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Lange Nacht der Inklusion
„Wir müssen die Blockaden lösen“

„ I am Champion“: (Fast) ohne Publikum stand T Truth von Lubu Beatz auf der Scala-Bühne. Den leeren Zuschauerraum im Rücken, rappte er für die Kamera, die seinen Auftritt per Zoom in rund 100 Wohnzimmer übertrug. Moderator Felix Bernhard (links) verk
„ I am Champion“: (Fast) ohne Publikum stand T Truth von Lubu Beatz auf der Scala-Bühne. Den leeren Zuschauerraum im Rücken, rappte er für die Kamera, die seinen Auftritt per Zoom in rund 100 Wohnzimmer übertrug. Moderator Felix Bernhard (links) verknüpfte die Live-Auftritte mit den Zuschauern, auf der Leinwand wurden auch deren Kommentare angezeigt und einbezogen. Ganz oben ist auch Oberbürgermeister Matthias Knecht zu sehen, der später im Online-Interview zur Inklusion bekannte, „als Stadt haben wir noch einiges zu tun“. Foto: Holm Wolschendorf
Technik im Hintergrund: Scala und Oli TV brachten online Künstler und Zuschauer zusammen.
Technik im Hintergrund: Scala und Oli TV brachten online Künstler und Zuschauer zusammen.
Schattenspiele: Das Märchen von der Prinzessin auf der Erbse brachte das Schattentheater vom inklusiven Harfenorchester auf Bühne und Bildschirm.
Schattenspiele: Das Märchen von der Prinzessin auf der Erbse brachte das Schattentheater vom inklusiven Harfenorchester auf Bühne und Bildschirm.
Heimisches Sofa statt Festsaal, Bildschirm statt Bühne: Die lange Nacht der Inklusion fand am Samstag im Internet statt. Ein paar technische Tücken beiseite, lieferte das Netzwerk Inklusion mit 20 Auftritten und Interviews über vier Stunden ein buntes und informatives Programm. Der Tenor: Es wird einiges getan, aber es ist lange nicht genug.

Ludwigsburg. „Ich bin der, der am Samstagabend, auch ohne Corona, zu Hause sitzt und Texte schreibt.“ Es war der Slam Poet Kai Bosch, per Video zugeschaltet, der in diesem Satz zusammenfasste, was diese virtuelle Lange Nacht der Inklusion ausmachte. Statt an mehreren Veranstaltungsorten wie bei der Premiere 2017 wurde Coronas wegen per Zoom aus dem Scala gesendet. Und es war ein hoch inklusiver Ersatz.

Nicht nur deshalb, weil die Übersetzung per Gebärdensprache bequem am Bildschirm zu sehen war. Yogi Rolf Lang wurde im Rollstuhl bequem per Video zugeschaltet. Im Chat und auf der Bühne waren Kommentare wie „Wir müssen die Blockaden lösen“ sofort sichtbar. Kai Bosch agierte mit Leidenschaft vor der Kamera. „Du läufst so anders“, so sein Dialog. „Das ist doch wunderbar“, antwortet sein zweites Ich, „früher ist alles gleich gelaufen.“

Anders gelaufen ist an diesem Samstag so ziemlich alles. Moderator Felix Bernhard wurde von Scala-Macher Edgar Lichtner erst einen Tag vorher als Ersatz engagiert – der Autor und Unternehmensberater führte souverän durch einen Abend, der von Lubu Beatz über Upcycling mit Mandy Pierer von Tragwerk und der Sängerin Beth Munroe bis zu den Videoinstallationen von Laurenz Theinert führte. Zartbitter tanzte per Video, Siegfried Saerberg und Markus Weissen stellten ArtBlind vor, das Blinden Bilder „sichtbar“ macht. Das Netzwerk Inklusion, das 32 Institutionen vereint, zeigte ein schillerndes Kaleidoskop mit Menschen, die anders sind als der Mainstream der Gesellschaft. Nicht behindert, anders, wie es mehrmals laut wurde.

Lauter hätte auch Silke Rapp von Tragwerk werden können, die mit dem Verein für Chancengleichheit immer wieder an Barrieren stößt. Sie plädierte für eine gesicherte Finanzierung der Projekte, etwa des Erfolgmodells Café L‘ink, das inklusiv arbeitet. Sie hat selbst erlebt, wie die Stadt und der Gemeinderat die Förderung des Cafés im Mehrgenerationenhaus Grünbühl stoppten. „Wir müssen immer wieder von vorne anfangen.“ Auch Eckart Bohn, ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter des Kreises, beschwörte Erfindungsreichtum. „Um etwas umzusetzen, braucht man meistens Geld“, sagte der ehemalige SPD-Stadtrat, der just an seinem 77. Geburtstag auf der Scala-Bühne saß. „Der Behindertenbeauftragte hat kein Geld, da muss man sich was überlegen.“ In vier Jahren sei das Thema Barrierefreiheit „in den Rathäusern angekommen“.

Gleich zwei Vertreter der Ludwigsburger Verwaltung, Oberbürgermeister Matthias Knecht und der Erste Bürgermeister Konrad Seigfried, nahmen per Video Stellung. In Sachen Inklusion „haben wir als Stadt noch einiges zu tun“, sagte Knecht. Seine Zukunftsvision: Videostream von Gemeinderatssitzungen. Von Bernhard auf einen hauptamtlichen Behindertenbeauftragten angesprochen, sagte er, er könne sich eine solche Stelle durchaus vorstellen. Im öffentlichen Nahverkehr und Straßenraum hätten viele Behinderte „Mühe, sich ganz normal fortbewegen zu können“.

Seigfried indes erteilte einer eigenen Stelle eine Absage. „Ich bin kein Freund davon, dass wir das an eine Stelle binden.“ Die Belange Behinderter würden durch mehrere in der Verwalung betreut. Gleichzeitig warnte er davor, Inklusion in Zeiten von Corona und schlechter Finanzen an den Rand zu schieben.

In viereinhalb Stunden schalteten sich zu Hochzeiten 106 Zuschauer dazu, im Online-Stream waren es weitere 60. „Es war der Hammer“, sagte ein begeisterter Edgar Lichtner gestern, mit einem riesigen Organisationsaufwand, aber auch mit riesigem Lerneffekt. „Wir wollten Scheu und Ängste abbauen“, sagte er. Das Experiment hat Folgen: Am Mittwoch startet Scala TV mit mehreren Veranstaltungen pro Woche. Und wer die Lange Nacht verpasst hat: Bis zum Wochenende, verspricht er, wird das Video auf der Scala-Webseite ( www.scala.live) zu sehen sein.