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Schlossfestspiele
Auftaktkonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele: Eine Feier für den Triumph des Lebens

Oksana Lyniv dirigiert im Eröffnungskonzert das Festspielorchester... .Fotos: Reiner Pfisterer/p
Oksana Lyniv dirigiert im Eröffnungskonzert das Festspielorchester... . Foto: Reiner Pfisterer/p
Beim Mozart sitzt Iddo Bar-Shaï als Solist am Klavier. Fotos: Reiner Pfisterer/p
Beim Mozart sitzt Iddo Bar-Shaï als Solist am Klavier. Foto: Reiner Pfisterer/p
Der ehemalige Bundespräsident und Schirmherr der Festspiele, Horst Köhler hält die Eröffnungsrede. Fotos: Reiner Pfisterer/p
Der ehemalige Bundespräsident und Schirmherr der Festspiele, Horst Köhler hält die Eröffnungsrede. Foto: Reiner Pfisterer/p
Intendant Jochen Sandig begrüßt Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Ludwigsburgs OB Matthias Knecht. Fotos: Reiner Pfisterer/p
Intendant Jochen Sandig begrüßt Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Ludwigsburgs OB Matthias Knecht. Foto: Reiner Pfisterer/p
Ein denkwürdiges Eröffnungskonzert mit Mozart und Mahler: Oksana Lyniv dirigiert das Festspielorchester, Pianist Iddo Bar-Shaï brilliert am Flügel. Auch mahnende Worte mit Blick auf den Ukraine-Krieg, den Klimawandel und die Bedeutung der Kultur gibt es.

Ludwigsburg. „Eine Symphonie zu schreiben, heißt eine Welt zu errichten“, hat Gustav Mahler einmal seine Idee der musikalischen Großform charakterisiert. Im Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele, das nach zwei Corona-Jahren nun endlich wieder vor großem Publikum im Forum stattfinden konnte, waren es zwei musikalische Welten, die hier unmittelbar aufeinandertrafen: Mozarts 1786 komponiertes Klavierkonzert A-Dur (KV 488) und Mahlers unerhört komplexe, spannungsreiche, zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene 5. Sinfonie in cis-Moll. Dass sie statt der – unter Druck auf die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv durch Kulturinstitutionen ihres Heimatlandes – verhinderten „Pathétique“ Tschaikowskys gespielt wurde, war von brennender Aktualität. Was die fünf Sätze dieses über eine Stunde dauernden sinfonischen Kolosses über Krieg und Frieden, Mut und Verzweiflung, Erschütterung und Siegeshoffnung ausdrücken, überwältigt den Zuhörer bis zum Äußersten.

Wenn der Ex-Bundespräsident Horst Köhler in seiner Begrüßungsrede, Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ zitierend, nach dem Sinn von Musik in solch finsteren Zeiten dieses Ukraine-Krieges fragte, gaben Oksana Lyniv, Iddo Bar-Shaï und das Festspielorchester darauf überzeugende Antworten. Der israelische Pianist nahm das Publikum mit in die harmonisch heitere Welt von Mozarts Allegro-Kopfsatz, in dem er mit seinem Jeu perlé – dem feingliedrigen Spiel der Melodiebögen aus dem Handgelenk – den Steinway zum Singen brachte. Mit großer Streicherbesetzung und feinen Bläsereinsätzen schuf Lyniv dazu den kräftigen klanglichen Rahmen, die Kadenz hatte bedeutsame Pausenakzente. An der Grenze zur Largo-Langsamkeit zelebrierte Bar-Shaï das wehmütige fis-Moll-Adagio: innig, tiefgründig, die Seufzer-Motive bis ins Fahle auslotend. Die perlende Fröhlichkeit des Rondo-Finales setzte dazu den glänzenden Kontrast.

Größte Intensität und Ausdruckskraft

„Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt“: So überschreibt Gustav Mahler den ersten Satz seiner 5. Sinfonie, der die ganze Gewalt und Aggression einer Entwicklung aufarbeitet, an deren Ende dieses Ritual steht. Vier Trompeten blasen ein Militärsignal, die Dirigentin Oksana Lyniv steht bewegungslos vor dem Orchester, dann scheint ihr zierlicher Körper förmlich zu explodieren im ersten Tutti-Aufschrei, die Arme wie in Fechtbewegungen weit hinausgestreckt in die ungeheuren Klangeruptionen. Aus den tiefen Streichern entsteht der Grundrhythmus einer unsagbaren Traurigkeit, die sich immer wieder in rasenden Crescendi aufbäumt gegen Fatalismus und Resignation.

