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Weststadt
Glocken schlagen jetzt leiser

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Ab sofort in den Nachtstunden leiser: Die Erlöserkirche an der Osterholzallee.Foto: Holm Wolschendorf
Weil zugezogene Anwohner sich beschwert haben, musste die Erlöserkirche umgebaut werden

Ludwigsburg. Nach der Stadtkirche vor zwei Jahren hat nun auch die Erlöserkirche an der Osterholzallee auf die Beschwerde von Anwohnern reagieren müssen. Ein Ehepaar war vor einigen Jahren ins Umfeld der Kirche gezogen und hatte sich im vergangenen Herbst über die Lautstärke des nächtlichen Glockenschlags beschwert. Eine vom Kirchengemeinderat initiierte Messung gab dem Paar recht: Der nächtliche Glockenschlag lag deutlich über dem für Mischgebiete zulässigen Grenzwert von 65 Dezibel.

Zunächst wurde darüber nachgedacht, die Glocken – wie vor zwei Jahren in der Stadtkirche am Marktplatz – nachts komplett abzuschalten, erklärt Joachim Stricker, der Pfarrer der Erlöserkirche. Das kam für viele Gemeindemitglieder aber nicht infrage. „Einige wollten spontane Demonstrationen starten, andere äußerten völliges Unverständnis, dass die Glocken abgeschaltet werden“, heißt es in einem Rundschreiben der Kirchengemeinde.

Also wurde über einen Umbau der Turmuhr nachgedacht, um die Glocken nachts leiser schlagen zu lassen. Das Problem: Die bisherige Uhr hatte nur einen 12-Stunden-Rhythmus und konnte daher nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden, erklärt Pfarrer Stricker. Also entschied der Kirchengemeinderat, die komplette Anlage von einer mechanischen auf eine elektronische Steuerung umzubauen. Dafür waren auch neue Motoren für die Glockenhämmer nötig.

Das Problem dabei: Die Gesamtkirchengemeinde Ludwigsburg, die auch für die Erlöserkirche zuständig ist, unterstützt solche Umbauten nicht. Die Glocken ihrer Kirchen – darunter auch die in der Stadt- und in der Friedenskirche – hat die Gesamtkirchengemeinde nach Auskunft von Kirchenpfleger Lothar Rücker nachts allesamt abgestellt. Die Erlöserkirche musste den Umbau in Höhe von etwa 6000 Euro also selbst finanzieren.

Ein Spendenaufruf in der Gemeinde und eine großzügige Einzelspenderin haben das am Ende möglich gemacht. Seit kurzem schlagen die Glocken zwischen 22 und 6 Uhr leiser. „Die Beschwerdeführer haben sich schon bei uns bedankt. Sie können nachts jetzt sehr gut schlafen“, erzählt Stricker. Er ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Theologisch sei der nächtliche Glockenschlag zwar nicht zwingend, er ist aber froh, dass diese Tradition fortgesetzt wird.

Laut dem Glockensachverständigen der evangelischen Landeskirche, Claus Huber, gibt es zwar immer wieder Beschwerden wegen angeblich zu lauter Glocken, von einer Welle könne man für Baden-Württemberg aber trotzdem nicht sprechen. Drei bis vier Fälle landen jedes Jahr auf seinem Schreibtisch – aber der Glockensachverständige wird auch nicht bei jedem Streit hinzugezogen.

Die Empfehlung der Landeskirche ist, bei Protesten zunächst einmal Messungen vorzunehmen. Werden die gesetzlichen Lärmgrenzen überschritten, empfiehlt die Landeskirche Jalousien (Schallläden) für die Schalllöcher am Turm oder technische Umbauten – da gebe es verschiedene Möglichkeiten, sagt Huber.

„Die überwiegende Mehrheit der Menschen möchte den Glockenschlag erhalten“, ist Huber überzeugt. Vor allem für ältere Menschen und Kranke sei der nächtliche Glockenschlag ein Trost, ein Zeitgeber und auch eine Mitteilung dafür, dass Gott da ist. Es sei jedenfalls nicht im Sinne der Landeskirche, die Glocken nachts ganz auszustellen. „Ich stelle mir das auch ziemlich schlimm vor – ein alter Ort, in dem es nachts totenstill ist“, sagt Huber.

Totenstill – so weit ist es in Ludwigsburg noch nicht überall. Zumindest bei den evangelischen Kirchen in den Vororten nicht. Ein Großteil von ihnen schlägt auch nachts die Uhrzeit – so wie es seit Jahrhunderten Brauch ist (Kasten rechts). Ganz im Gegensatz zu den katholischen Kirchen. Die haben nach Auskunft der Pfarrer Alois Kist und Frank Schöpe in Ludwigsburg nachts noch nie geschlagen, außer zu besonderen Feiertagen. Normalerweise schweigen sie aber zwischen 23 und 7 Uhr.

Bei den evangelischen Pfarrern sieht man die Sache kontrovers. Pfarrerin Eveline Kirsch aus Hoheneck findet es weitaus wichtiger, dass es friedlich mit den Nachbarn zugeht. Die Glocken in der Hohenecker Wolfgangkirche wurden daher schon vor einiger Zeit nachts abgestellt. Freimut Bott, Pfarrer in Oßweil, stellt sich bei diesem Thema die Frage: „Wie schnell wir unsere Traditionen und unser Kulturgut verändern wollen. Ich möchte nicht auf den Glockenschlag verzichten.“ Er fände eine Diskussion über dieses Thema sehr wichtig. Wie viele andere Ludwigsburger Pfarrer hat er erlebt, dass sich die Leute vor allem dann melden, wenn die Glocken nicht mehr schlagen – beispielsweise, weil Reparaturen anstehen. Er schließt daraus, dass der Glockenschlag für viele Menschen Vertrautheit bedeutet. „Schade, dass für Ludwigsburg keine einheitliche Lösung gefunden wurde.“

„Ich höre immer wieder Leute, die sagen, ohne Glocken würde etwas fehlen“, sagt Pfarrer Albrecht Häcker aus Poppenweiler. Ein Ende des Glockenschlags würde für diese Menschen einen Traditionsabfall bedeuten. Die Zeitansage verliere zwar immer mehr an Bedeutung, trotzdem sind die Kirchenglocken für Häcker ein wichtiges Symbol mit der Bedeutung: Wir sind da.