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Grünflächen fördern das Wohlbefinden

Steffen Schaal

Steffen Schaal spricht sich für einen Weg der Kompromisse aus, zumal die Städte weiter wachsen werden. Fotos: Holm Wolschendorf

Zugwiesen

In den Zugwiesen treffen Mensch und Natur aufeinander. In dicht besiedelten Gebieten hält Professor Schaal solche Naherholungsgebiete für besonders wichtig.

Stadtökologie ist das neue Schlagwort – Wo steht Ludwigsburg und wie können die Städte die Lebensqualität für ihre Einwohner steigern?

Ludwigsburg wächst und muss weiter Bauland ausweisen. Gleichzeitig sollen Grünbereiche erhalten werden. Ob Schlittenhang, Parkanlagen, Spazierweg oder kühlender Schatten von Baumalleen – all das prägt das Leben in einer Stadt. Stadt und Umwelt: ein Gegensatz? Wir sprachen mit Professor Steffen Schaal von der Pädagogischen Hochschule.

 

Die Städte verbrauchen Natur, die Menschen brauchen Natur. Ist das ein Dauerkonflikt?

STEFFEN SCHAAL: Global gesehen nimmt die Verstädterung weiter zu. Das Verhältnis zwischen Stadt- und Landbevölkerung hält sich zurzeit die Waage, bis 2030 werden in den Städten 70 Prozent der Bevölkerung wohnen. Auch in Deutschland ist dieser Trend spürbar. Eine Stadt ist ja nichts anderes als überbaute Natur, insofern müssen wir uns mit dem Thema verstärkt beschäftigen. Der Konflikt um die Flächen wird zunehmen.

 

Wo stehen wir heute? Städte entdecken gerade jetzt, wie wichtig Grün für ihre Bewohner ist.

Ob in Stuttgart, Karlsruhe oder Pforzheim – überall kann man feststellen, dass in den letzten zwanzig Jahren das Interesse zugenommen hat, Grünflächen zu erhalten oder neu zu schaffen. Mit Blick auf den Klimawandel muss man sich darüber Gedanken machen, welche Pflanzen eingesetzt werden können, um die für Städte typischen Wärmeinseln zu vermeiden. Stadtplaner haben da schon ein Gefühl dafür entwickelt. Wer auf Fassadenbegrünung, Gebäudestrukturen, Frischluftschneisen, unversiegelte Parkplätze achtet, der kann schon etwas erreichen.

 

Wirkt sich das auch auf die Stadtbewohner aus?

Es gibt zahlreiche Studien, die besagen, dass das Wohlbefinden um so höher ist, je mehr Grünflächen es gibt. Französische Forscher meinen gar nachweisen zu können, dass die Anzahl der Kinder mit Übergewicht und Adipositas sogar geringer ist, wenn es in den Städten Bäume und Wiesen zum Toben gibt. In der Studie ist auch nachgewiesen worden, dass Senioren mehr Sozialkontakte haben, wenn es mehr Grünflächen gibt.

 

Wie grün ist Ludwigsburg?

Hier tut man sehr viel, ich denke an die Zugwiesen, aber auch an das Casa Mellifera am Hungerberg mit seiner Umweltbildung. Die Projekte sprechen ja Bände. Auch in der Stadtentwicklung ist das Interesse an grünen Inseln bemerkbar. Der Schulcampus, trotz allem Grau und Beton, hat viel Grün, die großen alten Bäume sind erhalten geblieben. An der Heilbronner Straße hat Ludwigsburg sogar innerstädtisch noch Streuobstwiesen (im Bereich Marienwahl, Anm. d.Red.), angrenzend ist der Favoritepark und auch die Allee an der Schlossstraße prägt die Stadt.

 

Sind die würfelförmig geschnittenen Bäume auf dem Akademiehof eine gute Antwort für städtisches Grün?

