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Analyse
Eine Stadt kämpft gegen die Jugend

Polizeieinsatz auf dem Akademiehof. Archivfoto: Holm Wolschendorf
Polizeieinsatz auf dem Akademiehof. Foto: Holm Wolschendorf

Ludwigsburg. In Coronazeiten gelten bestimmte Regeln, das ist richtig und vernünftig. Doch die Jugend hat’s nicht erst seit der Pandemie schwer. Wo sind Treffs überhaupt noch möglich? Wo können sich Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Azubis, überhaupt junge Menschen, noch begegnen – ohne Kontrolle, Maßregelung, Verdächtigung?

Selbst an einem Sommertag, wie diesen Mittwoch am Tag der Zeugnisausgabe, greift man durch, weil sich die jungen Leute – auch Geimpfte – auf dem Akademiehof treffen. Wieder rückt Polizei an, wird der Platz geräumt, wegen Missständen, angeblich übermäßigem Alkoholkonsum, wie es heißt.

Dabei sind viele darunter, wohl auch die Mehrheit, die diesem Bild ganz und gar nicht entspricht. Die sich einfach treffen, reden, Musik hören, neue Kontakte knüpfen. Nirgendwo sonst war das für eine lange Zeit möglich. Selbst in Bars, die in normalen Zeiten besucht werden, gibt es Beschränkungen. In einem Jugendtreff in Freiberg mussten sich junge Leute erneut für einen Test an einer Schlange anstellen, obwohl sie schon einen offiziellen Coronatest von einem Ludwigsburger Testzentrum vorzuweisen hatten. Geschäftemacherei? Die Jugend – sie fühlt sich derzeit gegängelt.

Und jetzt wird, obwohl davon geredet wird, Treffs zuzulassen, am Akademiehof durchgegriffen: Mit Scheinwerfern, als ob’s Hausbesetzer oder Illegale wären. Man denkt über Videoüberwachung nach, als ob bei den 16- bis 25-Jährigen schwere Straftaten gang und gäbe wären.

Eine Stadt und mit ihr die Polizei, so der Eindruck bei den jungen Leuten, kämpfen gegen die Jugend an. Selbst die Hochschulen in der Innenstadt reihen sich hier ein, obwohl es nach Beobachtung der Jüngeren oft gerade die älteren Semester und andere Gruppierungen sind, die tief in die Flasche schauen und meist zu späterer Stunde für Unruhe sorgen. Da müssen sich teils Filmakademie und Theaterakademie an die eigene Nase fassen.

Der Akademiehof ist ein öffentlicher Platz. Insofern ist trotz allem zu begrüßen, dass die Stadt einräumt, nicht alles verbieten zu wollen. Es sollen die Auswüchse eingedämmt werden, mögliche Schlägereien oder Messerstechereien, die es auch gab, verhindert werden. Das ist richtig, wichtig und gut, aber man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Seit wann wurden Dorf-, Stadtteil- oder Vereinsfeste polizeilich geräumt, weil manche über den Durst getrunken haben? Wenn beim Marktplatzfest in die Straßenecken gepinkelt wird, hat noch niemand darüber nachgedacht, das Fest zu verbieten oder mit Scheinwerfern und Videos zu überwachen.

Die Jugendlichen haben, auch wegen all der Einschränkungen in Coronazeiten, Nachholbedarf. Sie möchten endlich wieder etwas Luft und Liebe schnappen. Es ist aber mehr: Wie zu allen Zeiten wollen junge Leute etwas erleben, und das wird auch durch Verbote nicht verhindert.

Erst war es der Hungerberg, wo sich junge Leute zeitweise abends in Grüppchen getroffen haben. Die Polizei wurde gerufen, das Areal mehrfach geräumt. Derart vertrieben, war zeitweise das Gelände der Innenstadtschulen Treffpunkt, wo man Basketball spielte oder herumsaß; aber auch da räumte die Polizei auf. Wieder Verbote, teils wegen Corona berechtigt, teils nur, weil es Schulgelände ist. Zwei Mädchen auf einer Bank – verboten. Viele wichen nach Stuttgart aus, wo alles auf den Kleinen Schlossplatz strömte. Und wo sich alles erst recht zuspitzte.

Inzwischen ist der Akademiehof zum einzigen großen Treffpunkt in der Barockstadt geworden. Eigentlich ein friedlicher Treffpunkt. Es wäre also klug, nicht mit polizeilichen Maßnahmen zu übertreiben. Ludwigsburgs Polizeichef schätzt es richtig ein: „Ein eher kleiner Teil der Besucherinnen und Besucher des Akademiehofs hält sich nicht an die Spielregeln“, heißt es in einer Stellungnahme.

Für diesen kleinen Teil muss eine Lösung gefunden werden. Wie kann für Sicherheit gesorgt werden, ohne gleich alle mit einer Räumung des Platzes zu bestrafen? Wie kann die Polizei, die im Allgemeinen von den jungen Leuten sehr wohl respektiert wird, vorgehen, um nicht genau das Gegenteil zu erreichen?

Krawalle brauchen wir hier nicht – doch der Unmut steigt auch bei dem Teil der Jugend, der friedlich veranlagt ist. Klar ist, mit irgendwelchen Mitmachangeboten zielen diejenigen, die sich jetzt als Hobby-Sozialarbeiter sehen, komplett an den Interessen vorbei. Vielleicht fällt aber den Akademien etwas ein, was zieht. Das wäre allemal besser, als darüber nachzudenken, öffentliche Plätze für die Öffentlichkeit zu sperren.