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New York
Zwischen Legenden und Baulärm: Leben im Chelsea Hotel

Chelsea Hotel
Das legendäre Chelsea Hotel ist seit Jahren eingerüstet. Foto: Christina Horsten
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Das Chelsea Hotel wird zu einem Luxushotel umgebaut. Foto: Christina Horsten
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Ed Hamilton (l) und Debbie Martin wohnen zur Dauermiete im Chelsea Hotel. Foto: Christina Horsten
Stars wie Bob Dylan und Patti Smith lebten und arbeiteten zeitweise im legendären New Yorker Chelsea Hotel. Jetzt ist das Gebäude seit Jahren eingerüstet und wird zu einem Luxushotel umgebaut. Einige wenige Menschen aber harren im Baulärm aus. Ein Ortsbesuch.

New York (dpa) - Mit schrägen, grauen Streifen ist die Wohnung von Debbie Martin und Ed Hamilton auf dem Renovierungsplan für den achten Stock des Chelsea Hotels markiert. «Tenant occupied» steht darauf, belegt von einem Mieter.

Noch einige andere kleine Flecken sind grau gestreift, für den Rest des Stockwerks aber sind Grundrisse nagelneuer Luxussuiten eingezeichnet.

Der Plan hängt an der Wand der Nachbarwohnung, die schon völlig entkernt ist. «Interessant», sagt Martin und steigt über Baumaterial, das überall auf dem Boden verstreut liegt. «Hier soll also das Bad hinkommen und dort drüben die Küche.» Das neue Bad grenzt allerdings an das alte von Martin und Hamilton, in dessen Wand nun ein notdürftig abgedecktes Loch klafft. Das Paar hat sich beschwert, deswegen ruhen die Bauarbeiten an dieser Stelle des Chelsea Hotels nun erst einmal.

Im Rest des komplett eingerüsteten zehnstöckigen Gebäudes im Südwesten Manhattans aber gehen sie weiter - und das seit sieben Jahren. Sieben Jahre Lärm, Staub. Und ständig fallen Strom, Heizung, Wasser oder Gas aus. Martin und Hamilton harren trotzdem weiter in ihrem Zimmer im achten Stock aus.

Seit Mitte der 90er Jahre wohnen die beiden hier, seit sie aus Washington nach New York zogen und Martin über eine Anzeige in der inzwischen eingestellten Zeitung «Village Voice» ein bezahlbares Zimmer zur Dauermiete im Chelsea Hotel fand. Inzwischen gehen beide auf die 60 zu und leben immer noch zusammen auf 20 Quadratmetern - Bett, vier Stühle, Bücherregale, kleiner Kühlschrank und ein Kickertisch, von dem Hamilton sich einfach nicht trennen will. Gemeinschaftsbad auf dem Flur, kein Herd, keine Waschmaschine. «Wir haben nicht vor, wegzugehen», sagt Hamilton.

Der Ruf des 1905 eröffneten Chelsea Hotels lebt von den Legenden vergangener Tage. Künstler wie Bob Dylan, Mark Twain, Arthur Miller, Joni Mitchell, Frida Kahlo, Jane Fonda, Patti Smith, Dylan Thomas und Iggy Pop lebten zeitweise in der berühmt-berüchtigten Absteige und ließen sich hier zu Filmen, Büchern und Songs inspirieren. Leonard Cohen traf dort Janis Joplin und sang später: «I remember you well in the Chelsea Hotel. You were famous, your heart was a legend.» Sid Vicious soll in dem Hotel seine Freundin umgebracht haben, starb aber noch vor Prozessbeginn an einer Überdosis Drogen.

