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Eisschnelllauf-Olympiasiegerin
Pechstein-Interview: Fühle mich als «Versuchskaninchen»

Claudia Pechstein ist die erste Sportlerin, die zum siebten Mal an Olympischen Winterspielen teilnimmt. Im Interview erklärt sie, wie sie sich auch mit 45 Jahren motivieren kann.

Pyeongchang (dpa) - Die Konkurrenz staunt über Claudia Pechstein. Während der Spiele in Pyeongchang feiert die Eisschnellläuferin ihren 46. Geburtstag. Und doch rennt sie vielen der kaum halb so alten Topläuferinnen immer noch davon.

Über ihre ungebrochene Motivation berichtet die neunmalige Olympia-Medaillengewinnerin im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Wie schaffen Sie es, mit 45 Jahren noch solche Leistungen abzurufen, dass Sie als erste Sportlerin der Welt Ihre siebten Winterspiele erleben dürfen?

Claudia Pechstein: «Bisher hat es ja noch keiner versucht. Vielleicht bin ich ein Versuchskaninchen. Mal fühlt man sich schlechter, mal besser in dem Alter. Viele sagen ja, es sei gar nicht möglich, in diesem Alter bei Olympia erfolgreich zu sein. Ich möchte gerne das Gegenteil beweisen. Auf jeden Fall regeneriere ich jetzt langsamer als früher.»

Wie beurteilen Sie die Aufnahme in den Kreis der fünf Athleten, die als Fahnenträger des Olympia-Teams infrage kommen?

Pechstein: «Ich bin wahnsinnig stolz darauf. Mein Dank gehört dem DOSB, der damit beim Politikum Pechstein, das ich nun mal bin, meine Rehabilitierung unterstreicht und mir die gleiche faire Chance einräumt wie den anderen vier verdienten Athleten. Das bestärkt mich darin, meinen Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die ich ertragen musste, auch juristisch bis zum Ende weiter zu führen.»

2006 haben sie die Fahne bei der Schlussfeier in Turin getragen. Was würde es Ihnen bedeuten, die Fahne tragen zu dürften?

Pechstein: «Es wäre eine große Ehre für mich und Motivation pur. Es würde sich ein großer Traum erfüllen, vergleichbar mit dem Gewinn einer zehnten Olympia-Medaille. Vor acht Jahren hätte wohl niemand gedacht, dass ich jemals für diesen Posten infrage komme.»

Trauen Sie sich das denn körperlich zu, einen Tag vor der 3000-Meter-Entscheidung?

Pechstein: «Trauen Sie mir das nicht zu? Es gab schon weit schmächtigere Athletinnen, die das gepackt haben. Aber darüber zerbreche ich mir jetzt noch nicht denn Kopf.»

Welche Erinnerungen habe Sie an ihre ersten Spiele 1992 in Albertville?

Pechstein: «Ich war 19 und habe mit Christa Luding zusammen gewohnt, die war für mich damals wie eine «Mama». Sie hat sich rührend um mich gekümmert. Und ich erinnere mich, dass ich nach meinem Wettkampf in die Kabine ging, mich umgezogen habe und dann plötzlich zur Siegerehrung gerufen wurde. Ich sagte unserem Teamleader: «Ja, ja, ich guck mir die gleich an». Ich hatte das Rennen nicht weiter verfolgt und war völlig baff, dass ich am Ende Bronze gewonnen hatte. Das war komisch damals. Deshalb hatte ich auch nicht die offizielle Teambekleidung für die Siegerehrung dabei.»

Ist der Ärger verflogen, dass Sie die Spiele 2010 durch Ihre Sperre verpasst haben?

Pechstein: «Der wird niemals verflogen sein. Es ist Spekulation: Aber wenn ich Vancouver 2010 erlebt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich gar nicht hier. Nur der Kampf gegen den Weltverband ISU hat mich motiviert, weiter zu laufen.»

Wäre die Sperre nicht gewesen, hätten Sie Matthias Große wahrscheinlich nicht kennen gelernt...

Pechstein: «Es war auf jeden Fall ein schöner Weg an seiner Seite. Ich bin stolz, dass wir beide vom DOSB nominiert worden sind. Für mich sind es die siebten, für ihn die zweiten Spiele.»

Wie wichtig sind Ihnen die Anfeuerungsrufe ihres Partners in der Halle?

Pechstein: «Ich höre seine Schreie immer. Sie stimulieren mich.»

