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Bildung
Schulversuch gestoppt, Noten Pflicht

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Die Kirbachschüler präsentieren stolz ihre alternativen Bewertungsordner. Schulleiter Rainer Graef (Mitte) und Klassenlehrer Andreas Zaiser sind von dem Versuch ebenfalls überzeugt, der jetzt vom Kultusministerium gestoppt wurde. Foto: Alfred Drossel
Als eine von zehn Grundschulen Baden-Württembergs hat die Kirbachschule in Hohenhaslach seit dem Schuljahr 2013/2014 am Versuch „Grundschule ohne Noten“ teilgenommen – mit Erfolg. Das Kultusministerium stellt den Versuch trotz vieler positiver Rückmeldungen jetzt ein, zum Unmut der Schulgemeinschaft im Sachsenheimer Stadtteil.

Sachsenheim. Eine Schule ohne Noten? Das ist für die meisten Schulkinder, Lehrer und Eltern wahrscheinlich undenkbar. Dass diese Idee aber gar nicht so ausgefallen ist, beweist der Versuch „Grundschule ohne Noten“, an dem zehn Schulen aus Baden-Württemberg erfolgreich teilgenommen haben. Eine davon: die Kirbachschule in Sachsenheim. Dort ist man von den alternativen Formen der Leistungsmessung und der Rückmeldung ohne Ziffernnoten begeistert.

„Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Versuch gemacht“, sagt Schulleiter Rainer Graef. „Dieser Versuch geht auf die individuelle Leistungsstärke der Schüler ein und fördert sowohl die leistungsstarken als auch die schwächeren Schüler.“ Umso erstaunlicher findet er es, dass der Versuch vom Kultusministerium eingestellt wird. „Neun der zehn teilnehmenden Schulen haben sich klar für die Verlängerung des Versuches ausgesprochen“, stellt Graef klar.

Die alternative Form der Leistungsrückmeldung würde den Kindern, anders als häufig Ziffernnoten, nicht die Motivation am Lernen nehmen. Zensuren würden außerdem den unterschiedlichen Leistungsüberprüfungen auf verschiedenen Niveaustufen nicht gerecht. So würde ein schwaches Kind, das eine für seine Verhältnisse gute Leistung vollbracht habe, womöglich eine Fünf erhalten. „Misserfolge gehören dazu. Diese können aber leichter hingenommen werden, wenn die Kinder wissen, dass sie nach einem Test die Gelegenheit haben, weiter zu üben, bis sie ihr Ziel erreichen“, erklärt Graef.

Ein weiterer positiver Effekt, der durch den Versuch „Schule ohne Noten“ deutlich geworden wäre, sei eine bessere Selbstwahrnehmung der Schüler. „Gerade das hören wir immer wieder von den weiterführenden Schulen“, erzählt Graef. „Kirchbachschüler sind in der Lage, ihren Lernweg gut und selbstständig einzuschätzen und mitzugestalten.“

Auch die wenigen Skeptiker habe man relativ schnell überzeugen können. So habe es in den vergangenen Jahren rund 30 bis 40 Anfragen von Eltern aus anderen Schulbezirken gegeben, die ihre Kinder in Zukunft gerne auf die Kirbachschule schicken würden. „Wir haben uns damals einstimmig für den Versuch entschieden. Die Akzeptanz stieg von Jahr zu Jahr, weil die Eltern gemerkt haben, dass der Versuch nichts mit Kuschelpädagogik zu tun hat, dass uns Leistung wichtig ist, dass wir den bestmöglichen Lernerfolg für jedes einzelne Kind möchten“, sagt der Schulleiter. Dies sei bei der Vergabe von Zensuren nicht möglich.

In einem Schreiben des Kultusministeriums wird die Beendigung des Versuches unter anderem damit begründet, dass das Projekt „nicht verlässlich wissenschaftlich begleitet“ wurde. Des Weiteren sei es dem Ministerium wichtig, „dass die Lehrer verantwortlich und pädagogisch begleitend mit dem Instrument der Ziffernnote umgehen“. Der Schulversuch werde allerdings schrittweise eingestellt, da Kindern, die am Schulversuch teilnehmen, Planungssicherheit gewährleistet werden solle. „Kinder, die ab dem Schuljahr 2018/2019 eingeschult werden, erhalten dann hingegen wieder Noten“, wird Ministerialrat Vittorio Lazaridis zitiert.

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg zeigt sich aufgrund der Beendigung des Versuchs entrüstet und erhebt Verwürfe gegen das Kultusministerium. „Die Streichung ist ein weiterer Alleingang der Kultusministerin, die sich offenbar nicht einmal mit dem wissenschaftlichen Ansatz des Schulversuchs befasst hat“, wird Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft, zitiert. „Kultusministerin Eisenmann begründet die Streichung mit der fehlenden Evaluation des Schulversuchs. Diese Evaluation war den Schulen aber genau vom Kultusministerium zugesagt worden. Die GEW erwartet, dass der Schulversuch verlängert und eine wissenschaftliche Begleitung eingerichtet wird.“ Der Schulversuch zeige deutlich, dass es auch andere Wege gebe, Leistung zu messen.

Schulleiter Rainer Graef will mit den anderen acht teilnehmenden Schulen, die von dem Versuch überzeugt sind, alles für eine Verlängerung tun. „Ob sich in dieser Angelegenheit noch etwas bewegen wird, kann ich nicht einschätzen“, sagt der Hohenhaslacher Pädagoge. „Für unsere jetzigen Erstklässler läuft der Versuch mit dem Schuljahr 2020/2021 aus. Dinge, die in der Vergangenheit gut gelaufen sind, werden wir auch in Zukunft weiter optimieren und nicht verbannen – nur, weil wir Ziffernnoten geben müssen.