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Klima
Bäume unter Stress

Ulrike Schmidtgen und Michael Kamps im Walckerpark an der Heilbronner Straße, der neu gestaltet wird. Im Hintergrund eine rund 60 Jahre alte Linde, die dem Parkhausbau weichen musste und umgepflanzt wurde. Foto: Holm Wolschendorf
Ulrike Schmidtgen und Michael Kamps im Walckerpark an der Heilbronner Straße, der neu gestaltet wird. Im Hintergrund eine rund 60 Jahre alte Linde, die dem Parkhausbau weichen musste und umgepflanzt wurde. Foto: Holm Wolschendorf
Linde, Kastanie und Co. leiden unter dem Klimawandel. Sorgt der regenreiche Sommer 2021 für Erholung? „Jein“, sagt Ulrike Schmidtgen. Die Fachbereichsleiterin Tiefbau und Grünflächen im Ludwigsburger Rathaus will allenfalls von einer „Atempause“ für die von Trockenheit und Hitze geplagten Bäume sprechen.

Ludwigsburg. „Es fängt langsam an“, beschreibt es Michael Kamps, der im Grünflächenamt für die städtischen Bäume zuständig ist. „Viele Bäume verlieren vorzeitig das Laub, versuchen sich so zu retten.“ Trockenschäden zeigen sich in der sogenannten Wipfeldürre (siehe unten). „Wir schneiden bei den betroffenen Bäumen die trockenen Äste zurück“, erklärt Ulrike Schmidtgen. Dann heißt es, abwarten und hoffen, dass der Baum sich erholt, wieder austreibt. Doch das ist längst nicht selbstverständlich. Die Trockenschäden arbeiten sich oft nach unten durch und sind irreparabel. „Drei heiße Wochen kann ein Stadtbaum aushalten, wenn er ansonsten gut dasteht“, sagt Michael Kamps. Doch inzwischen müssen die Bäume regelmäßig viel mehr verkraften.

„Die zehn heißesten Sommer seit den Wetteraufzeichnungen 1881 waren alle nach dem Jahr 2000“, so Ulrike Schmidtgen. Die Lage ist also ernst für die Bäume, vor allem in der Stadt, wo sich der Hitzestress durch viele Faktoren noch verstärkt. Asphalt und Häuser sorgen für eine Rückstrahlung und machen einen heißen Tag in der Stadt für die Bäume noch heißer. Die verdichteten und versiegelten Böden sorgen für erschwerte Bedingungen im Wurzelbereich. Der Wurzelraum ist eingeengt, weil sich Ahorn, Linde und Kastanie den Platz im Boden mit jeder Menge Leitungen teilen müssen. Und nicht nur das: Vielerorts wird der Boden immer wieder aufgegraben, um neue Leitungen, beispielsweise die Breitbandverkabelung zu verlegen. Das ist Gift für die Feinwurzeln. Ulrike Schmidtgen bedauert, dass bei den Ausführenden von Leitungsarbeiten und anderen Bauprojekten in der Regel der Blick auf die Bäume fehlt. Unbedacht werden Materialien und schwere Baufahrzeuge im Wurzelbereich geparkt. Das verdichtet den Boden und schädigt die Wurzeln. Manchmal werde gleich mehrfach kurz hintereinander an der gleichen Stelle gegraben. „Dann herrscht im Boden eine ständige Unruhe, die Bäume haben keine Möglichkeit, sich zu akklimatisieren“, so Schmidtgen.

Die Hitze macht dem Baum im Sommer zu schaffen, im Winter schädigt ihn im schlimmsten Fall das Streusalz von den Straßen oder Gehwegen noch zusätzlich.

Die Liste der Stressfaktoren für Stadtbäume ist lang. Doch sie ist noch nicht am Ende. „Durch länger anhaltende Trockenperioden werden die Baumbestände anfälliger für Schädlinge, Pilzerkrankungen und Bakterienerkrankungen“, so Schmidtgen. Besonders die In Ludwigsburg so beliebten Kastanien machen den Baumexperten Sorgen. So sind die durch Trockenheit geschwächten Kastanien nicht nur für die Miniermotte ein gefundenes Fressen. Das bakterielle Rosskastaniensterben (Pseudomonas Syringae) stört die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen und führt zum Absterben des Baumes, ein Gegenmittel sei nicht bekannt. „In Fachkreisen rät man inzwischen dazu, auf die Pflanzung von Kastanien ganz zu verzichten“, so Kamps.

Die Baumexperten zeichnen ein düsteres Bild für die Kastanie, Ahorn und Co. Sind die Bäume in Ludwigsburg noch zu retten? Wie werden die historischen Alleen in 30 Jahren aussehen? „Wir sind keine Hellseher“, sagt Michael Kamps. Er geht aber davon aus, dass beispielsweise Sommerlinden verschwinden und sich die hitzebeständigere Silberlinde durchsetzt. Die Wahl der richtigen Baumart steht bei Neuanpflanzungen für Schmidtgen und ihr Team im Fokus. Vor dem Eingang des Grünflächenamts stehen eigene Versuchsbäume: der Armur-Korkbaum, ein Kanadischer Judasbaum, eine Mehlbeere. Die Stadt bedient sich aus einer Liste von 63 Zukunftsbäumen, die sich als Straßenbäume besonders zu eignen scheinen – und vor allem trockene und heiße Perioden besser verkraften können.

Die Pflege der knapp 30000 Bäume in der Stadt, die entlang von Straßen und auf öffentlichen Plätzen stehen, wird für das Grünflächenamt immer aufwendiger. „Früher haben wir Jungbäume drei Jahre lang gewässert, heute sind es fünf Jahre“, so Kamps. Große alte Bäume haben einen besonders hohen Wert fürs Klima. Inzwischen ist es durchaus üblich, sie zu verpflanzen, wenn sie bei einem öffentlichen Bauprojekt im Weg sind. Damit ein solcher Baum eine Chance hat, müsse er inzwischen acht Jahre gegossen werden.

Vermehrte Trockenschäden, Pilze und Schädlingsbefall erfordern außerdem laufende Kontrollen. „Früher haben wir einmal im Jahr Baumkontrollen gemacht, inzwischen laufen diese ganzjährig“, so Schmidtgen. Die Gefahr, dass beim nächsten Sturm ein geschädigter Baum umstürzt, sei groß. Doch auch die Kontrollen sind keine Garantie, dass nichts passiert: Schäden an den Wurzeln lassen sich oft nicht erkennen. So kam es im April beispielsweise dazu, dass in der Oststadt eine große Robinie umstürzte, die erst kurz zuvor kontrolliert worden war. „Ein Gutachten hat ergeben, dass Hunde-Urin für das Abfaulen des Wurzelbereichs ursächlich war“, gibt Schmidtgen zu bedenken.

Baumpflege und Baumerhalt sind immer auch eine Frage des Geldes. „Stuttgart ist aktuell die einzige Stadt in Baden-Württemberg, die sich so um ihre Bäume kümmern kann, wie es nötig ist“, weiß Schmidtgen vom jüngsten Treffen mit Amtsleitern anderer Kommunen.