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Kolonialismus
Weltmuseum Wien: «Wir erzählen hier nicht von den Wilden»

Ethnographische Museen befinden sich in einem Veränderungsprozess und hinterfragen zunehmend ihre Darstellung des Kolonialismus. Im Weltmuseum Wien funktioniert das nicht nur mit einem neuen Namen.

Wien (dpa) - In der unteren Vitrine liegt ein altes Päckchen, der Inhalt von brüchigem Verpackungsmaterial umschlossen. In der oberen verhindert Milchglas jede Chance auf einen klaren Blick. Nichts zu sehen - mitten im Weltmuseum Wien.

Die Flöten und Trompeten eines kolumbianischen Stammes, die hier nur andeutungsweise gezeigt werden, sind nach Tradition des Stammes nicht für die Augen von Frauen und Kindern bestimmt - und darauf nimmt das Museum Rücksicht. «Es wäre etwas zutiefst Koloniales, wenn man sich etwas Geheimes anschaut», sagt Claudia Augustat, Kuratorin des Weltmuseums für die Sammlung Südamerika.

Der Umgang mit dem Kolonialismus - also die politische Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung vor allem in Afrika und Asien durch europäische Kolonialherren - ist in vielen völkerkundlichen Museen in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Thema geworden. Das Weltmuseum, 2017 mit neuem Konzept und neuem Namen wiedereröffnet, beschäftigt sich immer mehr auch mit der Herkunftsgeschichte seiner insgesamt 250.000 ethnographischen Gegenstände und der Art und Weise, wie andere Kulturen dargestellt werden.

«Bei uns wird thematisiert, wie Teile der Sammlungen hergekommen sind. Wer dieses Thema nicht selbst anspricht, hat als Museum immer mit dem Klischee zu kämpfen, alles sei geraubt», sagt Christian Schicklgruber. Seit einigen Monaten ist er Direktor des Museums, das mit seinen 250.000 ethnographischen Gegenständen, 140.000 historischen Fotografien und 146.000 Druckwerken zu den wichtigsten völkerkundlichen Museen in Europa zählt. Zahlreiche Gegenstände stammen dabei von Franz Ferdinand, dem Thronfolger Österreich-Ungarns und Mordopfer beim Attentat von Sarajevo 1914, der bei seinen Weltreisen fast schon wahnhaft sammelte.

Dem Schatten des Kolonialismus widmet das Museum einen der 14 Ausstellungssäle. Neben den Ritual-Instrumenten aus Kolumbien, die ein Forscher in den 1970er Jahren gegen ein Gewehr eingetauscht hatte, informiert hier ein Multimedia-Tisch über verschiedene Aspekte des Kolonialismus, etwa die Sklaverei. «Der Tisch soll zum Nachdenken anregen», sagt die Kuratorin Augustat.

In den weiteren Ausstellungssälen werden den Besuchern zudem immer wieder Videos präsentiert, in denen die Einheimischen zu Wort kommen und ihre Meinung zu den Ausstellungskonzepten des Museums abgeben. Kritik inklusive. «Wir bewahren hier das kulturelle Erbe anderer Kulturen, und wir sollten nicht allein entscheiden, wie das aussieht», sagt Augustat.

So macht zum Beispiel ein Mexikaner klar, dass seiner Meinung nach ausgerechnet das wichtigste Ausstellungsstück des Museums wieder in seine Heimat gebracht werden sollte. Möglich ist das allerdings nicht - einen Transport würde der «Penacho», ein altmexikanischer, leuchtend grüner Federschmuck, nicht heil überstehen. «Besucher aus Mexiko haben bei uns freien Eintritt, um sich den Penacho jederzeit anschauen zu können», sagt Schicklgruber.

Auch darüber hinaus diskutiere das Museum mit anderen Ländern partnerschaftlich die Besitz- und Herkunftsfrage. Schicklgruber berichtet da etwa vom Benin-Dialog. Über den Kunsthandel hat auch das Weltmuseum Wien früher koloniales Raubgut aus dem kleinen westafrikanischen Land gekauft, einige Kunstwerke werden auch ausgestellt. «Es ist nicht mehr so, dass alles zurückgegeben wird», sagt Schicklgruber. «Wir erzählen ja über sie - und nicht als die «Wilden».» Statt über Rückgaben werde zunehmend über mehrjährige Leihgaben diskutiert.

Bei den Yurupari-Instrumenten ist das Thema der Rückführung dagegen deutlich aktueller. Denn der Stamm der Makuna wurde kontaktiert, bevor die Flöten und Trompeten ausgestellt wurden. Wie genau die Instrumente in Wien präsentiert würden, sei den Makuna egal, erzählt Augustat. «Aus ihrer Sicht ist es schon ein Fehler, dass die Instrumente überhaupt hier in Wien sind.»

Das Museum hat den Makuna daher erklärt, an welche Stellen sie sich für einen Antrag zur Rückführung wenden müssen. «Wenn wir Objekte zurückbringen, verlieren wir ja nicht etwas, sondern wir gewinnen etwas», erklärt Augustat ihre Sichtweise. Sollten die Instrumente tatsächlich nach Kolumbien zurückgebracht werden, hat sie schon konkrete Pläne für die Ausstellung: «Dann erzählen wir diese Geschichte anhand der leeren Vitrinen.»

Weltmuseum Wien

Weltmuseum über Federschmuck Penacho

Weltmuseum Wien zu "Ethnographische Museen heute"