 (zögert) Ludwigsburg geht kreativ mit dem Thema um. Ich möchte ein anderes Beispiel nennen, das mir besser gefällt: die begrünten Flächen an den Einfallstraßen. Das mag zwar etwas befremdlich klingen, wenn die Grünstreifen zwischen den Straßen mit einer Vielfalt an Wiesenblumen bepflanzt werden. Doch das hat schon einen ökologischen Wert. Das ist mit Magerwiesen vergleichbar.

 

Können mit Grün Luftschadstoffe eingedämmt werden?

Theoretisch ja, aber es ist die hohe Verkehrsbelastung, die die schlechte Luft ausmacht. Beispielsweise hat Stuttgart am Neckartor die größten Feinstaubkonzentrationen, dabei gibt es auf der einen Seite große Parkanlagen. Da sollte man meinen, dass das ein Ausgleich ist. Doch um wirklich die Schadstoffbelastung zu reduzieren, müsste der Verkehr anders kanalisiert werden.

 

Eine grüne Wand hilft also nicht?

Das verschafft Linderung, aber es ist wie bei einem Hustensaft. Bei einem grippalen Infekt wird der Heilungsverlauf durch ihn nicht wesentlich beeinflusst.

 

In Ludwigsburg wird eine grüne Wand getestet, die über ein Bewässerungssystem mit Regenwasser versorgt wird.

Ich sehe da schon ein Potenzial. Doch als einzelne Maßnahme hilft sie nicht gegen Luftschadstoffe. Ein weiterer Schritt wären Fassadenbegrünungen. Das wäre ein neues Aufgabenfeld für die Städte. Efeu hilft darüber hinaus auch, ein Haus besser zu isolieren. Auch das Kleinklima muss beachtet werden. Wie gehen wir mit dem Regenwasser um, das nicht wiederverwendet wird? Es bieten sich viele Verbesserungsmöglichkeiten an.

 

Braucht Ludwigsburg neue Parks? Geplant ist etwa, den Parkplatz am Walcker- Areal in eine Wiese zu verwandeln.

Wo es um Verdichtung und Nachverdichtung geht, sollten bei Fragen der Stadtentwicklung Wärmeinseln und grüne Inseln bekannt sein. In Ludwigsburg haben wir sehr verschiedene Grünflächen mit verschiedenen Habitaten, mit Lindenalleen und ökologischen Nischen wie im Favoritepark. Für die Stadtökologie wäre es schon ein erster Schritt, diese verschiedenen Flächen bewusst zu machen. In Neubaugebieten ist leider ein Trend feststellbar, dass Gärten mit Natursteinen abgedeckt werden. Aus stadtökologischer Sicht ist das fatal, weil sich der Stein aufheizt und klimatisch das Gegenteil bewirkt von dem, was man sich für die Städte wünscht.

 

Das heißt, Privatgärten spielen im Stadtklima eine wichtige Rolle?

Ja, natürlich. Zumal in einer so wohlhabenden Stadt wie Ludwigsburg, wo es noch viele solcher Gärten gibt. Wichtige wäre, sie mit heimischer Flora und Fauna anzulegen. Auch eine Ecke mit Brennnesseln würde dazugehören, mit kontrollierter Wildnis.

 

Die Stadt wächst weiter, neue Baugebiete entstehen. Wann ist eine Grenze erreicht?

Wieviel Grün und wieviele Bauflächen möglich sind, muss ausgehandelt werden. Bei jedem Grünbereich sollte gefragt werden, welchen ökologischen Wert er hat. Denkbar sind grüne Schneisen, die die Natur in das Wohngebiet hineinzieht. Es gibt Parkanlagen, die sich am Stadtrand nach außen hin öffnen. In Kassel wurde hochgerechnet, wie stark die Wärmeinseln bis 2030 zunehmen. Wer solche Daten hat, kann bei der Planung von Baugebieten direkt darauf reagieren.

 

Wie wichtig ist ein Naherholungsbereich wie die Zugwiesen?

Eine Naherholungsfläche wie die Zugwiesen trägt stark zum Wohlbefinden bei. Außerdem kann ein solcher Freiraum das Mobilitätsverhalten der Städter beeinflussen. Studien zeigen, dass Menschen der Innenstadt die Natur suchen und dafür mehr Kilometer zurücklegen als die Bewohner der städtischen Randgebiete. Wer in die Zugwiesen geht, setzt sich nicht ins Auto und fährt zur Autobahn.

