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Tag des Weißen Stockes
„Das Thema geht jeden an“

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Claudia Lychacz mit Rover, ihrem Unterstützer auf vier Pfoten. Foto: Holm Wolschendorf
Wie eine Nichtsehende ihren Alltag meistert – „Man kann auch als nichtsehender Mensch sein Leben leben“, sagt Lychacz

Ludwigsburg. „Dass ich blind bin, definiert mich nicht. Es ist nur ein Teil von mir“, sagt Claudia Lychacz. Sie geht gerne wandern, trifft sich mit Freunden zum Kochen und findet Entspannung bei Hörbüchern. „Man kann auch als nichtsehender Mensch sein Leben leben, auch wenn es nicht gerade einfach ist“, sagt sie selbstbewusst.

Allerdings sei es ein langer Prozess gewesen, den Umgang mit ihrem nachlassenden Augenlicht zu lernen, räumt die 39-Jährige ein, die in Freiberg wohnt. Als Zwillingskind, das zu früh geboren wurde, kam sie mit Grauem Star auf die Welt. Immer wieder wurde das Mädchen operiert. „Bei 60 habe ich aufgehört zu zählen“, so Claudia Lychacz. Konnte sie anfangs noch ausreichend sehen, verschlechterte sich ihre Sehkraft immer weiter. Heute verfügt sie auf dem linken Auge noch über zwei Prozent Sehkraft, erkennt Gegenstände als Flecken und kann bei guten Lichtverhältnissen verschwommene Farben unterscheiden.

Im rechtlichen Sinne gilt sie als blind. Nach dem Abitur hat sie Sozialarbeit studiert und ist seit Mai dieses Jahres bei der Beratungsstelle EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) beschäftigt. Außerdem arbeitet sie im Stuttgarter Dunkelrestaurant Rosenau des Vereins Aussicht, in dem Besucher einen Eindruck von der Welt der Nichtsehenden erhalten.

Der Langstock als Schutzzeichen

Seit dem 3. Januar dieses Jahres hat sie mit Rover, einer Mischung aus Labrador und Golden Retriever, Unterstützung auf vier Pfoten bekommen. „Ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie es vorher war“, schwärmt Claudia Lychacz von dem Hund. Rover führt seine Besitzerin sicher durch den Alltag, stoppt an Treppenstufen und führt sie um Hindernisse. Ausgebildet an der Hundeführschule in Allschwil in der Schweiz hört der Vierbeiner nur auf Kommandos in italienischer Sprache. Das hat nicht nur den Vorteil, dass sich die Worte mit ihren vielen Vokabeln gut anhören. „Mir kann niemand auf Deutsch reinreden“, erzählt Claudia Lychacz.

Seit dem Jahr 2005 ist sie nach einer Teilnahme an einem Orientierungs- und Mobilitätstraining mit einem Langstock unterwegs. Er dient als Schutz- und Erkennungszeichen und räumt blinden Menschen das Recht ein, ihren Weg zu gehen. Die Sehenden sollten ausweichen. So weit die Theorie. In der Praxis sieht das jedoch ganz anders aus: Leute, die auf ihr Handy starren und den Weg der Blinden kreuzen, oder Radfahrer, die nicht klingeln, sind Claudia Lychacz ein Gräuel. Auch Aufsteller auf den Bürgersteigen, Laternenmasten, schlecht gesicherte Baustellen oder Treppen sind Hindernisse. Stürze kommen deshalb immer wieder vor. „Nach meinem letzten Sturz vor drei Wochen brauchte ich anschließend eine Extraportion Mut“, schildert sie ihre Erfahrung. Man müsse sich dann mit der Frage beschäftigen, ob man zu Hause in seinem sicheren Umfeld bleiben oder sein Schneckenhaus verlassen und am Leben teilhaben wolle. Schön findet die sehbehinderte Frau es dagegen, wenn Menschen sie ansprechen und fragen, wie sie ihr helfen können. Auch in ihrem Stamm-Supermarkt seien die Mitarbeiter unglaublich freundlich, wenn sie an der Kasse nach einem Einkaufshelfer frage. Dort ist auch Rover willkommen.

Dass sie ihren Alltag alleine gestalten kann, verdankt die Sozialarbeiterin zahlreichen Hilfsmitteln. Ihr Smartphone mit vielen sinnvollen Apps gehört ebenso dazu wie die sprechende Küchenwaage oder der Sockensortierer. Eine spezielle Software ermöglicht es Claudia Lychacz, am Computer zu arbeiten. Sogar ein dezentes Make-up bekommt sie hin: „Für das Tuschen der Wimpern braucht man Geduld und eine ruhige Hand“, so die 39-Jährige. Und weil sie Schwarz und Türkistöne liebt, greift sie in Sachen Kleidung nie daneben. Ihre Mutter betätigt sich als Fleckendetektivin, während hilfsbereite Nachbarn der 39-Jährigen beim Putzen helfen oder mit ihr zum Einkaufen fahren.

„Niemand ist davor geschützt, seine Sehkraft zu verlieren“, gibt Claudia Lychacz zu bedenken. Sie verweist auf Augenkrankheiten wie Grüner Star oder die altersbedingte Makuladegeneration, Erblindung durch Tumore, als Folge eines Schlaganfalls oder nach einem Unfall. „Deshalb geht das Thema jeden an“, findet Claudia Lychacz. Ihr ist es deshalb wichtig, offen über dieses Thema zu sprechen. „Ich würde jedem Betroffenen raten, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Man muss das nicht alleine in den Griff bekommen“, so ihr Appell. Schließlich müssen sich die Menschen, die ihr Augenlicht verlieren, von vielen Dingen verabschieden.

Ein humorvoller Blick lohnt sich

„Es lohnt sich aber auch, einen humorvollen Blick auf seine Einschränkung zu werfen“, findet die sehbehinderte Frau. Und dann erzählt sie, wie sie jemanden im Kaufhaus nach dem Weg der Rolltreppe fragte, aber ihr Gegenüber partout nicht antworten wollte: Ihre Wut über so viel Ignoranz verrauchte erst, als sie feststellte, dass sie eine Schaufensterpuppe angesprochen hatte.

Info: „Schon mal gesehen? Leben mit einer Sehbehinderung“ lautet der Vortrag, den Claudia Lychacz am Mittwoch, 24. Oktober, ab 19 Uhr bei der Volkshochschule Ludwigsburg halten wird. Die Veranstaltung findet im Kulturzentrum statt, der Eintrittspreis beträgt 6 Euro. Anmeldung unter Telefon (07141) 9102438 oder per Mail an vhs@vhs-ludwigsburg.de.