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Informelles Treffen
Flüchtlingsfrage: Merkel besucht «Retter» Sánchez

Ministerpräsident Sánchez wird in Spanien als «Retter» Merkels in der Flüchtlingsfrage tituliert. Am Wochenende besucht die Kanzlerin den Sozialisten, der trotz gewagter Vorstöße in der Migrationspolitik daheim noch keinen großen Widerstand spürt. Aber Kritik beginnt sich zu regen.

Madrid (dpa) - Als der Sozialistenführer Pedro Sánchez am 1. Juni in Spanien den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy per Misstrauensvotum stürzte und selber in den Madrider Palacio de la Moncloa einzog, gab es im Bundeskanzleramt sicher kaum Jubel.

Rajoy galt als einer der engsten Verbündeten Angela Merkels in Europa. Dass Sánchez nur wenig später der Kanzlerin im Migrationsclinch mit der CSU einen großen Rettungsring zuwerfen würde, konnte in Berlin damals ja niemand voraussehen. Keine Überraschung ist derweil, dass Merkel jetzt unmittelbar nach Urlaubsende ihren früheren Kritiker Sánchez in dessen offizieller Sommerresidenz besucht.

Spanien ist seit Montag das erste EU-Land seit der Vorlage des «Masterplans» zur Migrationspolitik von Innenminister Horst Seehofer (CSU), mit dem Berlin ein Abkommen zur Rücknahme von Asylbewerbern unterzeichnete. Wenn man im Moncloa-Palast nach der Bedeutung der Vereinbarung anfragt, dann spricht man dort von einer «Geste» zur Unterstützung Merkels, da man nur mit kaum mehr als hundert Rücküberstellungen pro Jahr rechne.

Das Thema Migration soll auch beim informellen Treffen am Samstag und Sonntag in der Finca Las Marismillas im Nationalpark Doñana rund 50 Kilometer südwestlich von Sevilla im Mittelpunkt stehen. In dieser Frage hätten Berlin und Madrid «einen gemeinsamen Ansatz», betont die neue spanische Regierung.

Anders als sein Vorgänger, der zauderte und zögerte, fährt Sánchez als frischgebackener Regierungschef in der Migrationspolitik einen mutigen Kurs. Seitdem Italien und Malta im Juni den privaten Seenotrettern die Einfahrt in ihre Häfen verweigerten, ist es Spanien, das sich der vor der libyschen Küste geborgenen Flüchtlinge immer wieder annimmt.

Es begann am 17. Juni mit der spektakulären Aufnahme der 629 Geretteten der «Aquarius». Zuletzt musste die Organisation Proactiva Open Arms drei Mal nach Spanien fahren: Zunächst mit 60 Geretteten, die nach Barcelona gebracht wurden. Dann mit einer Überlebenden und zwei Leichen an Bord, die auf Mallorca in Empfang genommen wurden. Und erst am Donnerstag lief das Schiff «Open Arms» mit 87 Migranten an Bord in die Bucht von Algeciras ein.

Daneben beschloss Sánchez, die (rund 800.000) illegal in Spanien lebenden Menschen wieder ins Gesundheitssystem aufzunehmen. Rajoy hatte sie 2012 ausgeschlossen. Zeichen setzte Madrid auch mit der Ankündigung von Innenminister Fernando Grande-Marlaska, die umstrittenen messerscharfen Klingen an den Grenzzäunen der Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla zu entfernen. «Es gibt weniger grausame Methoden», sagte der Minister.

Wird Spanien damit vom Urlauber- auch zum Flüchtlings-El-Dorado? Und kann sich Sánchez, der nur mit einer Minderheit der Parlamentssitze regiert, diese gewagten Vorstöße innenpolitisch leisten? Berechtigte Fragen, zumal Spanien Italien als Hauptziel jener Migranten abgelöst hat, die auf dem Seewege die EU erreichen.

Nach jüngsten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind dieses Jahr bis zum 5. August von Nordafrika aus insgesamt 23.741 Flüchtlinge auf dem Seeweg in Spanien angekommen. Das sind bereits mehr als im Gesamtjahr 2017 (ca. 21.600). Auf EU-Territorium gelangen illegale Migranten aber auch, indem sie oft zu Hunderten nach Ceuta und Melilla an der Nordküste Afrikas stürmen.

Die Spanier haben (anders als in anderen EU-Ländern) bisher kaum protestiert. Im Gegenteil: An Rathäusern prangen große Plakate mit der Aufschrift «Flüchtlinge willkommen!». Supermarktketten spenden Lebensmittel und andere Dinge, Tausende Bürger melden sich bei den Behörden, um Flüchtlinge - vor allem Frauen, Jugendliche oder Kinder - aufzunehmen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Das spanische Flüchtlingshilfswerk CEAR klagt, dass 2017 in Spanien nur 35 Prozent von 13.850 Asylanträge positiv beschieden wurden. Die Quote liege damit rund zehn Punkte unter EU-Schnitt. Die abgewiesenen Migranten werden in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Menschenrechtsgruppen monieren die «menschenunwürdigen» Zuständen in den total überfüllten Internierungszentren (CIE) und Erstaufnahmezentren (CAR), in denen Migranten oft Monate lang ausharren müssen.

Die einflussreichen konservativen Medien und die rechte Opposition klagen, Spanien erlebe aufgrund «der Lockwirkung» der Politik der Sozialisten eine «Flüchtlingslawine». Kritik gegen Sánchez regt sich aber auch bereits in den eigenen Reihen. Nach der Ankunft des letzten Rettungsschiffes von Proactiva Open Arms beschwerte sich die sozialistische Regionalregierung Andalusiens am Donnerstag erstmals über zu geringe Finanzhilfe aus Madrid. Die Verteilung der zu Tausenden in Andalusien eintreffenden Migranten auf andere Regionen Spaniens müsse zudem besser koordiniert werden.

Es ist nicht auszuschließen, dass die paar Dutzend Menschen, die am Donnerstag anlässlich der Ankunft des Rettungsschiffes an einer Protestkundgebung der kleinen ultrarechten Partei Vox in Algeciras teilnahmen und ausländerfeindliche Parolen riefen, bald überall in Spanien Zulauf bekommen - vor allem in Andalusien, einer der ärmsten Regionen des Landes. Dass das mit Berlin unterzeichnete Abkommen dazu beiträgt, glaubt man in Madrid allerdings nicht.

Sánchez, der zu Hoch-Zeiten der Eurokrise Merkel und die von der Kanzlerin propagierte Sparpolitik scharf kritisiert hatte und nun von Medien daheim süffisant als «Retter» Berlins tituliert wird, versuchte dem Abkommen Zündstoff zu nehmen: Deutschland habe sich dazu verpflichtet, die Kosten für die Rücküberstellung der Migranten zu übernehmen, und wolle Spanien auch beim Schutz der Außengrenze der EU finanziell unterstützen, versicherte er.

«Das Wichtige der Vereinbarung ist nicht die Anzahl (der Migranten, die Deutschland zurückschicken wird), sondern die Philosophie, die dahintersteckt», sagte der Generalsekretär für Internationale Angelegenheiten der Regierung, José Manuel Albares. Die Flüchtlinge seien nicht Sache von Deutschland oder Spanien, sondern von ganz Europa. Man müsse sich gegenseitig helfen.