anwesende auf einmal gegen die Polizei. Es kam zu Übergriffen gegenüber den Beamten. Das sei kein Einzelfall, sagt Widenhorn. „Gewaltdelikte gegen Polizisten steigen seit Jahren.“ Gab es 2013 noch 200 Vorfälle, sind 2016 bereits 315 Übergriffe verzeichnet worden. Die Gründe dafür sind vielfältig. „In der Regel ist Alkohol der Auslöser, da steigt die Aggressivität und die Hemmschwelle geht runter.“ Hinzu kommt der schwindende Respekt vor Polizisten und die Gruppendynamik.

Auch wenn sich die Mistelhexen von den Vorkommnissen deutlich distanzieren, gibt es dennoch eine Frage, mit der sie sich nun beschäftigen müssen: Wo endet ihre Verantwortung für den Tag der Veranstaltung? „Ich kann nicht bis nachts um vier Uhr dastehen. Und Ordner sind auch nur während des Umzugs parat“, sagt Stefan Diefenbach. Die Stadtverwaltung habe sich bereits bei den Mistelhexen gemeldet. Man wolle die Sicherheitsauflagen für den Umzug besprechen.

Gleichzeitig geht die Fasnet für die Neckarweihinger weiter. „Das große Faschingswochenende steht uns bevor“, sagt Diefenbach. „Da wollen wir fröhlich feiern. Durch solche Chaoten wollen wir uns unsere Freude nicht nehmen lassen.“