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Benefizveranstaltung
Ludwigsburg im Diskurs mit Kunstschaffenden: Wenn der Krieg die Kunst bedroht

Lena Gorelik. Fotos: Holm Wolschendorf
Lena Gorelik. Foto: Holm Wolschendorf
Katherine Zyabluk spielt beim Benefizabend. Fotos: Holm Wolschendorf
Katherine Zyabluk spielt beim Benefizabend. Foto: Holm Wolschendorf
Natürlich war die Benefizveranstaltung „No more War“, die am Donnerstagabend im Kunstzentrum Karlskaserne stattfand, von den Schrecken des Ukraine-Kriegs gekennzeichnet. Beleuchtet wurde aber auch, dass der Krieg die Kunstfreiheit in den westlichen Ländern bedroht.

Ludwigsburg. Die Diskussion um den Umgang mit russischer Kunst und Kultur „läuft in die völlig falsche Richtung“, findet Jürgen Walter, als er die zahlreichen Besucher in der Reithalle des Kunstzentrums Karlskaserne begrüßt. Der ehemalige Landtagsabgeordnete moderiert an diesem Abend in seiner Funktion als Vorsitzender des Fördervereins der Filmakademie. Der Förderverein hat die Benefizveranstaltung „No more War“, deren Erlöse an den Kinderschutzbund gehen, federführend organisiert.

Als er im Radio erstmals von einem im Raum stehenden Boykott russischer Künstler hörte, habe er als erste Reaktion ein Stück von Schostakowitsch aufgedreht, um seinen innneren Widerwillen zu kanalisieren, erzählt Walter. „Wir brauchen Solidarität mit allen, die gegen Putin kämpfen“, sagt der Moderator, „aber so geht’s auch nicht“.

Im weiteren Verlauf präsentiert Walter mit der aus Kiew stammenden Pianistin Katherine Zyabluk eine Künstlerin, die mit ihrer Kunst einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten will. Trotz des Kriegs in ihrem Heimatland stelle sie in ihrer Musik die Schönheit der Ukraine in den Mittelpunkt, betont sie, als sie am Flügel Platz nimmt.

Kompositionen mit ukrainischer Folklore durchsetzt

Die Pianistin hat nicht zu viel versprochen. Zyabluk trägt eigene Stücke vor; träumerische, sphärische Kompositionen, in die sie immer wieder Versatzstücke ukrainischer Folklore einfließen lässt. In anderen Liedern hat sie traditionelles ukrainisches Liedgut neu arrangiert. „Musik ist die Waffe der ukrainischen Künstler, die anderen hilft, weiterzukämpfen“, meint sie. „Die Waffe, die andere glücklich macht.“

Dass Verständigung möglich ist, beweisen Yelyzaveta Davydenko und Alina Yklymova, zwei Studentinnen der Filmakakademie, die gemeinsam in einer WG leben. Davydenko hat ukrainische, Yklymova turkmenische und russische Wurzeln. Davydenko geht davon aus, dass den ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland eine langfristige Perspektive geboten werden muss. „Die Menschen aus Mariupol werden nicht in diesem Jahr zurückkehren können.“

In der Kunst keine Ausschlussmechanismen dulden

Schrifstellerin Lena Gorelik, die sich einen Virus eingefangen hat und sich per Livestream zuschaltet, liest aus ihren jüngst verfassten Texten, in denen sie sich seit dem 24. Februar intensiv mit dem Ukraine-Krieg auseinandergesetzt hat. Die 41-Jährige wurde in Russland geboren und hat einen ganz eigenen Blick auf die Ereignisse. Aufgewachsen in St.Petersburg, kam sie 1992 mit ihrer jüdischen Familie als sogenannter Kontingentflüchtling nach Deutschland, vorübergehend lebte die Familie in einer Ludwigsburger Flüchtlingsunterkunft. Goreliks Selbstbespiegelung und ihr Hang zur Fokussierung auf eigene Befindlichkeiten wirken angesichts des Leids der ukrainischen Bevölkerung mitunter befremdlich. Sie scheint sich dieses Dilemmas bewusst, wenn sie sagt: „Das Leben geht weiter, während es das für andere nicht tut.“

In der Vergangenheit habe sie sich von nationalen Zuschreibungen ferngehalten und sich nie als Russin bezeichnet. Jetzt aber lese sie nicht nur in der Zeitung, dass Kinder mit russischen Wurzeln an deutschen Schulen angefeindet und in der Bundesrepublik die Scheiben russischer Geschäfte zerstört würden, sondern auch, dass die Mailänder Universität ein Dostojewski-Seminar aus dem Lehrplan gestrichen oder das Montreal Symphony Orchestra ein Konzert mit dem russischen Pianisten Alexander Malofeev abgesagt habe – obwohl der junge Künstler den Krieg ausdrücklich verurteile.

Bei solchen Maßnahmen handele es sich um „Cancel Culture“, sagt Gorelik. Gerade in Deutschland seien solche Forderungen perfide, schließlich sei „Cancel Culture“ hierzulande in der Vergangenheit stets der Vorwurf der Zensur entgegengebracht worden. Solche Ausschlussmechanismen spielten letztendlich Putin in die Karten und führten dazu, dass die Kunst ihrer Funktion, Brücken zwischen verschiedenen Kulturen zu bauen, beraubt werde. Momentan sei diese Funktion mit Blick auf die Zukunft aber wichtiger denn je, betont die Schriftstellerin. „Jetzt wäre die richtige Zeit, Brücken zu bauen. Sonst ist es wahrscheinlich zu spät.“