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Bahnhof
Weiter Hürden für Barrierefreiheit

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Zur WC-Anlage im Bahnhof geht es nur über eine lange Treppe. Eine ebenerdige Lösung wird es in naher Zukunft nicht geben. Archivfoto: Alfred Drossel
Deutsche Bahn erteilt aufklebbaren Blindenleitlinien und Behindertentoilette eine Absage – Begründung: Regeln und Kosten

Bietigheim-Bissingen. Mit großem Tamtam war Ende Mai am Bietigheimer Bahnhof gefeiert worden. Rund sechs Millionen Euro hatten die Deutsche Bahn (4,4 Millionen), die Stadt (1,2 Millionen) und das Land (0,5 Millionen) beigesteuert, um, wie das Verkehrsunternehmen in einer Mitteilung stolz verkündete, den Bahnhof umfassend zu modernisieren und barrierefrei auszubauen. Doch ganz so barrierefrei wie dargestellt waren das Gebäude und die Zugänge vom Gleis – der teils große Spalt zwischen Bahnsteigkante und einigen Zugtypen bleibt bestehen – schon damals nicht.

Blinde monierten, dass es dort, wo die S-Bahnen von und nach Stuttgart fahren, keine Blindenleitlinien wie auf den modernisierten Bahnsteigen gibt. Und auch Oberbürgermeister Jürgen Kessing erinnerte in seiner Rede daran, dass es noch immer keine Lösung für die seit langem gewünschte Behindertentoilette gebe – die Anlage in der Vorhalle liegt einige Meter unterhalb und ist nur über Treppen zugänglich. Die Bahn versprach, man sei, gemeinsam mit der Stadt, an diesen beiden Themen dran. Doch nun kamen Absagen – und daran könnte sich auch in einigen Jahren vielleicht nur wenig ändern.

Denn vor allem auf die LKZ-Anfrage zur Behindertentoilette reagiert man bei der Bahn genervt. Aufgrund der baulichen Rahmenbedingungen sei ein behindertengerechter Ausbau der von einer Fremdfirma betriebenen WC-Anlage leider nicht möglich. Man nehme das Problem aber ernst und sei bestrebt, eine Lösung zu finden, heißt es zunächst schriftlich. Auf telefonische Nachfrage schiebt ein Sprecher den schwarzen Peter aber der Stadt zu. Der Bau einer ebenerdig zugänglichen WC-Anlage sei nur draußen, auf dem Bahnhofsvorplatz, möglich. Und das sei dann nicht mehr Gelände und Sache der Bahn. Die Stadt müsse hier deshalb den großen Teil der Kosten tragen – oder, wie es in der schriftlichen Antwort heißt: „Die DB bot der Stadt in Gesprächen zum Thema an, sich an einem Bau einer behindertengerechten Toilette zu beteiligen.“

Stadtsprecherin Anette Hochmuth ist von dem Thema ebenfalls genervt – weil sich so lange nichts tut, aber, so der Eindruck, noch viel mehr vom Verhalten. „Es ist ja nicht so, dass die Bahn die Toilette für uns hinstellen würde, sondern für ihre Kunden“, sagt sie. Die von dem Unternehmen gewünschte Aufteilung der Kosten – die Rede ist von einem sechsstelligen Betrag, die Bahn hätte nur einen Bruchteil bezahlen wollen – sei deshalb „völlig unverhältnismäßig“ gewesen. Im Gespräch sei auch gewesen, dass die Toilettenanlage im Innern aufgegeben und mit dem behindertengerechten Gebäude außerhalb zusammengeführt wird. Allerdings wird laut Bahn die bestehende Anlage „demnächst modernisiert“ – es wäre dann nach Angaben des Bahnsprechers unsinnig, in zwei Jahren wieder etwas zu ändern.

Es kann also noch weitaus länger dauern, bis sich vielleicht doch etwas tut. Denn bei der Stadt will man die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. In einigen Jahren werde vielleicht der Teil der Bahnhofshalle umgebaut, in dem heute das Reisezentrum und der Buchladen sind. „Da könnte man vielleicht auch eine WC-Anlage hinstellen“, so Anette Hochmuth.

Leitlinien nur bei Bahnsteigumbau

Und länger dauern könnte es auch mit Blick auf die Blindenleitlinien am S-Bahnsteig. Man habe das planerisch betrachtet und bewertet, heißt es bei der Bahn. Das Ergebnis: „Die angedachte Verlegung von „geklebten“ Leitlinien lässt sich mit dem bestehenden Regelwerk nicht vereinbaren.“ Möglich wäre also demnach nur eine Lösung wie auf den anderen Bahnsteigen: wenn der für die S-Bahnen mal saniert wird, werden spezielle Steine mit Erhebungen und Rillen eingesetzt.

Die Lösung mit aufgeklebten Leitlinien hatten schon vor der großen Einweihung des Bahnhofs einige Vertreter von Blindenverbänden aufgebracht. Als gelungene Beispiele wurde unter anderem der Bahnsteig in Böbingen-Hulb genannt, dort seien die Leitstreifen wohl noch gut erhalten, so Winfried Specht vom Blinden- und Sehbehindertenverband Baden-Württemberg.

Dass solche Klebelösungen funktionieren, versichern auch mehrere angefragte Hersteller. Doch auch sie verweisen mit Bedauern auf das Regelwerk der Bahn.

Eine Lösung für sehbehinderte S-Bahnfahrer gibt es in Bietigheim also nur, wenn der Bahnsteig saniert wird. Er war nicht mitgemacht worden, weil er die erforderliche Höhe und einen Aufzug aufwies. Damit, so hatte ein Sprecher einmal gesagt, genieße er Bestandsschutz. Hätte man die speziellen Steine eingesetzt, wäre das ein Eingriff in die Bausubstanz und die Kosten als solche nicht über jenes Landesprogramm gedeckt. Eigene Mittel für eine derart teure Maßnahme habe man nicht.

Specht will das nicht gelten lassen. Und am Thema – nicht nur für Bietigheim – dranbleiben. „Es kann nicht sein, dass Bahnhöfe barrierefrei umgebaut werden und einzelne Bereiche unverändert bleiben, weil sie bereits „barrierearm“ sind“.