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WM-Spiel
Erst Schockstarre, dann Jubelorgie

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Nach dem Sieg in allerletzter Sekunde gibt es kein Halten mehr: Freudenrufe und Autokorso folgen. Schließlich stürmen die Fans den B 27-Tunnel.Fotos: Holm Wolschendorf
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Kein Spiel für schwache Nerven: Auch in Ludwigsburg mussten Fans der deutschen Nationalmannschaft beim WM-Vorrundenspiel gegen Schweden ein Wechselbad der Gefühle durchleiden. Eine lange Schockstarre wich dann aber schlagartig einer Jubelorgie.

Ludwigsburg. Von Weltmeisterstimmung war seit Beginn des Turniers nicht viel zu spüren. Die enttäuschende Niederlage zum Auftakt gegen Mexiko löste nicht gerade Jubelstürme aus, und so ist die Atmosphäre im Ratskellerbiergarten am Samstagabend seltsam gedämpft.

Die Resonanz ist mit öffentlichen Übertragungen bei zurückliegenden Welt- oder Europameisterschaften nicht zu vergleichen. Die Reihen sind gut gefüllt, aber fast alle Besucher finden einen Sitzplatz. Nur einige junge Leute müssen spontan Sitzmöbel vom Rathausplatz in den Biergarten schleppen. Man sieht wenig Deutschlandtrikots, auch diverse Fanutensilien sind seltener als sonst. Ein junger Mann bläst in eine Vuvuzela, kann seinem Instrument aber nur klägliche Töne entlocken.

Der Anpfiff geht fast unter, zumal drei der fünf Großbildschirme kein Signal senden. Einer der beiden funktionierenden Fernseher sendet auch noch zeitversetzt, so dass eine Hälfte des Biergartens bereits die ersten vergebenen Chancen der deutschen Mannschaft beklagt, während sich der anderen Hälfte diese Reaktionen erst 20 Sekunden später erschließen. Auch der Ton fehlt. Das Biergartenpersonal sucht fieberhaft nach einer Lösung. Erst nach knapp zehn Minuten läuft die Übertragung einwandfrei, von gelegentlichem Ruckeln mal abgesehen.

Den größten Aufreger liefert zunächst eine wohl unabsichtliche, aber brutale Aktion gegen Sebastian Rudy, der im Fallen einen Tritt ins Gesicht abbekommt und mit blutverschmiertem Gesicht ausgewechselt werden muss. Eine Runde Mitleid im Biergarten, zu mehr reicht es bislang nicht.

Und es kommt noch schlimmer: Die Schweden fahren immer wieder gefährliche Konter, in der 32. Minute überwindet Ola Toivonen Torwart Manuel Neuer mit einem gekonnten Lupfer. Spätestens jetzt verfällt das Ludwigsburger Publikum in eine Schockstarre, die lange anhalten soll.

In der zweiten Halbzeit weicht die Lethargie zunehmend der Verzweiflung. Mittlerweile ist zwar der Ausgleich gefallen und die Deutschen machen Druck, können ihre Chancen aber nicht verwerten. „Gib mir die Playstation“, ruft ein junger Mann und fuchtelt mit den Händen, als Mario Gómez, alleine vor dem Tor stehend, den Ball mehrere Meter über das Gehäuse drischt. In der 82. Minute muss Jérôme Boateng, der bereits Gelb gesehen hat, nach einem völlig überflüssigen Foul vom Platz. Die aufkeimende Hoffnung schwindet abrupt, Deutschland steht endgültig vor dem Aus. Doch es soll anders kommen. In Unterzahl besinnt sich die Mannschaft auf ihre Stärken und wirft noch einmal alles nach vorne. Auch das Publikum wacht jetzt auf. Als Julian Brandt in der Nachspielzeit den Ball an den Pfosten hämmert, herrscht pures Entsetzen. Doch dann kommt Toni Kroos und sichert mit seinem genialen Freistoßtor in allerletzter Sekunde den wichtigen Sieg. Der Biergarten steht Kopf. Stühle und Bänke fallen um, Bierbecher fliegen durch die Luft, wildfremde Menschen liegen sich in den Armen. Nach diesem Herzschlagfinale wird natürlich weitergefeiert. Die Fans ziehen zur Sternenkreuzung, wo sich schnell ein Autokorso bildet. „In-den-Tunnel“-Rufe werden laut. Schließlich muss die Polizei die B 27 sperren. Hunderte von Fans strömen in den Tunnel, Feuerwerkskörper explodieren, Deutschland-Sprechchöre werden angestimmt. Lange sah es so aus, als wäre das deutsche WM-Abenteuer früh beendet. Stattdessen aber verwandelt sich die anfängliche Schockstarre schlagartig in eine ausgelassene Jubelorgie.