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Brüssel sucht Lösung
Italien bedroht mit Anti-Migrationskurs EU-Mission

Rückkehr von EU-Mission Sophia
Die Fregatte «Sachsen» kehrt im Mai 2018 zum Marinestützpunkt in Wilhelmshaven zurück. Das Schiff hatte bei der EU-Mission Sophia Schleusernetzwerke aufgeklärt und zentrale Routen im Mittelmeer überwacht. Foto: Mohssen Assanimoghaddam
In der Migrationsdebatte stiftet Italien wieder Unruhe. Nun steht der Militär-Einsatz vor Libyen infrage. Werden künftig noch Menschen von EU-Schiffen gerettet?

Brüssel/Rom (dpa) - Italien hat mit Blockadedrohungen eine sofortige Überprüfung des EU-Marineeinsatzes vor der libyschen Küste erzwungen.

Vertreter der EU-Staaten einigten sich am Freitagabend in Brüssel darauf, möglichst innerhalb der kommenden fünf Wochen eine neue Strategie zum Umgang mit bei dem Einsatz geretteten Migranten zu vereinbaren. Diese waren bislang ausschließlich nach Italien gebracht worden. Die Regierung in Rom hatte deswegen zuletzt damit gedroht, italienische Häfen für Schiffe der EU-Operation zu sperren.

In Italien wird der auch von Deutschland mit einem Marineschiff unterstützte EU-Einsatz bereits seit längerem mehr als Problem denn als Hilfe gesehen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Regierung 2015 damit einverstanden erklärt hatte, dass am Rande des Einsatzes gerettete Migranten in italienische Häfen gebracht werden. Damals war noch nicht absehbar gewesen, dass die eigentlich für den Kampf gegen Schleuserkriminalität losgeschickten EU-Schiffe Zehntausende Menschen an Bord nehmen würden. Bislang waren es insgesamt mehr als 49 000.

Unklar blieb am Freitagabend zunächst, wann der Einsatz wieder voll aufgenommen wird. Um zu verhindern, dass EU-Schiffe Migranten retten, die dann nirgendwo an Land gehen können, hatte der zuständige Einsatzführer Enrico Credendino nämlich bereits am Donnerstag angeordnet, dass sich alle an der Operation beteiligten Schiffe bis zum kommenden Montag aus dem Einsatzgebiet zurückziehen und in Häfen einlaufen sollen.

Für das deutsche Marineschiff «Mosel» hatte der Rückzugsbefehl allerdings keine unmittelbaren Konsequenzen, da es derzeit im Hafen von Souda an der Küste der griechischen Insel Kreta liegt. Zuerst hatte der «Spiegel» darüber berichtet.

Aus Brüsseler Sicht könne der Einsatz in allen Bereichen fortgesetzt werden, hieß es nun am Freitagabend nach stundenlangen Beratungen in Brüssel aus Diplomatenkreisen. Alle Mitgliedstaaten hätten bekräftigt, dass der Operationsplan bis zum Abschluss der strategischen Überprüfung weiter Bestand habe.

Was für eine Lösung am Ende der Überprüfung stehen könnte, ist noch offen. Nach Angaben aus EU-Kreisen ist denkbar, dass während der Operation gerettete Migranten künftig in der EU verteilt werden. Theoretisch könnte auch vereinbart werden, dass die EU-Schiffe nicht mehr ausschließlich italienische Häfen anfahren, nachdem sie Migranten gerettet haben.

Mit ihrer radikalen Positionierung im EU-Libyen-Einsatz setzt die italienische Regierung ihren harten Anti-Migrationskurs unverändert fort. Sie hatte bereits in den vergangenen Wochen mehrfach nicht zum EU-Marineeinsatz zählende Schiffe mit geretteten Migranten an Bord blockiert. So erreichte sie am vergangenen Wochenende, dass noch vor der Anlandung von rund 450 Migranten in Italien EU-Partner wie Deutschland zusagten, einige der Menschen aufzunehmen.

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte bereits am Samstag in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk eine Revision der «Sophia» genannten Mission gefordert. Innenminister Matteo Salvini, der Chef der rechten Lega, forderte schon Anfang Juli, dass nicht mehr alle Schiffe von EU-Missionen wie Themis oder Eunavfor Med Sophia automatisch in Italien einlaufen.

Juncker wies in einem von «Politico» veröffentlichten Brief an Conte auf die «fundamentale Rolle» der Sophia-Mission für die Bekämpfung illegaler Migration hin. «Es ist also in unserem gemeinsamen Interesse, dass jede mögliche Änderung unserer derzeit laufenden Aktivitäten mit maximaler Aufmerksamkeit geprüft werden», schrieb der Kommissionschef.

Contes Vorschlag zur Einrichtung einer Kriseneinheit zur Verteilung von Bootsflüchtlingen unter der Koordinierung der EU-Kommission gegenüber zeigte sich Juncker offen. Dies könne aber lediglich eine «Etappe» auf dem Weg zu stabileren Mechanismen sein. Allerdings sei die EU-Kommission nicht befugt, Schiffen einen sicheren Hafen zuzuweisen. Eine Sprecherin kündigte in Brüssel an, die EU-Kommission werde in der kommenden Woche Vorschläge vorlegen, wie die Ankünfte von Migranten über den Sommer organisiert werden könnten.

Grundsätzlich ist jeder Staat, der eine Rettungsaktion koordiniert, auch dafür zuständig, einen sicheren Hafen zu bestimmen. Sophia wird zwar von Italien geführt - das bedeutet der EU-Kommission zufolge aber nicht, dass der sichere Hafen deshalb auch in Italien liegen muss, dieser könnte demnach auch in einem anderen EU-Land sein.

Unterdessen verbot das bulgarische Parlament der nationalen Regierung in Sofia einem entsprechenden Beschluss zufolge verboten, bilaterale Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen mit anderen EU-Ländern auszuhandeln. Das Parlament verpflichte die Regierung, keine solchen Abkommen «zu unterzeichnen», hieß es in einem Beschlusstext, der einstimmig von 177 Parlamentariern des Regierungslagers und der Opposition verabschiedet wurde. In der Flüchtlingskrise gilt Bulgarien, das eine EU-Außengrenze zur Türkei hat, als Transitland.

Nach der Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber dort registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig. In Bulgarien wollen allerdings sowohl die konservativ-nationalistische Regierung als auch die Opposition verhindern, dass Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern zurückgeschickt werden.