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Weltmeister-Kapitän
Lahm: «Ich habe hoffentlich noch viel vor mir im Leben»

Das Leben von Philipp Lahm hat sich sehr verändert. Aber der Fußball lässt den Unternehmer und Familienvater nicht los. Das aktuelle Ziel gilt der EM 2024. Der Weltmeister-Kapitän spricht über Brasilien 2014, die WM in Russland, seine Zukunftspläne und «tote Zeit».

München (dpa) - Ein Jahr nach seinem Karriereende als Profi mischt Philipp Lahm wieder richtig mit im großen Fußballgeschäft.

Der Kapitän der deutschen Weltmeistermannschaft von 2014 freut sich auf die WM in Russland, bei der er in seiner Funktion als EM-Botschafter für 2024 zur DFB-Delegation gehört. Lahm wird während des Turniers zudem für die ARD arbeiten. Auch eine Rückkehr zum FC Bayern schließt der gebürtige Münchner im Interview der Deutschen Presse-Agentur für die Zukunft nicht aus.

Wie sehr vermissen Sie es, vor 70.000 Zuschauern Fußball zu spielen?

Philipp Lahm: Ich vermisse nicht das Stadion, nicht die Zuschauer und nicht das Spielen auf dem Platz. Wenn ich etwas vermisse, ist es die Atmosphäre in der Kabine. Die ist speziell. Aber Profi war ich lange genug.

Eine Kabinen-Atmosphäre, wie sie beim FC Bayern nach dem Halbfinal-Aus in der Champions League gegen Real Madrid herrschte, dürften Sie aber weniger vermissen, oder?

Lahm: Stimmt. Da gibt es schönere Momente. Aber so etwas gehört auch dazu. Ich habe in meiner Karriere auch bittere Misserfolge erlebt. Und daraus bin ich oft gestärkt hervorgegangen. Ob in der Nationalmannschaft oder beim FC Bayern – wir mussten einige schmerzhafte Niederlagen verkraften, bis es zum ganz großen Erfolg gereicht hat. Auch solche Momente können eine Mannschaft zusammenschweißen.

Wie oft waren Sie seit Ihrem Karriereende vor einem Jahr bei Spielen des FC Bayern oder der Nationalmannschaft im Stadion?

Lahm: Ich war zweimal bei der Nationalmannschaft als Botschafter für die EURO 2024 im Stadion: In Düsseldorf gegen Spanien und in Berlin gegen Brasilien. Fast alle Spiele des FC Bayern habe ich im Fernseher verfolgt.

Schlafen Sie denn als Bayern-Fan nach einem bitteren Aus wie in der Champions League gegen Real Madrid schlecht?

Lahm: Nein, so ist es nicht. Aber ich ärgere mich schon. Ich habe natürlich Bayern die Daumen gedrückt, denn ich habe ja mit fast allen Spielern noch zusammengespielt.

Wie sehr hat sich Ihr Leben nach dem Karriereende verändert?

Lahm: Mein Tagesablauf ist abwechslungsreicher geworden. Ich darf mich mit meinen Unternehmen Sixtus und Schneekoppe beschäftigen. Zudem habe ich die Philipp-Lahm-Stiftung für Sport und Bildung, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. Im Moment planen wir das 25., 26. und 27. Sommercamp. Fast 2000 Kinder haben sich bisher mit gesunder Lebensführung beschäftigt und viel über Bewegung, Ernährung und Persönlichkeitsentwicklung gelernt. Und ich genieße die Zeit mit meiner Familie, meinem Sohn und meiner neun Monate alten Tochter sehr. Ausruhen gibt es da sowieso nicht. Es macht mir auch immer Freude, meinen Sohn morgens in den Kindergarten zu bringen.

Was vermissen Sie am wenigsten?

Lahm: Die 'tote Zeit' rund um die Spiele. Die Zeit des Wartens, am Flughafen, im Hotel, bis zur Abfahrt ins Stadion, dann in der Kabine bis zum Anpfiff. Diese Zeit des Nichtstuns vermisse ich nicht.

Welche Rolle spielt der Fußball in Ihrem neuen Leben?

Lahm: Im Augenblick schaue ich mir gerne Spiele im Fernsehen an. Es ist interessant zu beobachten, wer wie Fußball spielt. Und ich bin als EM-Botschafter dafür verantwortlich, die EURO 2024 mit dem DFB nach Deutschland zu holen. Diese 2024 in Deutschland zu veranstalten, ist wieder eine gute Gelegenheit, die Gastfreundschaft und den Zusammenhalt in Deutschland und Europa zu zeigen.

Was war der Antrieb, das Botschafteramt zu übernehmen?

Lahm: Ich verbinde so viele besondere Momente mit dem Fußball und vor allem mit der WM 2006. Deshalb war schnell klar, dass ich 'Ja' sagen muss. Als Ehrenspielführer und Weltmeister will ich weiterhin Verantwortung im Fußball übernehmen. Ich sehe das schon als große Verpflichtung. So ein Erlebnis wie die EM 2024 kann der nächsten Generation einen Impuls geben, sich sportlich zu betätigen.

