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«Kein Ort Zuhause»: Was ist eine jüdisch-deutsche Identität?

Ausstellung Yury Kharchenko
Der russische Künstler Yury Kharchenko mit seinem Bild «Todesfuge» (Öl auf Leinwand, 2012) im Felix-Nussbaum-Haus. Foto: Friso Gentsch
Der in Moskau geborene und in Berlin lebende Künstler Yury Kharchenko beschäftigt sich in seinen Werken mit seiner jüdisch-deutschen Identität. Das Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus zeigt bis November einen Ausschnitt seiner Werke.

Osnabrück (dpa) - Ein tätlicher Angriff auf einen Kippa tragenden Israeli in Berlin, judenfeindliches Mobbing gegen einen Neuntklässler ebenfalls dort: Diese und andere Vorfälle zeigen, dass es rund 70 Jahre nach dem Holocaust offenen Antisemitismus hierzulande immer noch gibt, dass er sogar wieder stärker wird.

Der 1986 in Moskau geborene und Ende der 1990er Jahre nach NRW übergesiedelte Künstler Yury Kharchenko hat schon vor vielen Jahren antisemitische Stimmung und sogar Gewalt erfahren. Heute sagt der 32-Jährige, dass das Schlüsselmomente in seiner künstlerischen Entwicklung waren. Seitdem beschäftigt er sich mit seiner jüdischen Herkunft, seiner Identität als in Deutschland lebender Jude.

Im Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus präsentiert der 32-Jährige von Sonntag an eine Auswahl seiner Bilder unter dem Titel «Kein Ort Zuhause». Die Arbeiten zeigen die zwölf Stämme - oder Häuser - Israels. Das Haus fungiere dabei als ein Symbol für einen Schutz- oder Rückzugsort, zugleich irritiere die gestalterische Form einiger Gemälde, sagt Kuratorin Maren Waike-Koormann. In der Ausstellung greift Künstler zu abstrakten Verfremdungen der Bildmotive.

Kharchenko studiert von 2004 bis 2008 an der Kunstakademie Düsseldorf. Damals sei er von Neonazis unweit seiner Wohnung verprügelt worden. «Das war auch ein psychischer Schock für mich.» Der junge Künstler zieht nach dem Vorfall nach Berlin. Seine Familie ist nicht sonderlich religiös. «Ich wusste, dass ich jüdisch bin, aber es hat mir nicht viel bedeutet.» Aber die Gewalterfahrung bringt ihn zur Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft und Religion. Er besucht in Berlin eine jüdische Schule, lernt Aramäisch und Hebräisch.

In Berlin beschäftigt er sich mit vielen berühmten jüdischen Persönlichkeiten aus den zwanziger und dreißiger Jahren, die emigrieren mussten. Große Aufmerksamkeit bekam er, als er sich zum Luther-Jubiläumsjahr mit dem Antisemitismus deutscher Christen in der Schau «Luther und die Avantgarde» in Wittenberg auseinandersetzte.

Die Osnabrücker Ausstellung beschäftigt sich also mit dem Haus als Symbol für einen Ursprungs-, Flucht- oder auch Zielort. Die Fragen: Woher kommst du, wer bist du, wohin willst du gehen, seien auch für ihn als Künstler wichtig. Es sei auch die Auseinandersetzung mit einem Paradoxon: Er habe eine jüdische Identität, und lebe doch im Land der Täter. «Ich bin ja auch deutsch und habe die deutsche Mentalität», sagt er. Seine Bilder sieht er auch als ironische Auseinandersetzung mit dem Thema.

Die Kuratorin Waike-Koormann bezeichnet es als «Glück», mit Yury Kharchenko zusammenzuarbeiten. Kharchenko, der Architekt des Nussbaum-Hauses Daniel Libeskind und der von den Nazis ermordete Osnabrücker Maler Felix Nussbaum haben jüdische Wurzeln. Alle drei setzten sich auf ihre Weise mit der Frage der Identität, der eigenen Herkunft oder der Bedeutung von Heimat auseinander. Die ausgewählten Werke Kharchenkos treten in einen spannenden Dialog mit der Architektur des Nussbaum-Hauses, wie es Waike-Koormann sagt. Die Architektur irritiert - ebenso die abstrakten Bilder Kharchenkos.

Webseite Yury Kharchenko

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