Sehen Sie sich durch den DOSB vollkommen rehabilitiert?

Pechstein: «Ganz großer Dank an Alfons Hörmann, dass er sich als DOSB-Präsident meinen Fall noch einmal vorgenommen hat und eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt hat. Diese kam dann zu dem einzig möglichen Schluss, dass ich unschuldig bin. Das war wichtig.»

Laufen Sie immer noch mit Ärger im Bauch gegen die ISU?

Pechstein: «Wenn ich vorne mitlaufe, dann ärgert das die ISU enorm. Sie hat 2009 behauptet, dass meine Leistungen mit Mitte 30 ohne Manipulation nicht möglich seien. Jetzt müssen sie erkennen, dass das ein Irrtum war. Selbst mit Mitte 40 sind solche Leistungen sauber noch machbar. Deshalb werde ich meinen Kampf auf jeden Fall bis zum Ende weiterführen. Siegen oder Sterben - das bleibt meine Devise. Symbolisch gemeint natürlich.»

Wie sehr sehnen Sie Ihre zehnte Olympia-Medaille herbei?

Pechstein: «Ich bin zufrieden, wenn ich die Leistung abrufe, die ich mir vorgenommen habe. Wenn andere schneller sind und ich die Medaille nicht hole, kann ich das nicht beeinflussen. Im Training habe ich mein Zeug gemacht, da kann man jetzt nicht mehr viel verändern. Mental will ich das aufs Eis bringen, was ich trainiert habe.»

Warum trainieren Sie nicht mit der deutschen Auswahl und haben sich ein eigenes Team geschaffen?

Pechstein: «Ich habe früher immer mit den Männern trainiert, hatte auch starke Gegnerinnen im eigenen Lande wie Gunda Niemann oder Heike Warnicke. Aber dieses Umfeld war spätestens vor zwei Jahren nicht mehr gegeben. Da musste ich die Reißreine ziehen, weil ich mich sonst nicht mehr hätte entwickeln können. Deshalb gilt mein Dank meinem Partner Matthias, dass er dieses Team auf die Beine gestellt hat und ich weiter auf professionellem Niveau trainieren kann.»

Es hat Kritik gegeben an der Olympia-Akkreditierung von Matthias Große. Wie gehen Sie damit um?

Pechstein: «Ich kann nur sagen: Matthias ist ganz wichtig für mich, für meinen sportlichen Erfolg. Ich freue mich, dass der DOSB dem Vorschlag des Verbandes zur Olympia-Akkreditierung gefolgt ist. Ich bin sehr gern an der Seite des in einigen speziellen Medien 'umstrittenen' Matthias Große.»

Ist ihre gewohnte Geste mit dem Finger auf den Lippen auch ein Fingerzeig in Richtung von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, bei dem Sie in der Zeit nach Ihrer Sperre nicht immer auf Gegenliebe gestoßen sind?

Pechstein: «Das ist alles längst geklärt, es gibt jetzt einen sehr respektvollen Umgang mit dem Innenminister. Alles was vorher war, ist dem Fall geschuldet. Ich bin froh über die Unterstützung meines Arbeitgebers. Von den Chefs und den Kollegen der Bundespolizei.»

In Erfurt waren sie zuletzt noch durch einen Infekt gehandicapt, wie beurteilen sie Ihre Form?

Pechstein: «Ich bin froh, dass mich der Virus-Infekt vor Olympia erwischt hat und nicht während der Spiele. Aber ich bin vorsichtig, meide Menschenmengen und gebe jetzt auch niemandem die Hand, um mich nicht wieder anzustecken. Sicher habe ich durch den Infekt Kräfte gelassen, aber ich bin jetzt guter Dinge, rechtzeitig wieder bei 100 Prozent zu sein.»

Wie sehen Sie Ihre Gemütslage vor den Spielen?

Pechstein: «Auf jeden Fall ist sie besser als vor vier Jahren. Aber der Weg nach Sotschi war ein anderer, weil ich acht Jahre nicht bei Olympia war. Dort wurde jeder Schritt beobachtet. Aber meine Aggressionen gegen die ISU sind unvermindert und treiben mich an.»

ZUR PERSON: Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin gewann bisher neun Olympia-Medaillen (5/2/2), 41 WM-Medaillen und 114 Podestplätze im Weltcup. Sie ist Angehörige der Bundespolizei. Schon vor den Spielen hatte sie mehrfach unterstrichen, dass sie ihre Karriere nach Pyeongchang nicht beenden wird.

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