Am 27. September heißt es bei der Vergabe Deutschland gegen die Türkei. Sie haben durchaus gute Erinnerungen, denn im Halbfinale der EM 2008 haben Sie in Basel kurz vor Schluss das Siegtor gegen die Türken erzielt. Wie bewerten Sie das neue Duell mit der Türkei?

Lahm: Wir sollten nicht so sehr auf den Mitbewerber achten. Wir sollten hervorheben, was uns in Deutschland die EM 2024 bringen würde. Und wir sollten in Europa mit dem werben, was uns als Nation auszeichnet: Demokratische Grundrechte, Meinungsfreiheit, Toleranz, Respekt. Diese positiven und gemeinschaftlichen Aspekte müssen wir hervorheben. Auch auf dem Fußballplatz haben wir als Nation immer auf unsere eigenen Stärken vertraut und uns nicht so sehr am Gegner orientiert.

Warum sollte Deutschland 18 Jahre nach der WM wieder einmal Gastgeber eines großen Fußballturniers sein?

Lahm: Weil wir es können. Wir haben schon mehrfach bewiesen, dass wir ein sehr guter Gastgeber sind. Und es wäre ein Privileg für unser Land. Ein Volk muss auch zusammenkommen und sich immer wieder finden. Fußball kann da ein passender Anlass sein. 2006 hatten wir super Wochen in Deutschland, die Menschen sind zusammengekommen. Sie haben wieder Zusammenhalt gespürt und gesehen, wie wichtig eine Gemeinschaft ist – das Gefühl, dass man sich gegenseitig unterstützt und sicher ist. Ich glaube, es wäre für Deutschland, aber auch für Europa wichtig, ein gemeinsames Fußballfest zu erleben. Dass wir dieses perfekt organisieren können, haben wir in der Vergangenheit gezeigt.

Würden Sie bei einem Zuschlag auch eine Anschlussaufgabe beim DFB für die EM 2024 übernehmen, ähnlich wie Franz Beckenbauer bei der WM 2006?

Lahm: Im Augenblick gehen unsere Überlegungen bis zum 27. September, dem Tag der Entscheidung. Wir müssen erst einmal den Zuschlag bekommen.

Es scheint aber schwer vorstellbar, dass Sie bei einer Vergabe an Deutschland Ihr Engagement danach für beendet erklären würden.

Lahm: Wie gesagt, ich habe viel Spaß und Freude an dieser Aufgabe. Wir werden sehen, wie das Team aussieht, wenn wir uns tatsächlich gegen die Türkei durchsetzen.

Sie werden auch zur DFB-Delegation bei der WM in Russland gehören und zumindest das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft in Moskau gegen Mexiko miterleben. Was erwarten Sie sich von der WM?

Lahm: Ich freue mich und bin gespannt auf die WM, die übrigens meine erste als Zuschauer seit 2002 ist. Als Spieler bekommt man wenig von der Organisation und den Abläufen bei solch einem Turnier mit. Man muss sich voll und ganz darauf konzentrieren, gut zu spielen. Genau das Drumherum möchte ich kennenlernen. Beim Brasilien-Spiel in Berlin habe ich zuletzt die Organisatoren getroffen und die freiwilligen Helfer, die eine Choreografie vorbereitet haben, damit die Zuschauer im Stadion und vor dem Fernseher ein beeindruckendes Bild zu sehen bekommen.

Neu ist, dass Sie während der WM für die ARD arbeiten. Was erwartet den Zuschauer?

Lahm: Ich freue mich auf die Gespräche mit Jessy Wellmer. Fußball ist immer auch Unterhaltung. Deshalb wollen wir über die Ereignisse rund um das Turnier und über den Zustand unserer Mannschaft sprechen – vor einem Spiel, bei einem Sieg oder auch einer Niederlage. Da hilft mir meine Erfahrung von sechs großen Turnieren.

Sind Sie damit der Gegenpart zu Oliver Kahn beim ZDF?

Lahm: Nein. Ich würde mich nicht als TV-Experten bezeichnen. Ich bin nicht der Experte am Spielfeldrand, der die Spiele in der Tiefe analysiert und die Ergebnisse im Detail reflektiert. Ich möchte so über Fußball sprechen, wie ihn die Fans erleben, in einer entspannten Atmosphäre und in einer lockeren Unterhaltung. Das ist am Tegernsee leichter als im WM-Studio in Baden-Baden.

Trauen Sie Ihren ehemaligen Kollegen und Joachim Löw die für Deutschland historische Titelverteidigung in Russland zu?

Lahm: Jogi traue ich sehr viel zu. Er hat bewiesen, dass er ein sehr guter Trainer ist. Und er weiß, wie er die Mannschaft perfekt zusammenstellen und vorbereiten kann. Deutschland war immer eine Turniermannschaft. Sie zählt zu den Favoriten.

