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Fahrverbot
Wo überall Stickstoffdioxid gemessen wird

Geballte Messung an der Friedrichstraße: links die zentrale Messstation des Landes rechts oben eine der Testboxen der Firma Bosch. Foto: map
Geballte Messung an der Friedrichstraße: links die zentrale Messstation des Landes rechts oben eine der Testboxen der Firma Bosch. Foto: map
Diese Messbox von Bosch thront an einem Masten über der Stuttgarter Straße (B 27) in der Südstadt. Foto: Robert Bosch GmbH
Diese Messbox von Bosch thront an einem Masten über der Stuttgarter Straße (B 27) in der Südstadt. Foto: Robert Bosch GmbH
Ist die Keplerstraße so hoch belastet, wie ein Gutachten vermutet. Ein sogenannter Passivsammler misst seit einigen Wochen die Werte für Stickstoffdioxid. Foto: map
Ist die Keplerstraße so hoch belastet, wie ein Gutachten vermutet. Ein sogenannter Passivsammler misst seit einigen Wochen die Werte für Stickstoffdioxid. Foto: map
Die kontroverse Debatte um ein Dieselfahrverbot führt dazu, dass in diesem Jahr in Ludwigsburg an mehr Stellen als je zuvor die Luftqualität gemessen wird. Zum Teil auch ganz heimlich.

Ludwigsburg. Lange Jahre waren es nur zwei Messstationen, die Werte über Schadstoffe in der Ludwigsburger Luft lieferten. Zum einen die Messstelle in der Friedrichstraße. Dort geht es um Feinstaub und Stickstoffdioxid an einer durch den Verkehr besonders belasteten Stelle der Stadt. Die zweite Station liegt in der Weststadt nahe dem Bildungszentrum West und der Rundsporthalle. Sie soll zeigen, wie es abseits des großen Verkehrs, im sogenannten städtischen Hintergrund, um die Luftqualität bestellt ist.

In diesem Jahr schnellt die Zahl der Messpunkte in ganz neue Dimensionen. Es gibt in Ludwigsburg mindestens 25 Standorte, an denen gemessen wird. Damit gibt es derzeit weit und breit wohl keine zweite Stadt, in der an so vielen Stellen die Luftqualität beobachtet wird: Da betreibt die Landesanstalt für Umwelt ein Dutzend offizieller Messpunkte. Dazu kommen 13 Standorte für die Entwicklung von neuartigen Messboxen. Und darüber hinaus muss man von einer unbekannten Zahl an Messpunkten ausgehen, welche die Deutsche Umwelthilfe und Umweltschützer eingerichtet haben.

Hier ein Überblick über die aktuelle die aktuelle Lage und wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist:

Lange allein im Blickpunkt:die Friedrichstraße

Diese Messstation ist seit 2003 in Betrieb. Nach Voruntersuchungen auch an anderen Stellen der Stadt wurde der Standort damals als der am stärksten vom Verkehr belastete ausgewählt. Seitdem entscheiden die hier gemessenen Werte für Feinstaub und Stickstoffdioxid darüber, ob in Ludwigsburg die Grenzwerte überschritten werden. Das war von Anfang an der Fall.

Lange war vor allem der Feinstaub im Blickpunkt. Die Belastung mit Ruß und Staub ging kontinuierlich zurück, seit 2014 wird der Grenzwert unterschritten. Auch beim Stickstoffdioxid ist die Belastung zurückgegangen, sie liegt aber mit einem Jahresdurchschnittswert von 46 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft noch immer über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm.

Anlass für juristischen Streit: vier Messpunkte zur Kontrolle

Im direkten Umfeld der Messstation Friedrichstraße hat das Land in den vergangenen Jahren erst zwei und dann nochmal zwei zusätzliche Messpunkte für Stickstoffdioxid eingerichtet. Bei drei dieser vier Messpunkte liegen die Ergebnisse inzwischen unter dem Grenzwert. Das führt zu juristischem Streit. Laut Gesetz muss die zentrale Messstation repräsentativ sein für einen Straßenabschnitt von 100 Meter Länge.

Die Frage: Erfüllt ein Dieselfahrverbot noch die gesetzliche Anforderung der Verhältnismäßigkeit, wenn in einem solchen Abschnitt an drei Stellen der Grenzwert bereits unterschritten ist? Stadt und Land vertreten immer offensiver ein „Nein“. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim dagegen hielt sich Ende des vergangenen Jahres in seinem Urteil an den einen zentralen Wert – und ordnete an, die Behörden müssten umgehend in die Planung eines Dieselfahrverbots einsteigen.

