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DFB-Pokal
Bayer-Boss Carro: «Möglichst in jedem Jahr um Titel spielen»

Fernando Carro
Fernando Carro, Geschäftsführer der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH, beantwortet Fragen. Foto: Roland Weihrauch/dpa
Bayer Leverkusen steht am Samstag gegen den FC Bayern München zum ersten Mal seit elf Jahren im Endspiel des DFB-Pokals und kann den ersten Titel seit 27 Jahren holen. Für Fernando Carro, den Vorsitzenden der Geschäftsführung, soll das erst der Anfang sein.

Leverkusen (dpa) - Bei seinem Amtsantritt bei Bayer Leverkusen 2018 hat Fernando Carro das Ziel ausgegeben, Titel gewinnen zu wollen. Am Samstag könnte es so weit sein, wenn Bayer erstmals seit elf Jahren im Endspiel des DFB-Pokals steht und auf den FC Bayern trifft.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Club-Chef Carro unter anderem über die Bedeutung des Spiels für den Verein, die Europa-League-Endrunde im August und die Situation um Kai Havertz.

Herr Carro, die Bundesliga-Saison konnte tatsächlich zu Ende gespielt werden. Glauben Sie, dass diese schwierige Phase auch gute Dinge im Profi-Fußball anstoßen kann?

Fernando Carro: Ich hätte sehr gerne auf Corona verzichtet. Deshalb weigere ich mich eigentlich, von positiven Effekten zu sprechen. Aber natürlich kann es letztlich hier und da hilfreiche Auswirkungen haben. Wenn zum Beispiel künftig viel mehr mittelfristig als kurzfristig gedacht würde.

Aber kann ein Fußball-Verein Rücklagen bilden?

Carro: Am Ende musst du sportlichen Erfolg haben und hältst keine Mittel künstlich zurück, um Rücklagen zu bilden. Und schon gar nicht Rücklagen in dieser Höhe, wie sie jetzt gebraucht wurden. Man darf aber auch nicht über seine Verhältnisse leben und übermäßig Schulden aufbauen. Sondern muss den Erfolg mit den Mitteln erreichen, die einem zur Verfügung stehen.

Bayer Leverkusen hat sein erstes sportliches Ziel, die Qualifikation für die Champions League, zumindest über die Bundesliga verpasst. Wie tief sitzt die Enttäuschung?

Carro: Es tut schon weh. Vor allem, weil wir es am vorletzten Spieltag selbst aus der Hand gegeben haben. Das Einzige, was den Schmerz momentan abmildert, ist die Aussicht aufs Pokalfinale - und die Hoffnung auf einen Europa-League-Sieg. Denn dadurch kämen wir ja auch in die Champions League.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Chance darauf? Bei den Buchmachern ist Leverkusen Zweiter hinter Manchester United.

Carro: Unser Ehrgeiz in diesem Wettbewerb war schon vorher hoch. Aber jetzt geht es nicht allein um einen großen Titel. Es geht auch um die Qualifikation für die Champions League. Der Gewinner der Europa League ist in der Champions League Gruppenphase sogar gesetzt. Und die Bundesliga hätte fünf Teilnehmer. Das wäre super.

Ist der Titel ein Ziel? Oder wenigstens ein konkreter Traum?

Carro: Beides. Wir besitzen nach dem Hinspielsieg in Glasgow im März große Chancen auf ein Weiterkommen. Nutzen wir die, sind es zwei Siege bis zum Finale. Da ist es doch nur ambitioniert und ehrlich zu sagen: diese Gelegenheit wollen wir ergreifen.

Müssen Sie die Champions League erreichen, um den von europäischen Top-Vereinen umworbenen Kai Havertz halten zu können?

Carro: Nein, das spielt keine Rolle. Kai hat Vorstellungen von seiner Zukunft, die wir respektieren. Gleichzeitig hat er einen Vertrag bis 2022, den es ebenfalls zu respektieren gilt. Wir haben schon mehrfach die Bedingungen deutlich gemacht, zu denen wir ihn gegebenenfalls ziehen lassen würden. Und ich kann im Moment nicht abschätzen, ob einer der Vereine, die an ihm interessiert sind, diese Bedingungen in diesem Sommer erfüllt.

Ist es in Stein gemeißelt, dass Havertz so oder so beim Europa-League-Finalturnier noch für Leverkusen spielen wird?

Carro: Ja. Das steht nicht zur Diskussion.

Gibt es für die Entscheidung in diesem Sommer eine Deadline? Das Transfer-Fenster ist diesmal bis Oktober offen.

Carro: Nein, eine Deadline gibt es nicht. Aber wir sind auf alle Szenarien vorbereitet.

Die Endrunde der Europa League findet in Nordrhein-Westfalen statt, das Finale um die Ecke in Köln. Wie groß ist die Hoffnung, dass wenigstens ein paar Zuschauer dabei sein können.

Carro: Ich habe viel Kraft und Energie eingesetzt, dass wir beim Pokal-Finale in Berlin Zuschauer zulassen können. Das hat leider nicht geklappt. Die Endrunde ist im August, Großveranstaltungen in Deutschland sind bis Ende Oktober verboten. Deshalb habe ich da leider wenig Hoffnung.

Den ersten Titel seit 27 Jahren könnten Sie aber schon am Samstag holen, wenn Bayer im Endspiel des DFB-Pokals auf den FC Bayern trifft. Wo ist denn die Titel-Chance größer?