Wenn Sie auf Brasilien 2014 zurückblicken: Woran denken Sie zuerst?

Lahm: An den Schlusspfiff im Finale. Vom Tor von Mario Götze bis zum Abpfiff, das waren die längsten Minuten meines Fußballlebens. Da dachte ich nur: Bitte, bitte, pfeif endlich ab! Ich weiß noch, kurz vor Schluss gab es noch einen Freistoß für Argentinien, den Lionel Messi drüber geschossen hat. Dann hat Manuel Neuer einen Abstoß gemacht - und dann wurde abgepfiffen. Diese letzten Minuten und die ein, zwei Stunden danach, daran werde ich immer als Erstes denken.

Was war der Schlüssel zum Triumph vor vier Jahren?

Lahm: Das war eine Kombination von mehreren Faktoren. Wir hatten eine Top-Mannschaft mit erfahrenen und jungen Spielern. Wir hatten einen sehr guten Zusammenhalt. Und man braucht für große Titel auch das Quäntchen Glück - und das hatten wir in Brasilien.

War es die richtige Entscheidung, als Nationalspieler auf dem Höhepunkt aufzuhören, obwohl Sie damals erst 30 Jahre alt waren?

Lahm: Ja. Ich habe mir vorher schon Gedanken gemacht, dass es mein letztes Spiel ist. Am Höhepunkt abtreten zu können, dazu gehört natürlich auch Glück. Aber es war für mich die richtige Entscheidung.

Vor einem Jahr haben Sie mit dem Profifußball aufgehört. Es sah eine Zeitlang so aus, als würden Sie direkt eine neue Aufgabe beim FC Bayern übernehmen. Warum kam es nicht dazu?

Lahm: Weil wir verschiedene Auffassungen von der Tätigkeit hatten, von Verantwortungsbereichen und von der Strukturierung der Verantwortlichkeiten.

Könnte es trotzdem irgendwann ein Lahm-Comeback beim FC Bayern geben?

Lahm: Klar. Ich bin 34 Jahre alt. Ich habe hoffentlich noch viel vor mir in meinem Leben. Ich habe aktuell interessante Aufgaben, aber wie gesagt: Ich bin erst 34, ich kann mir das natürlich vorstellen!

Niko Kovac wird Nachfolger von Jupp Heynckes. Eine gute Wahl?

Lahm: Der FC Bayern hat in der Vergangenheit immer gute Nachfolger und Lösungen gefunden. Aber erst wenn der neue Trainer da ist, wird man sehen, wie die Arbeit funktioniert. Die Wahl kann man, wenn man den FC Bayern ein bisschen kennt, nachvollziehen.

Haben Sie auch über das bemerkenswerte Comeback von Jupp Heynckes gestaunt, auch wenn er nach dem Champions-League-Aus gegen Real Madrid nicht noch einmal mit dem Titel-Triple abtreten kann?

Lahm: Überrascht bin ich überhaupt nicht. Die Mannschaft hat ja Qualität. Und Jupp Heynckes ist einer, der die Leute hinter sich bringt. Und ich war schon gar nicht überrascht, dass sie die Bundesliga gewonnen haben. Da muss schon viel passieren, dass Bayern nicht deutscher Meister wird.

Und wie bewerten Sie das Abschneiden in der Champions League?

Lahm: Ein Halbfinale ist kein schlechtes Ergebnis. Man gehört in dieser Saison wieder zu den besten vier Mannschaften in Europa. Am Ende der Champions League wird es von der Qualität immer eng. Wie oft hat Bayern die Champions League gewonnen? Zweimal. Man gewinnt die Champions League nicht alle zwei, drei Jahre. Die Konkurrenz wird zum Ende immer größer. Der Maßstab von Bayern ist nicht Besiktas Istanbul oder Sevilla, sondern Real Madrid. Und der FC Bayern hätte es nach den beiden Spielen verdient gehabt, ins Finale einzuziehen.

Im letzten Spiel von Jupp Heynckes kommt es nun zum Duell mit seinem Nachfolger Niko Kovac. Werden Sie beim Pokalfinale Bayern gegen Frankfurt in Berlin dabei sein? Und wie geht es aus?

Lahm: Ja, ich werde als EM-Botschafter in Berlin sein und ich gehe davon aus, dass Bayern gewinnt. Ich weiß noch, dass wir Pep Guardiola und seinem Trainerteam 2016 einen schönen Abschied bescheren wollten. Auch da waren wir schon Meister. Damals ging es gegen Dortmund ins Elfmeterschießen. Ich bin überzeugt, dass die jetzige Mannschaft Jupp auch einen schönen Abschied bescheren will. Die Qualität des FC Bayern gegenüber Eintracht Frankfurt ist viel höher. Ich glaube, darum wird der Mannschaft das auch gelingen.

Daten und Fakten zu Philipp Lahm

WM-Turnier 2014

Spielplan WM 2018

Terminplan Nationalmannschaft