250 Zimmer verschiedener Größen gab es damals, die Hälfte davon dauervermietet. Für die kreative Atmosphäre habe der 2017 gestorbene frühere Besitzer Stanley Bard gesorgt, sagt Hamilton. «Wenn man mal spät dran war mit der Miete, war das kein Problem, er hat es verstanden, dass Künstler kein regelmäßiges Einkommen haben. Jeder, der eincheckte, schien etwas mit Kunst zu tun zu haben, das hat es so besonders gemacht. In nur einer Woche konnten wir 50 neue Menschen um uns herum haben, einen Blues-Musiker, einen Punkrocker, und einen Geiger - und die haben natürlich alle auf ihren Instrumenten geübt. Es war einfach ein ganz spezieller Ort, schon beim Reinkommen spürte man diese elektrische Energie. Und natürlich gab es ständig Partys, in die wir einfach reinstolpern konnten, Kunstausstellungen, Performances oder Buchlesungen.»

Martin arbeitet bei einer Benefiz-Organisation, Hamilton ist Schriftsteller und verbringt seine Tage schreibend in dem 20-Quadratmeter-Zimmer - mit Kopfhörern gegen den Baulärm, aber mit trotzigem Optimismus: «Ich war in der ganzen Zeit, in der wir hier schon leben, noch nie ohne Inspiration.»

Früher, als das Stockwerk um sie herum noch nicht weitgehend verwaist, entkernt und mit Plastikplanen verhangen war, wohnten einmal drei Prostituierte im Nachbarzimmer, gingen ihrer Arbeit nach und wuschen im gemeinsam Badezimmer ihre Unterwäsche. Ein anderes Mal war der Dee Dee Ramone kurzzeitig Nachbar. «Dee Dee war ja Musiker, also schlief er natürlich den ganzen Tag, aber die Bauarbeiten haben ihn aufgeweckt und er hat laut aus dem Fenster gebrüllt: 'Ihr Arschlöcher, was macht ihr da? Ich kann nicht schlafen!'», erzählt Hamilton. Aber als der Lärm nicht aufhörte, habe er irgendwann wie irre an der Tür geklopft. «Ich habe aufgemacht und vor mir steht ein fuchsteufelswildes dürres Männlein in Unterhose», sagt Hamilton. «Ich habe gesagt: 'Dee Dee, der Lärm kommt nicht von mir, das sind die Bauarbeiter.' Und dann ist er wieder abgezogen.»

Um das Hotel herum veränderte sich in den letzten Jahren das Viertel Chelsea, wurde erst Hochburg der Schwulen-Party-Szene, dann Galerie-Viertel und dann sehr teuer. Viele Häuser in der Gegend wurden verkauft und zu Luxuswohnungen umgebaut, die Mieten gehören zu den höchsten der Stadt. Das Chelsea Hotel wurde mehrfach verkauft, rund 80 Dauermieter vertrieben. Anfang 2019 werde es als Luxushotel wiedereröffnen, heißt es von den Besitzern Sean MacPherson, Ira Drukier, und Richard Born, die sich unter dem Namen SIR Chelsea als Firma zusammengeschlossen haben.

Martin und Hamilton haben jahrelang vor Gericht gegen ihren Rausschmiss gekämpft - bislang erfolgreich. Sie zahlen rund 1000 Dollar im Monat, für die Gegend sehr wenig, und stehen unter Mieterschutz. Gemeinsam mit ihnen harren derzeit noch rund 80 weitere Menschen auf der Großbaustelle des Chelsea Hotel aus.

Manchmal stöbern Martin und Hamilton nachts durch die Stockwerke, suchen nach Überresten des alten Charmes, hängen Kunstwerke an die Wände, die sie aus dem Müll retten, schauen vom Dach, das einmal ein Luxus-Spa werden soll, über das Lichtermeer von Manhattan, und besuchen ihre verbliebenen Freunde und Bekannten im Hotel. Einige von ihnen haben noch kunstvoll bemalte alte Türen. Rund 50 davon waren im Müll gelandet, wurden aber von einem früheren Bewohner gerettet und vor einigen Monaten versteigert.

«Es ist komplett anders als früher im Chelsea Hotel», sagt Hamilton. «Wir hoffen, dass sie es immerhin nicht zu Luxuswohnungen umbauen, sondern es als Hotel belassen, wenn auch als Luxus-Boutique-Hotel. Das zieht dann vielleicht wieder Künstler an, und dann können wir die alte Dynamik wieder in Schwung bringen.»

Blog von Ed Hamilton