Carro: Die Bayern sind in meinen Augen besser als alle, die noch in der Europa League spielen. Grundsätzlich ist es aber einfacher mit einem Spiel einen Pokal zu holen als mit vier Spielen. Deshalb müssen wir die absolute Gier entwickeln, diese sich jetzt bietende Chance auf den DFB-Pokal zu nutzen.

Bayer hat elf Jahre auf einen Final-Einzug gewartet. Wie bitter ist es, dass dieser ausgerechnet im Jahr 2020 gelang, in dem keine Zuschauer erlaubt sind.

Carro: Das ist schon sehr schade, natürlich. Aber lieber in diesem Jahr als in gar keinem. Und es ist doch eine schöne Motivation, nächstes Jahr wieder das Endspiel zu erreichen. Und dann hoffentlich mit Zuschauern.

Wie viel bleibt noch von diesem besonderen Gefühl, dass das Pokal-Endspiel immer verbreitet?

Carro: Ich war im Vorjahr zum ersten Mal als Geschäftsführer dabei. Und da habe ich mich schon gefragt, wie es wäre, wenn wir selbst im nächsten Jahr dabei wären. Es ist schade, dass der Rahmen diesmal ein anderer ist. Aber die Anspannung und die Fokussierung sind voll da. Es ist immer noch das Endspiel um den DFB-Pokal.

Sie haben vor drei Wochen zu Hause 2:4 gegen die Bayern verloren, davor aber zweimal hintereinander gewonnen.

Carro: Hätten wir Anfang Juni auch noch gewonnen, wäre die statistische Chance noch geringer. Denn wer gewinnt schon viermal hintereinander gegen die Bayern? (lacht) Ich hoffe, dass wir aus den Fehlern des letzten Spiels lernen. Klar ist: Die Bayern sind so gut drauf, dass wir nicht auf einen schwachen Tag von ihnen hoffen dürfen. Wir benötigen eine überragende Leistung und müssen über 100 Prozent anbieten. Aber das traue ich uns auch zu.

Wie sehr würden Sie den Erfolg auch Ihrem Sportchef Rudi Völler gönnen? Er kam 1994, ein Jahr nach dem letzten Titel in den Verein, und war seitdem bis auf viereinhalb Jahre immer dabei.

Carro: Ich würde jedem im Verein dieses Gefühl gönnen. Natürlich auch und besonders Rudi Völler. Ich arbeite sehr gut und vertrauensvoll mit ihm zusammen. Er hat Erfahrungen und Fähigkeiten, die ich nicht habe und umgekehrt.

Mit dem ersten Titel seit 27 Jahren - egal ob am Samstag oder im August - könnten Sie auch den Begriff «Vizekusen» auslöschen.

Carro: Das spielt für mich keine Rolle. Das ist ein Begriff aus der Vergangenheit. Wir wollen, dass es in der Zukunft anders läuft. Wir wollen nicht nur in Endspielen dabei sein. Vielleicht hat sich der Begriff Ende dieses Sommers schon erledigt.

Sie haben das Ziel «Titel» bei Ihrem Amtsantritt für Leverkusener Verhältnisse sehr forsch formuliert.

Carro: Dazu stehe ich auch. Das ist ein Anspruch, der zu mir gehört, mein Naturell. Ich will regelmäßig um Titel spielen. Und das nicht einmal, sondern möglichst in jedem Jahr.

Ist das eine Mentalität, die diesem Verein lange gefehlt hat?

Carro: Vielleicht. Ich habe von Anfang an dafür gekämpft, dass wir noch ehrgeiziger werden. Dass wir daran glauben, dass hier etwas möglich ist. Dass wir ein Verlangen dafür entwickeln. Und dass wir nicht das Ziel formulieren, international zu spielen, sondern in die Champions League zu kommen. Auch auf die Gefahr, dass wir kritisiert werden, wenn es nicht klappt.

Sollte der Coup letztlich gelingen: Wie würden Sie das in Corona-Zeiten feiern?

Carro: Wir hatten viele Sitzungen mit dem Oberbürgermeister und der Stadt Leverkusen, mit der Polizei, mit den Fan-Betreuern. Wir haben über sehr viele Dinge nachgedacht. Aber wir sind letztlich zu dem Schluss gekommen, dass wir von allem Abstand nehmen werden. In Berlin haben wir eine kleine, interne Abschlussveranstaltung geplant, die in jedem Fall nach dem Finale stattfinden wird. Dort würde es für den Fall des Pokalsiegs sicher etwas fröhlicher zugehen, aber darüber hinaus ist tatsächlich nichts in Vorbereitung.

Würden Sie sich in diesem Moment etwas Besonderes gönnen? Eine Zigarre? Ein Glas Whiskey?

Carro: Zigarren rauche ich nicht. Ich würde mir bestenfalls ein Glas Gin Tonic gönnen. Aber im Endeffekt bräuchte ich auch nichts Besonderes. Das Gefühl, gewonnen zu haben, würde mir vollkommen reichen.

ZUR PERSON: Fernando Carro de Prada (55) ist in Barcelona geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium stieg er bei Bertelsmann ein, wo er zuletzt Vorstandsvorsitzender der Konzern-Tochter Arvato war. Seit dem 1. Juli 2018 fungiert er als Vorsitzender der Geschäftsführung von Bayer Leverkusen. Seit September 2019 ist er einziges deutsches Mitglied des Uefa Club Competition Committee (CCC).

© dpa-infocom, dpa:200630-99-625811/4

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