Seit Jahrzehnten aktiv: Messstelle in der Weststadt

Wie ist in der Stadt Ludwigsburg die Luftqualität abseits der Hauptverkehrsachsen? Um das zu ermitteln, hat das Land schon vor vielen Jahren eine Messstation in der Weststadt eingerichtet, genauer: an der Heinrich-Schweitzer-Straße beim Bildungszentrum West und der Rundsporthalle. Diese Station liefert unter anderem Werte für Stickstoffdioxid, Feinstaub und Ozon. Bei Stickstoffdioxid wurde 2018 ein Wert von 25 Mikrogramm und 2019 ein Wert von 22 Mikrogramm ermittelt.

Die Folge eines Gutachtens: sechs neue Messstellen

Ein Gutachten prüfte im Jahr 2018 nicht nur, wie stark in Ludwigsburg unterschiedliche Gegenmaßnahmen die Luftqualität verbessern würden. Ausgehend von den Messwerten an der Friedrichstraße lieferte es zudem eine Hochrechnung, wie stark die Belastung mit Stickstoffdioxid wohl an anderen Stellen der Stadt ist. Die Ergebnisse waren brisant: Demnach liegt die B 27 im gesamten Stadtgebiet über dem Grenzwert. Besonders hohe Werte ergaben sich für die Keplerstraße, also das Verbindungsstück über die Bahngleise hinweg zwischen Friedrichstraße und Schwieberdinger Straße.

Ausgehend von den offiziell gemessenen 51 Gramm Stickstoffdioxid in der Friedrichstraße kamen die Gutachter in ihrer Hochrechnung zum Beispiel auf über 80 Mikrogramm in der Keplerstraße. Diese Hinweise blieben lange unbekannt. Gegen Ende 2019 reagierte das Land und richtete sechs neue Messpunkte für Stickstoffdioxid ein. Erste Ergebnisse sind für das Frühjahr 2020 angekündigt worden.

Entwicklung für ein neues Produkt: Bosch-Boxen messen in Echtzeit

Weltweit ist in vielen Städten die Belastung der Luft mit gesundheitsgefährdenden Schadstoffen ein virulentes Thema. Im Zeitalter der Digitalisierung und künftiger „Smart Cities“, in denen alles mit allem vernetzt und übers Internet steuerbar ist, spielt auch der Verkehr eine große Rolle. Ein Element dieser Zukunftsszenarien: Wer über aktuelle Daten verfügt, wo in einer Stadt die Luft gerade besonders stark belastet ist, kann über digitale Verkehrslenkung sofort reagieren und die Autos anders lenken.

Dort wo heute an Straßen die Belastung gemessen wird, dauert es oft Tage, bis Ergebnisse vorliegen. Die Firma Bosch hat ein System entwickelt mit dem Anspruch, dass es die Daten zu jedem Moment in Echtzeit liefern kann. Dies mit Messboxen, die etwas größer als ein Schuhkarton und mit Sensoren ausgestattet sind. Ludwigsburg ist eine Stadt, in der Bosch diese neun Boxen bis zur Serienreife entwickeln will.

Seit Mai 2019 hängen 13 dieser Boxen über das Stadtgebiet verteilt und messen, davon kann man ausgehen, sehr genaue Schadstoffwerte. Die Ergebnisse aber bleiben bisher unter Verschluss. Die Begründung: Es gehe um die Entwicklung eines neue Produkts, man befinde sich noch eher im Stadium einer wissenschaftlichen Studie und die Daten seien noch nicht so gesichert, dass man sie nach außen geben könnte. Dies soll frühestens Mitte dieses Jahres der Fall sein, wenn eine erste Projektphase zum Abschluss kommen soll.

Ausdruck des Misstrauens: Umweltschützer messen selber

Das Misstrauen bei den Schadstoffmessungen ist riesig. Auf beiden Seiten. Manche Gegner von Dieselfahrverboten hegen den Verdacht, dass die offiziellen Messungen ganz gezielt immer dort gemacht werden, wo nur punktuell die höchsten Werte zu erwarten sind. Und die Deutsche Umwelthilfe wie auch Umweltverbände wie der BUND befürchten, dass erheblich belastete Stellen von den Behörden übergangen oder ausgeblendet werden. In dieser Situation haben sich die Umwelthilfe und Umweltschützer offenbar dazu entschieden, in Ludwigsburg auf eigene Faust Kontrollmessungen anzustellen.

Eine offizielle Anfrage des BUND Ortsverbandes, ob die Stadtverwaltung solche Kontrollmessungen akzeptieren würde, hat das Rathaus zwar abgelehnt. Auf Anfrage unserer Zeitung bestätigte die Deutsche Umwelthilfe allerdings gestern, dass bereits gemessen wird. Details wie die Anzahl und Standorte der Messungen will die Umwelthilfe bisher aber nicht verraten.

Im Anhang dieses Textes finden Sie die Karte Luftmessung in Ludwigsburg.