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Energie
Industrie unterstützt Habecks Pläne für weniger Gasverbrauch

Siegfried Russwurm
Siegfried Russwurm ist Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Foto: Britta Pedersen
Minister Habeck spricht zu Gaseinsparungen
Ungewöhnliche Initiative in einer ernsten Situation: Um Deutschlands Gasverbrauch zu senken, schlägt Wirtschaftsminister Habeck unter anderem vor, verstärkt Kohlekraftwerke zum Einsatz zu bringen. Foto: Sebastian Iwersen
Kohle statt Gas, Speicher schneller befüllen: Das sind zwei zentrale Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung auf geringere Lieferungen aus Russland reagiert. Das sagt die Wirtschaft zu den Plänen.

Berlin. Die Industrie unterstützt Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen den Gasverbrauch zu senken.

«Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt», sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm der Deutschen Presse-Agentur: «Priorität muss sein, die Gasspeicher zu füllen für den kommenden Winter.»

Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte dem «Tagesspiegel» zum Plan, bei der Stromerzeugung übergangsweise verstärkt auf Kohlekraftwerke zu setzen, dies sei klimapolitisch keine leichte Entscheidung: «Um den Gasverbrauch bei der Stromerzeugung zu reduzieren, ist das aber notwendig.»

Habeck will zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Gas einzusparen und die Vorsorge zu erhöhen. Er bezeichnete die Situation als ernst. Um gegenzusteuern, soll der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung und Industrie gesenkt werden, und es sollen mehr Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen. Sie sollen die Stromerzeugung in mit Erdgas befeuerten Kraftwerken soweit wie möglich ersetzen. Die Befüllung der Gasspeicher soll vorangetrieben werden.

Die in Reserve stehenden Braunkohle-Kraftwerke könnten in einem relativ überschaubaren Zeitraum wieder angefahren werden, sagte die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, am Montag im ARD-Morgenmagazin. Bei Steinkohle gehe es auch, aber dafür müsste diese importiert und bevorratet werden.

Im ZDF-«heute journal» zeigte sich Habeck zuversichtlich, dass die Versorgung für kommenden Winter sichergestellt werden könne. «Entscheidend ist, dass die Gasspeicher zum Winter hin gefüllt sind - und zwar bei 90 Prozent liegen.» Derzeit seien es 57 Prozent. Es sei «eine Art Armdrücken», bei dem Kremlchef Wladimir Putin zunächst den längeren Arm habe. «Aber das heißt nicht, dass wir nicht durch Kraftanstrengung den stärkeren Arm bekommen könnten», sagte Habeck.

Russwurm für Überbrückung mit Kohle

Russwurm sagte, Deutschland müsse möglichst viele andere Quellen auftun. Unternehmen müssten umstellen zum Beispiel auf Öl, wo das gehe. «Aber eine Reihe industrieller Prozesse funktioniert nur mit Gas. Ein Gasmangel droht zum Stillstand von Produktion zu führen», so der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Die Gasverstromung müsse gestoppt und es müssten sofort Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden, bekräftigte Russwurm. «Aktuell geht es um kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung, nicht um einen Termin des Kohleausstiegs 2038 oder 2030.»

Die erneuerbaren Energien müssten massiv beschleunigt werden. «Deutschland muss sich endlich von lähmenden Klein-Klein-Debatten und Blockadehaltungen verabschieden und beim Erneuerbaren-Ausbau runter von der Bremse.» Politik und Verwaltung müssten schleunigst den Turbo einschalten für die Ausweisung neuer Flächen für Windkraft- und Solarkraftanlagen und für schnellere Genehmigungen.

Unterstützung kommt auch von der Chemiebranche

«Deutschland muss jetzt zügig und pragmatisch alle Möglichkeiten nutzen, Gas da einzusparen, wo es ersetzbar ist», erklärte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie. Der Verband unterstütze die von Habeck vorgestellten Maßnahmen. Vor allem beim Umstieg der Stromgewinnung von Gas auf Kohle müssten umgehend alle Kapazitäten unterschiedslos genutzt werden können.

Das von Habeck angekündigte Gasauktionsmodell zur Einsparung von Industriegas begrüßte Große Entrup als marktwirtschaftliches Instrument. Die Chemiebranche sei mit einem Anteil von 15 Prozent der größte Verbraucher von Erdgas in Deutschland.

Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Stadtwerkeverbands VKU, erklärte, es sei absolut richtig, zügig auf die dynamische Lage zu reagieren und wenn nötig auch Notfallmaßnahmen zu ergreifen. «Vor allem eine Rückkehr von Kohlekraftwerken an den Strommarkt ist zielführend. Dies kann bereits entscheidend dazu beitragen, den Gasverbrauch zu senken.» Der VKU warne aber vor einer «pauschalen Untersagung» von Gasverstromung oder Strafzahlungen. Liebing forderte außerdem staatliche Hilfen nicht nur für den Energiebörsenhandel, sondern auch für Stadtwerke.

Für den Maschinenbauverband VDMA erklärte Präsident Karl Haeusgen: «Wir bewegen uns auf eine sehr schwierige Lage zu.» Deshalb seien die Pläne Habecks richtig, jetzt einen geringeren Gasverbrauch zu organisieren.» Besonders unterstütze der VDMA das Vorhaben, einen reduzierten Gasverbrauch in der Industrie durch Ausschreibungen anzureizen. «Dies steuert die Reduzierung dorthin, wo der geringste Schaden entsteht.»

Wirkungsvoll, aber sehr sensibel sei dagegen der mögliche Eingriff in die Stromerzeugung. «Kurzfristig kann mehr Kohlestrom aus Reservekraftwerken zwar helfen, dabei dürfen aber die Klima-Transformationsziele nicht aus den Augen verloren werden.»

Mittelstand sieht Vorhaben kritisch

Kritisch sieht hingegen der Mittelstand die Pläne. «Angesichts der reduzierten russischen Gaslieferungen macht sich im Mittelstand zunehmend die Sorge breit, bei der Energieversorgung zwischen den warmen Wohnzimmern von Privatverbrauchern und dem Rohstoffbedarf der Großindustrie den Kürzeren zu ziehen«, sagte Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Habecks Vorhaben, Gas über Auktionen zu verteilen, könne bedeuten, dass kleine und mittlere Unternehmen beim Bieten nicht mehr mithalten.

© dpa-infocom, dpa:220620-99-725540/6