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Krisenbewältigung am Telefon

Silke Rapp vom Verein Tragwerk kümmert sich am Telefon um die Hilfsbedürftigen. Foto: privat
Silke Rapp vom Verein Tragwerk kümmert sich am Telefon um die Hilfsbedürftigen. Foto: privat
Viele soziale Einrichtungen in Ludwigsburg stehen den Menschen in der Coronakrise am Telefon bei. Etliche bieten sogar Notfallnummern an. Wer ruft dort an? Und welche Sorgen haben die Menschen?

Ludwigsburg. „Unser Sorgentelefon nimmt langsam Fahrt auf“, sagt Natallia Schwarz von der Sozialberatung der Caritas. Die katholische Organisation gehört zu den vielen Einrichtungen, die derzeit ganz besonders gefordert sind. „Erst gestern hatte ich zwei Anrufe von Menschen, die jetzt in Hartz IV gerutscht sind“, sagt Schwarz. Bei ihr häufen sich Anfragen zum Kurzarbeitergeld, aber sie hat auch schon Anrufe von Menschen gehabt, die plötzlich völlig mittellos sind. Zum Beispiel von einem Studenten, der seinen Nebenjob verloren hat, aber kein Hartz IV bekommt. Oder von EU-Ausländern, die kein Geld mehr verdienen, weil die Leiharbeitsfirmen keine Aufträge mehr an sie vergeben. Und EU-Bürger, die erst kurz hier sind, haben keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung.

Doch Natallia Schwarz erhält auch ganz andere Hilferufe. Etwa von einer Seniorin deren Waschmaschine kaputt ist und die momentan nicht weiß, wie sie das Problem beheben soll. Oder von einer Frau, die jetzt festgestellt hat, dass der Zustand in der Wohnung, in der sie seit zwölf Jahren lebt, untragbar ist, weil sie sich in der Etagendusche von Männern belästigt fühlt, die auf einmal alle zu Hause sind. Schwarz hat ihr Tipps für mehr Sicherheit und Privatsphäre gegeben.

Kaum Anrufe über Notfallnummer

„Vielen Anrufern ist die Gewissheit wichtig, dass wir jetzt für sie da sind.“ Natallia Schwarz ist sicher, dass die Existenzängste und Sorgen vieler Menschen in den kommenden Tagen und Wochen noch zunehmen werden. „Bisher leben viele Menschen noch von ihren Ersparnissen.“

Neben der Caritas haben auch andere soziale Einrichtungen Sorgen- und Notfallnummern geschaltet. Zum Beispiel die Sozialberatung TIB, die sich unter anderem um gewalttätige Männer und Straffällige kümmert. Alle Beratungen und Kontakte müssen derzeit telefonisch organisiert werden, das funktioniere aber relativ gut, sagt Sandra Metz-Höger, die mit Tätern von häuslicher Gewalt in Kontakt steht. Bisher sind ihr in den Familien, die sie betreut, keine Fälle von Gewalt aufgrund der Ausgangsbeschränkungen bekannt. Bei manchen bewirke die Coronakrise sogar das Gegenteil. Metz-Höger hat den Eindruck, dass einige Paare, die Probleme hatten, sich derzeit zusammengerafft haben. „Die direkte Konfrontation in der Wohnung ist für manche etwas Gutes. Dann kann man sich nicht aus dem Weg gehen.“

In den vergangenen drei Wochen kam von der Polizei nur ein Fall von häuslicher Gewalt samt Platzverweis bei TIB an. „Wir gehen aber davon aus, dass es mehr wird.“ Die eigens eingerichtete Hotline der Sozialberatung hat bislang niemand beansprucht. Metz-Höger hebt aber hervor, dass die nicht nur für Täter, Opfer oder Hilfesuchende gedacht ist, sondern auch für alle, die das Gefühl haben, kurz vor dem Ausrasten zu sein.

Beim Kinderschutzbund gibt es bislang nur wenige Anrufe über die Notfall-Hotline, sagt die Mitarbeiterin Imke Hirsch. Die Sozialpädagogin rechnet aber damit, dass sich das demnächst ändern könnte. „Es ist schwierig zu prognostizieren, wie Familien darauf reagieren, wenn über einen langen Zeitraum die Tagesstruktur fehlt“, sagt Hirsch. Bei einigen führe das bestimmt zu Schwierigkeiten. Andere Familien genießen die Zeit ohne Termine und Verpflichtungen vielleicht sogar. Vor allem für ältere Kinder sieht sie die Situation aber problematisch. Da die Schule ausfällt und die Schüler selbst organisiert arbeiten sollen, steigt zu Hause der Druck.

