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Merkel für weiteren Soli-Abbau
Industrie wirft der Koalition Stillstand vor

Die Regierung beschäftige sich zu sehr mit sich selbst, schimpft der Industrieverband BDI. Statt zu regieren werde gestolpert. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands sei angreifbar. Der Wirtschaftsminister kündigte eine Initiative an.

Berlin (dpa) - Die deutsche Industrie hat vor einem Abschwung der Konjunktur gewarnt und die Bundesregierung zu deutlich mehr Tempo bei Reformen aufgefordert.

Eine Regierung in einem permanenten «Selbstgespräche-Modus» bedeute Stillstand, kritisierte BDI-Chef Dieter Kempf beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin angesichts koalitionsinterner Konflikte. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schlug einen Wachstumspakt mit Entlastungen für die Wirtschaft vor. Er will dafür mögliche finanzielle Spielräume in Milliardenhöhe nutzen.

Altmaier sagte, seine Initiative beruhe auf drei Säulen. Zum einen solle es mit der Wirtschaft eine Verständigung über Innovationen geben. «Die zweite Säule ist, dass wir uns über Entlastungsmaßnahmen verständigen, die möglich werden durch wachsende Staats- und Steuereinnahmen.» Daneben solle es einen weiteren Anlauf zum Bürokratieabbau geben.

Der Wirtschaftsminister schlug vor, die Hälfte von allen Mehreinnahmen dafür einzusetzen, die wirtschaftlich Aktiven zu entlasten. Damit solle die Innovationsfähigkeit gefördert werden. Altmaier sprach von einem Betrag von mindestens zweistelliger Milliardengröße in den nächsten Jahren. «Wir sollten den Mut haben, dies gemeinsam in der Koalition zu beschließen, um damit auch ein klares Signal für alle wirtschaftlich Tätigen zu setzen.»

Die deutsche Wirtschaft fordert seit langem Entlastungen - auch unter Verweis auf die Senkung von Unternehmensteuern in den USA und anderen Ländern. BDI-Chef Kempf kritisierte, die Bundesregierung schaue diesem Treiben tatenlos zu. «Das grenzt fast schon an unterlassene Hilfeleistung.»

Die große Koalition sei zerstritten und zu sehr mit hausgemachten Krisen beschäftigt. «Wir brauchen eine Politik, die nicht nur verwaltet, sondern beherzt den Kurs unseres Landes bestimmt.» Ein Jahr nach der Bundestagswahl stellte Kempf der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus. «Gestolpert wird leider immer noch.»

Die deutsche Industrie sei zwar noch in einer robusten Verfassung, die Konjunktur laufe aber nicht mehr so rund wie erwartet. «Unsere Stärke ist angreifbar», sagte Kempf. Deutschland müsse sich auf einen wirtschaftlichen Abschwung gefasst machen. Der BDI senkte seine Konjunkturprognose für das laufende Jahr von zweieinviertel auf zwei Prozent. Der hohe Exportanteil der deutschen Wirtschaft werde immer stärker bedroht, sagte Kempf mit Blick auf Handelskonflikte mit den USA oder den Brexit. Der BDI-Chef forderte unter anderem eine Innovationsoffensive bei Schulen und Straßen sowie für ein schnelles Internet bis in abgelegene Landkreise.

Weitere Entlastungen fordert die Wirtschaft auch beim geplanten Soli-Abbau. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm dies in ihrer Rede beim Tag der Industrie auf. Sie bezeichnete die mit der SPD erzielte Verständigung als einen der schwierigsten Kompromisse bei den Koalitionsverhandlungen. Der Soli werde zwar für 90 Prozent der Zahler abgeschafft, aber für zehn Prozent nicht.

Sie halte dies nicht für gerecht. «Wir werden immer und immer wieder versuchen, an dieser Frage noch mal etwas zu ändern, weil ich glaube, es ist keine gute Nachricht gerade für die ganzen Unternehmen.» Die Wirtschaft kritisiert, nach den bisherigen Plänen drohten gerade Mittelständler, die Einkommensteuer zahlten, leer auszugehen.

Merkel versprach zudem erneut eine Verbesserung der Regierungsarbeit. «Ich kann Sie alle gut verstehen, wenn Sie sagen, die Regierungsbildung war schon so lange und danach gab es wieder einen hohen Anteil an Selbstbeschäftigung, das wünschen wir uns anders», sagte die Kanzlerin. Sie nehme die Bitte sehr positiv auf: «Ich werde alles daran setzen, da zu Verbesserungen zu kommen.»

Die Kanzlerin hatte erst am Montag Fehler beim Umgang mit dem umstrittenen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen eingeräumt. Sie habe sich bei der ursprünglich geplanten Beförderung Maaßens zum Staatssekretär «zu sehr mit der Funktionalität und den Abläufen im Innenministerium beschäftigt, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt», sagte Merkel und drückte ihr Bedauern aus.