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1670 Kleriker als Täter
Katholische Kirche dokumentiert 3677 Missbrauchsfälle

Die katholische Kirche in Deutschland hat das Ausmaß von sexuellem Missbrauch untersuchen lassen. Jetzt sind wichtige Ergebnisse vorab bekannt geworden. Sie sind erschütternd - und beunruhigend.

Bonn (dpa) - Das Thema Missbrauch belastet die katholische Kirche seit vielen Jahren enorm - nun hat eine große Studie die Situation in Deutschland aufgearbeitet.

«Spiegel» und «Zeit» veröffentlichten heute vorab Ergebnisse der Untersuchung, die die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) offiziell erst am 25. September vorstellen wollte. Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Kirche war demnach weit verbreitet - und ist keinesfalls zu Ende.

Den Berichten zufolge werteten die Autoren im Auftrag der DBK mehr als 38.000 Personal- und Handakten aus den 27 deutschen Bistümern aus. Für den Zeitraum von 1946 bis 2014 seien dort sexuelle Vergehen an 3677 überwiegend männlichen Minderjährigen protokolliert worden, hieß es in dem «Spiegel»-Vorab.

Insgesamt 1670 Kleriker hätten diese Taten begangen. 4,4 Prozent aller Kleriker der deutschen Bistümer waren demnach mutmaßlich Missbrauchstäter. Mehr als jedes zweite Opfer sei höchstens 13 Jahre alt gewesen, in jedem sechsten Fall sei es zu Formen der Vergewaltigung gekommen.

Die DBK wollte sich zunächst nicht zu den Vorab-Veröffentlichungen äußern und verwies auf eine Pressemitteilung im Laufe des Mittwochs.

Die in der Studie erwähnten Fälle sind vermutlich nur ein Teil dessen, was tatsächlich geschah. «Erkenntnisse über das Dunkelfeld wurden nicht erlangt», schreiben die Autoren der Studie nach «Spiegel»-Angaben. Die «Zeit» zitiert: «In einigen Fällen fanden sich eindeutige Hinweise auf Aktenmanipulation.» In mindestens zwei Bistümern seien Akten vernichtet worden.

Dazu kommt: Die Autoren der Studie hatten keinen Zugriff auf die Originalakten. Alle Archive und Dateien seien vom Kirchenpersonal selbst durchgesehen worden, nicht von den Autoren. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hatte kürzlich bereits kritisiert, dass für die Studie nicht alle Bistümer ihre Archive geöffnet hätten. Der Missbrauchsbeauftragte der Kirche, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, bestritt das.

Beunruhigend ist: Die Autoren der Studie sehen den Berichten zufolge keinen Anlass zu der Annahme, «dass es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker der katholischen Kirche um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und mittlerweile überwundene Thematik handelt». Die Serie der Missbrauchsfälle dauere stattdessen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums an.

Auffällig häufig seien die beschuldigten Kleriker einfach in eine andere Gemeinde versetzt worden - ohne dass diese Bescheid gewusst habe. Die Bereitschaft der Kirche, Täter auch zu bestrafen, müsse «als nicht sehr ausgeprägt» angesehen werden, hieß es demnach in der Studie.

Bei der Frage nach den Gründen für den anhaltenden Missbrauch hätten sich die Autoren zurückhaltend gezeigt, schreibt der «Spiegel». Allerdings seien die Experten zu dem Schluss gekommen, dass «die grundsätzliche Ablehnung» der katholischen Kirche zur Weihung homosexueller Männer «dringend zu überdenken» sei. Außerdem müsse die Frage erlaubt sein, ob die Verpflichtung zum Zölibat - zur Ehelosigkeit des Priesters - «ein möglicher Risikofaktor» sei.

Die katholischen Bischöfe wollen die Studie offiziell am 25. September bei ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda präsentieren. Missbrauch ist für die Kirche zum Dauerthema geworden. Ständig kommen neue Skandale ans Licht. Zuletzt war bekannt geworden, dass in den USA allein im Staat Pennsylvania über 300 Priester des Kindesmissbrauchs bezichtigt werden. Im einst streng katholischen Irland hatte Papst Franziskus Ende August um Vergebung gebeten: «Wir bitten um Entschuldigung für die Misshandlungen in Irland, den Missbrauch von Macht und Vertrauen, sexuellen Missbrauch durch offizielle Mitglieder der Kirche», sagte Franziskus.