 

Sollten die Zugwiesen der Natur vorbehalten sein?

Nein. Gerade für Kinder und Familien ist die stadtnahe Erholung wichtig. In den Zugwiesen ist das sehr gut gelöst worden, da gibt es Platz für die Natur und die Menschen. Es wäre vermessen, das Gebiet als reines Biotop zu sehen. Das hat nie die gleiche Funktion wie beispielsweise die Grünstreifen und Auenwälder am Rhein. Es ist ein Baustein im Mosaik der Uferrenaturierung im Neckartal. Die Zugwiesen sind auch dazu da, Naturerlebnisse zu ermöglichen. Wir sind hier einfach in einem sehr dicht besiedelten Raum, da muss man Kompromisse eingehen. Wer wirklich nachhaltig leben wollte, müsste als Eremit leben.

 

Was halten Sie davon, Flächen multifunktional zu nutzen, wie das immer mehr von Stadtplanern beworben wird?

Bei den Briten können sich die Städte inspirieren lassen. Dort gibt es in manchen Orten nur eine große Rasenfläche, die für verschiedenste Zwecke genutzt wird. Auf eine eigene Tartanbahn verzichtet man. Es gibt auch bei uns Beispiele, wo Dächer von Parkhäusern als Gärten angelegt sind und bewirtschaftet werden. Urban Gardening ist immer mehr im Kommen. In Bamberg gibt es innerstädtisch viele Gärten. Auch Schulen könnten da eingebunden werden.

 

Sie setzen auf Bildung und Information. Denken Sie da besonders an die Schulen?

Auch Schulhöfe können naturnah gestaltet werden. Aus einer aktuellen Doktorarbeit wissen wir, dass die Kinder das sehr positiv aufnehmen und diese Flächen intensiv nutzen. Auch in der Innenstadt sollte man sich überlegen, ob der Pausenhof asphaltiert sein muss. Ich als Didaktiker möchte Jugendliche für das Thema Natur sensibilisieren. Wer die Natur nicht kennt, wird sie später nicht vermissen. Wir sind dabei, für die Stadt Osnabrück ein Spiel zu entwickeln, wie man den Stadtraum erkunden kann. Es ist eine stadtökologische Schnitzeljagd.

 

Wäre das auch für Ludwigsburg machbar?

Ja, natürlich. Das müsste aber eigens entwickelt werden.

 

An welche Plätze würde die führen?

In Ludwigsburg in die Zugwiesen, auch an den Hungerberg oder zum Salonwald.

 

Wo hat sich Ludwigsburg gut entwickelt, was gefällt Ihnen weniger?

Die Entwicklung am Hungerberg finde ich toll, auch dass dort ehrenamtlich Einsatz gezeigt wurde. In Eglosheim denke ich an den Naturpark West, den ich für erhaltenswert halte. Wenn diese Flächen zerteilt werden, hätte das etwa für die Amphibien negative Konsequenzen.

 

Zur Person

Steffen Schaal
Der 42-jährige Steffen Schaal ist Studiendekan der Fakultät für Kultur- und Naturwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und lehrt dort Biologie und ihre Fachdidaktik.
Seit seiner Zeit an der Uni Bamberg beschäftigt er sich vertieft mit dem Thema Stadtökologie.

Projekt: Ein wichtiges Projekt seiner Arbeitsgruppe heißt Findevielfalt (im Internet: www.findevielfalt.de). Es sind Geogames für Familien oder Jugendliche, bei dem man sich mit dem Smartphone auf Schatzsuche in der Natur direkt vor der Haustür begeben kann. Für Schulklassen gibt es digitale Spiele an Jugendherbergen. Solche spielorientierten Ansätze werden in Bad Urach, in Eichstätt, in Garmisch-Partenkirchen, in Lindlar, in Schierkeund in Osnabrück erprobt, 2016 folgen fünf weitere Standorte.(hpj)