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Dämpfer nach GroKo-Gezerre
Merkel nach knapper Wahl als Kanzlerin vereidigt

Die neue Regierung ist eingesetzt, ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl kann die GroKo endlich loslegen. Aber das Hin und Her hat Spuren hinterlassen. Der Bundespräsident gibt der neuen Bundesregierung einen klaren Auftrag.

Berlin (dpa) - Angela Merkel hat nach dem monatelangen Ringen um eine erneute große Koalition von Union und SPD bei der Kanzlerwahl nur eine knappe Mehrheit erhalten.

Die CDU-Vorsitzende bekam in der geheimen Wahl am Mittwoch im Bundestag neun Stimmen mehr, als zu ihrer vierten Wahl als Bundeskanzlerin notwendig waren. Mehr als 30 Abgeordnete der Koalitionsfraktionen wählten die 63-Jährige nicht.

«Ich bin einfach froh für das Vertrauen», sagte Merkel in der ARD-Sendung «Farbe bekennen», die am Abend ausgestrahlt werden sollte. Es sei immerhin ihre vierte Wahl nach schwieriger Regierungsbildung gewesen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief die neue Bundesregierung dazu auf, das Vertrauen der Bevölkerung zurück zu gewinnen. Dafür werde ein «schlichter Neuaufguss des Alten» nicht genügen, sagte der 62-Jährige. Die neue große Koalition müsse sich «ganz besonders im direkten Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern» bewähren. Union und SPD hatten bei der Bundestagswahl viele Stimmen verloren. Der Bundespräsident habe die Bildung einer Regierung unterstützt, «und jetzt hat er uns gesagt, was notwendig ist», sagte Merkel dazu.

Die Kanzlerin und die 15 neuen Bundesminister legten im Bundestag ihren Amtseid ab. Knapp ein halbes Jahr nach der Wahl im September ist die neue Regierung damit im Amt. Am Nachmittag kam das Kabinett zu seiner ersten Sitzung zusammen. Union und SPD haben angekündigt, sich nun sehr schnell um die Umsetzung ihrer Vorhaben zu kümmern.

Auch den europäischen Partnern will die neue Regierung rasch signalisieren, dass Deutschland wieder handlungsfähig ist. Außenminister Heiko Maas wollte noch am Mittwoch zu seiner ersten Reise nach Paris aufbrechen. Zu seinen vorrangigen Aufgaben zählte Maas in seiner Antrittsrede am Mittwoch die Stärkung des Zusammenhalts in der EU. Am Freitag wird auch Merkel in der französischen Hauptstadt erwartet. Russlands Präsident Wladimir Putin, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gratulierten ihr zur Wahl.

Auf das relativ knappe Wahlergebnis reagierte die SPD mit Erstaunen, die Opposition mit Kritik an der Neuauflage der großen Koalition. Von 688 gültigen Stimmen entfielen nach Angaben von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU)) 364 auf Merkel, 355 brauchte sie mindestens. CDU, CSU und SPD verfügen zusammen über 399 Sitze, nur zwei Unionsabgeordnete fehlten. Damit gab es mindestens 33 Abweichler.

Grüne und FDP erklärten, sie hätten die CDU-Chefin nicht unterstützt. Der Bundestag hat 709 Abgeordnete. Von den 692 abgegeben Stimmen waren vier ungültig. 364 Parlamentarier stimmten mit Ja, 315 mit Nein. Neun enthielten sich. Merkel zeigte sich überzeugt, auch bei schwierigen Abstimmungen im Bundestag Rückhalt bei den Regierungsfraktionen zu haben. «Ich glaub, dann werden wir auch die Mehrheiten bekommen wie heute», sagte sie im ZDF-«heute-journal».

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles zeigte sich erstaunt über das Ergebnis. «Es waren mehr Gegenstimmen, als ich erwartet hätte», sagte Nahles dem Sender «Welt». Bei der SPD sei «die Lage sehr geschlossen» gewesen. «Darum kann ich mich nur wundern.» Der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, hielt im Sender «Phoenix» dagegen, niemand wisse, wer wie gestimmt habe. Der künftige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verwies auf die langwierige Regierungsbildung, die Spuren hinterlassen habe.

Der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow betonte, für ihn sei es eine Gewissensfrage gewesen, Merkel nicht zu wählen. Die Glaubwürdigkeit der SPD habe durch ihre 180-Grad-Wende von einem Nein zur Neuauflage einer GroKo hin zum Ja gelitten, schrieb der ausgewiesene GroKo-Gegner in einer Erklärung. Er aber wolle seine Glaubwürdigkeit nicht aufgeben. «Mein Gewissen sagt mir weiter deutlich, ich kann Angela Merkel meine Stimme nicht geben.»

Linke und Grüne werteten das Wahlergebnis als holprigen Start und Zeichen für die Zerrissenheit der großen Koalition. FDP-Chef Christian Lindner sprach von einem «Autoritätsverlust» der Kanzlerin. «Man kann davon ausgehen, dass die Koalition noch vor dem Ablauf der Legislaturperiode das Zeitliche segnen wird», sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel.

Auch 2005, 2009 und 2013 hatten nicht alle Parlamentarier der Koalitionsfraktionen für sie gestimmt. Diesmal war der Widerstand in der SPD gegen eine erneute große Koalition nach der historischen Wahlniederlage der Sozialdemokraten aber besonders groß. Die SPD-Fraktion erhob sich nach Merkels nicht und applaudierte auch nicht geschlossen.

Rund um die Kanzlerinwahl kam es zu Zwischenfällen. Ein Mann wurde von der Polizei wenige Meter von der Kanzlerin entfernt niedergerungen, als Merkel das Reichstagsgebäude verließ. Details konnte das Bundeskriminalamt zunächst nicht nennen, es werde ermittelt. Der AfD-Abgeordnete Peter Bystron muss ein Ordnungsgeld von 1000 Euro zahlen, weil er ein Bild seines Wahlzettels mit einem «Nein» zu Merkel im Netz veröffentlicht hatte. Ein AfD-Mitglied entrollte auf der Besuchertribüne an Transparent mit der Aufschrift «Merkel muss weg» und flog aus dem Bundestag.

Amüsierte Reaktionen löste Merkels Mann Joachim Sauer aus, der während der Wahl auf Handy und Laptop herumtippte. Auch Merkels 89 Jahre alte Mutter Herlind Kasner war unter den Zuschauern im Bundestag.

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