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Unterschriften fehlen noch
Deutschlands und Italiens Migranten-Tausch

Asylbewerber an der deutschen Grenze gegen gerettete Migranten im Mittelmeer: Deutschland verkündet Erfolge bei komplizierten Verhandlungen mit Italien um die Rücknahme von Migranten. Aber begrenzt das wirklich die Zuwanderung?

Berlin/Rom (dpa) - Es ist ein Geben und Nehmen: Wenn Deutschland Migranten von der Grenze zu Österreich nach Italien zurückschickt, soll es im Gegenzug im Mittelmeer gerettete Bootsflüchtlinge aufnehmen. Darauf haben sich beide Länder nach den Worten von Bundesinnenminister Horst Seehofer geeinigt.

«Es fehlen jetzt nur noch die zwei Unterschriften von dem italienischen Kollegen und von mir», sagte der CSU-Chef am Donnerstag im Bundestag. Der Kollege in Rom, Matteo Salvini von der rechten Lega, widersprach zwar nicht. Sein Ministerium ließ sich aber auch nicht zu einer Bestätigung hinreißen, bis die Unterschriften nicht gesetzt sind. Nach den Worten Seehofers könnte der Austausch der Papiere noch einige Tage dauern.

Doch was ist das Ergebnis der zähen Verhandlungen - und wird es Deutschland überhaupt entlasten? Die Absprache über Zurückweisungen von bereits in Italien registrierten Asylbewerbern soll sich an den bereits mit Griechenland und Spanien getroffenen Vereinbarungen orientieren, wie eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums erklärte. Diese sehen vor, dass Deutschland binnen 48 Stunden Migranten von der deutsch-österreichischen Grenze in diese Länder zurückschicken kann, wenn sie dort zuvor bereits einen Asylantrag gestellt haben. Festgestellt wird das über die europäische Fingerabdruck-Datenbank Eurodac.

Salvini pocht allerdings seit Beginn der Verhandlungen darauf, dass Italien durch das Abkommen keinen einzigen zusätzlichen Flüchtling aufnehmen muss. Seehofer hatte Verständnis dafür gezeigt, dass Italien eine Gegenleistung von Deutschland fordert. Angenommen, Italien nimmt 100 Migranten von Deutschland zurück, würde sich Deutschland damit verpflichten, 100 im Meer Gerettete aufzunehmen. Die Details dieser Verpflichtung sollen laut Bundesinnenministerium in einer separaten technischen Absprache geregelt werden.

Am Streit über die von Seehofer geforderte Zurückweisung von bereits anderswo in der EU registrierten Asylsuchenden direkt an der Grenze wäre im Frühsommer beinahe die Koalition aus CDU, CSU und SPD zerbrochen. Seehofer wurde damals beauftragt, Abmachungen mit Italien, Griechenland und Spanien auszuhandeln.

«Der Innenminister selbst hat vor wenigen Tagen bekannt, dass die jetzt vereinbarten Abkommen nicht zu einer Begrenzung der Zuwanderung führen», sagte die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg und sprach von «Symbolpolitik». «Während jeden Monat mehrere Tausend Migranten in Deutschland festgestellt werden, für die ein anderes EU-Land zuständig ist, betreffen die Abkommen kaum 100 Migranten im Monat.»

Klar ist: Wenn die Grenzkontrollen nicht ausgeweitet werden, geht es nur um wenige Menschen. So wurden vom 23. Juni bis zum 12. August insgesamt 143 Migranten aufgegriffen, die zuvor in Griechenland, Italien oder Spanien als Asylbewerber registriert waren, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht. Wie viele Asylbewerber bislang nach den neuen Regeln gestoppt und nach Athen oder Madrid zurückgeschickt wurden, ist unklar. Erstmals kam das Abkommen mit Griechenland Ende August zur Anwendung.

Die Rahmenabsprache mit Italien soll «in ihrer Gültigkeit bis zum 11. November 2018 für die Dauer der Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze begrenzt werden», erklärte das deutsche Innenministerium. Bis zu diesem Zeitpunkt sind aktuell Grenzkontrollen auf europäischer Ebene genehmigt. Diese sind aber bereits mehrmals verlängert worden.

Die Verhandlungen mit der populistischen Regierung in Rom zogen sich hin. Italien fühlt sich seit langem allein gelassen von den EU-Partnern. Seit die rechte Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung im Amt sind, fährt Rom einen rigorosen Anti-Migrationskurs und brachte einen EU-Gipfel im Juni mit einer Blockadedrohung an den Rand des Scheiterns. Neue Regeln zur Umverteilung von Asylbewerbern in Europa sind noch immer weit von einer Umsetzung entfernt.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker widersprach der Klage der Italiener, man habe sie allein gelassen. «Seit 2015 wurden 882 Millionen Euro nach Rom überwiesen, um die Aufwendungen für die Betreuung von Flüchtlingen auszugleichen», sagte er der «Augsburger Allgemeinen» (Donnerstag). Auch dürfe Italien 18 Milliarden Euro mehr Schulden machen, um besondere Aufwendungen tragen zu können.

Pro Asyl kritisierte die Regelung von Seehofer und Salvini scharf. «Der 1-zu-1-Handel mit Italien ist ein Kuhhandel auf dem Rücken von Schutzbedürftigen», sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die Bundesregierung versuche hier gezielt, EU-Recht zu umgehen und einen «faktisch rechtsfreien Raum» zu schaffen.