„Wir haben täglich Kontakt zu Menschen, die wir schon kennen, aber es kommen auch neue dazu“, sagt Silke Rapp vom Verein Tragwerk, der sich um Chancengleichheit kümmert. Tragwerk hat sich ebenfalls dazu entschieden, in der Coronakrise eine Nummer für Menschen anzubieten, die sich alleine fühlen oder Angst haben. Die Anrufer haben oft ganz alltägliche Sorgen, suchen etwa eine Einkaufshilfe oder möchten wissen, wie man einen Tafelausweis beantragt. Ein Anrufer wollte wissen, ob er mit seinen Bekannten jetzt noch Karten spielen darf, erzählt Silke Rapp. „Ein älteres Ehepaar hat angerufen, einfach weil sie uns hören wollten, falls sie mal Hilfe brauchen.“

Menschen mit psychischen Problemen könne jetzt schon die Decke auf den Kopf fallen. Daher bemühe sich Tragwerk auch, aktiv mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. „Wir versuchen alles, was sonst real stattfindet, jetzt virtuell zu machen.“ So gibt es derzeit Basteltipps oder Rezepte zum Nachkochen im Netz, ältere Menschen bekommen die Tipps mit der Post zugeschickt.

Bei der Stiftung Invitare, die sich vor allem um junge Mütter kümmert, laufen alle Beratungen mittlerweile über das Telefon. Für die Eltern, die Invitare betreut, sei die Gestaltung des Alltags jetzt oft schwierig, da die Kinderbetreuung weggefallen ist, sagt Stefanie Hecht-Weber vom Vorstand der Stiftung. Unlängst habe sie die Rückmeldung von einer jungen Mutter bekommen, der es unglaublich wichtig sei, mit jemand von außen zu sprechen. Die Krisennummer von Invitare hat bisher niemand angerufen. Hecht-Weber könnte sich aber vorstellen, dass sich die Situation in einigen Familien über die Feiertage verschärft.

Steigt die Zahl der sexuellen Übergriffe?

Bei der Beratungsstelle Silberdistel, die sich um Kinder und Jugendliche kümmert, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, bereitet man sich darauf vor, dass es nach der Coronakrise vermehrt zu Anfragen kommt. „Wir können uns vorstellen, dass die Fallzahlen steigen, jedoch fehlt Kindern und Jugendlichen aktuell die Möglichkeit, sich an Fachkräfte in Schulen und Kindertageseinrichtungen wenden zu können“, sagt Karin Haas vom Verein Silberdistel. Bislang gebe es jedenfalls keine vermehrten telefonischen Anfragen und Beratungsfälle.

In der Diakonie geht derzeit ebenfalls nichts ohne das Telefon. „Wir haben alle Beratungsangebote auf das Telefon umgestellt“, sagt der Geschäftsführer Martin Strecker. In den meisten Bereichen klappe das gut, nur in der Schwangerschaftskonfliktberatung sei es schon schwierig, wenn man das Gespräch nicht unter vier Augen in einem Beratungsraum führen kann.

Auch bei der Diakonie laufen die ersten Fragen zum Kurzarbeitergeld und die ersten Gespräche, in denen es um existenzielle Ängste durch die Coronakrise geht, ein. Martin Strecker rechnet aber damit, dass die ganzen Folgen der Wirtschaftskrise erst ab Mai/Juni voll zu spüren sein werden – dann auch mit vielen Hilfesuchenden, die sich an die Diakonie wenden.

Hilfe bei häuslicher Gewalt

Experten befürchten in der Coronakrise eine Zunahme von Fällen häuslicher Gewalt. Das Landratsamt verweist daher auf Anlaufstellen, die Unterstützung anbieten:

Jugendamt, Telefon (0.71.41) 14.43.86. Montags bis freitags von 8.30 bis 12 Uhr, montags bis mittwochs von 13.30 bis 17 Uhr, donnerstags, von 13.30 bis 18 Uhr.

Silberdistel, Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen. www.silberdistel-ludwigsburg.de, Telefon (0.71.41) 6.88.71.90. Montags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr.

Weißer Ring, Opferberatung. www.weisser-ring.de, Telefon 11.60.06. Täglich von 7 bis 22 Uhr. Außenstelle Ludwigsburg: (01.51) 55.16.48.54.

Hilfetelefon für „tatgeneigte“ Personen. www.bevor-was-passiert.de, Telefon (08.00) 7.02.22.40. (red)