Energisch und mit heftigen Gesten befeuert Lyniv die blitzenden Ausbrüche der Blechbläser und Detonationen des Schlagwerks; in jedem Atemzug, jeder Armbewegung und jedem Handzeichen beherrscht sie die zahllosen Tempoveränderungen, welche Mahler in Partituranweisungen wie „Plötzlich schneller. Leidenschaftlich. Wild“ vorgibt. Theodor W. Adorno, einer der kundigsten Interpreten dieses Satzes, sah in dieser Musik „Angsttraum kommender Pogrome, in dem die schneidende Stimme des Mordbefehls und das Geschrei der Opfer sich überkreuzen.“

In einem Meer von Klangströmen

Auch im 2. Satz („Stürmisch bewegt, mit größter Vehemenz“) gestaltet Oksana Lyniv mit jeder blitzartigen Körperaktion das Chaos und die Komplexität der musikalischen Entwicklung, die dann plötzlich in einem strahlenden Bläserchoral gipfelt: Vorahnung der siegreichen Apotheose im Finale, die hier jedoch sofort abgewürgt wird, in sich zusammenstürzt. Mit größter Intensität und Ausdruckskraft meistern das Festspielorchester und seine Dirigentin diese erste Hälfte des Werks.

Beim Scherzo könnte Lyniv Mahlers Karikatur der Ländlerbehaglichkeit und dessen polyphone Vielstimmigkeit schärfer artikulieren, es gibt keine grotesken Brüche, die Wiedergabe scheint in ihrer Stimmigkeit schon auf das (durch den Visconti-Film „Tod in Venedig“ berühmte) Adagietto vorausgedacht. Hier scheut sich Lyniv nicht, in einem Meer von Klangströmen mit Harfe und Streichern ganz intensive Gefühle zu formulieren. Im Rondo-Finale kann das Festspielorchester noch einmal seine enorme instrumentale Ausdrucksfähigkeit ins Spiel bringen: Mit grandiosen Steigerungen feiert es den Triumph des Lebens. Dafür gab es Standing Ovations eines begeisterten Publikums

Auftakt mit Appellen für Frieden, Klima und Kultur

Ein bewegender Moment sei dies, erklärt Intendant Jochen Sandig mit fast schon leicht zittriger Stimme, als er ganz zu Beginn des Eröffnungskonzerts der Festspiel-Saison – coronabedingt seine erste unter weitgehend normalen Vorzeichen – das Mikrofon ergreift. „Wir haben drei Jahre darauf hingearbeitet.“ Er erinnert gleichzeitig auch daran: Vor ziemlich genau einem Jahr habe hier, im Forum, das Eröffnungskonzert stattgefunden, ebenfalls mit Oksana Lyniv am Pult – allerdings vor leeren Rängen, rein digital übertragen. Nun also erstmals vor Publikum, endlich!

Und doch ist es natürlich keine Zeit für grenzenlose Jubelstürme, macht er mit Blick auf den Ukraine-Krieg klar: „Unsere Herzen sind erschüttert.“ Der Abend trägt daher, wie schon seit kurz nach dem Angriff Russlands beschlossen, den Titel „No More War“. Dass selbst die Kultur in solchen Zeiten an vielen Ecken und Kanten unter die Räder gerät, haben die Festspiele jüngst schmerzlich erfahren müssen: So wurde die Uraufführung eines Werkes der ukrainischen Komponistin Victoria Poleva abgesagt, weil Letztere nicht in einem Programm mit russischen Werken – geplant war die 6. Sinfonie von Peter Tschaikowsky – gespielt werden wollte. Kurz darauf erhielt Lyniv aus ihrer Heimat die unmissverständliche Ansage nebst anonymer Drohungen, in diesen Zeiten keine russischen Werke zu dirigieren. Also wurde umgestellt, wenn auch widerwillig: nun also Mahlers Fünfte. Für die kurzfristige Umplanung, die Flexibilität gibt es Lob vom Intendanten an das Orchester der Schlossfestspiele.

Eine Transformation ist nötig

Dass solche Reaktionen zwar vielleicht manchmal notwendig, aber eigentlich nicht wünschenswert sind, macht Horst Köhler, Bundespräsident a.D., der gemeinsam mit seiner Frau Eva Luise Schirmpaar der Schlossfestspiele ist, in seiner Eröffnungsrede klar. Das Verbannen russischer Kompositionen sei der falsche Weg, schließlich dürfe man Herkunft und Haltung keinesfalls verwechseln. Gleichwohl sei der Schutz Lynivs durch die Festspiele richtig, genau so, wie weiterhin russische Musik zu spielen. Und überhaupt: „Geht es, dass man ein Konzert genießt, während dieser Krieg läuft?“, fragt er, diese Frage sei bohrend, und doch ist sie eher rhetorisch. Ja! Kunst und Kultur seien zu Erbauung da, für kostbare Momente, die jedem Anwesenden Hoffnung gäben, dass der Mensch nicht nur zu Zerstörung fähig sei. Die Musik dürfe sich nicht instrumentalisieren lassen, so Köhler – weder für das Gute noch für das Schlechte. Sie könne ohnehin die Gewalt nicht stoppen, denn „der Eroberungskrieg übertönt alles“.

Horst Köhler schlägt den Bogen zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die seit Sandigs Intendanz so zentraler Bestandteil der Festspiel-DNA ist. Ein Leben in Würde für jeden Menschen sei das Ziel dieser Agenda, als Gegenentwurf zur reinen Machtpolitik à la Putin. Dieser müsse zu den auch von Russland unterzeichneten Prinzipien zurückkehren, forderte Köhler und erinnerte an das Jahr 1962, als „Weltpolitik in Ludwigsburg gemacht wurde“. Charles de Gaulles Rede an die deutsche Jugend ging in die Geschichte ein, der damals noch jugendliche künftige Bundespräsident war dabei, als der französische Präsident und Bundeskanzler Konrad Adenauer durch die Stuttgarter Straße rollten und im Schlosshof für ein anderes Europa warben. „Europa ist wichtig“, so Köhler, „das müssen wir gerade jetzt begreifen.“ Eine Transformation sei nötig, ohnehin. Auch was den weltweiten Klimawandel angehe.

Emotionaler Abend für die Dirigentin

Nach dem Konzert trifft sich ein engerer Kreis der Festspielgäste – Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der eigens zum Konzert angereist kam, ist da schon nicht mehr dabei – zu einem Empfang im Marmorsaal des Schlosses. Neben Horst Köhler und Frau sind Ludwigsburgs Oberbürgermeister Matthias Knecht sowie die Protagonisten des Abends, Dirigentin Oksana Lyniv und Pianist Iddo Bar-Shai mit dabei. Ein fünfköpfiges Kammerensemble des Youth Symphony Orchestra of Ukraine, das derzeit als Teil des Festivalprogramms in der Stadt weilt, spielt als Überraschung für seine Gründerin Lyniv. Einen „wundervollen Abend“ bescheinigt OB Knecht dem Festspielorchester, dem Pianisten gar „elektrisierendes Spiel“. „Der Mozart hat uns alle erreicht – danke!“ Kurz vor dem Konzert habe ihm der Ministerpräsident eröffnet, dass Mahler wohl ein „schwerer Gang“ für ihn werde, so Knecht. Doch dann sei es doch ganz anders gekommen.

Es sei ein „unglaublich emotionaler Abend gewesen“, erklärt Oksana Lyniv. Bei beiden Werken des Abends habe sie an ihre Heimat, die Ukraine, denken müssen, seien doch sowohl Mozarts Vater als auch Mahler in Lemberg, dem heutigen ukrainischen Lwiw, gewesen. Mahlers Fünfte habe gut zur Situation gepasst: vom Trauermarsch zum Jubel. „Ich wünsche uns allen“, so Lyniv, „dass wir so bald wie möglich den Sieg holen und souverän und demokratisch bleiben.“

Hier geht es zum ersten Kurzbericht mit Bildergalerie.