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Frauenfußball
Sexistische Kommentare im Sport: «Alle gelernt, wegzuhören»

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Fußballerinen müssen immer wieder mit sexistischen Beleidigungen umgehen. Foto: Sebastian Gollnow
Tabea Kemme
Tabea Kemme blickt bei einem Fototermin in die Kamera. Foto: Uwe Anspach
Diskriminierungen und Beleidigungen hören auch im Alltag deutscher Fußballerinnen nicht auf, wie einem Bericht zu entnehmen ist. Torhüterin Almuth Schult wundert sich über eine Frage.

Berlin/London. Volle Stadien, hohe Einschaltquoten, viel Anerkennung und Begeisterung - das erleben die Fußballerinnen gerade bei der Europameisterschaft in England. Die Diskriminierungen und Beleidigungen im Hintergrund hören aber nicht auf.

So gehören sexistische und herabwürdigende Kommentare einem Bericht von NDR und «Süddeutscher Zeitung» zufolge weiter zum Alltag im deutschen Frauenfußball. Während der Vorrunde des EM-Turniers hat die UEFA fast 300 beleidigende Beiträge in sozialen Medien gemeldet.

«Frauenfußball ist wie Pferderennen. Nur auf Eseln» sei ein Spruch, der ihr während ihrer Karriere in Erinnerung geblieben sei, berichtete die Bremer Bundesligaspielerin Saskia Matheis im ARD-Magazin «Panaroma», das an diesem Donnerstag (23.15 Uhr) ausgestrahlt wird. Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme hörte demnach diesen Satz über eine Mitspielerin: «Die ist auch richtig heiß, ne? Die würde ich auch mal wegbügeln wollen.»

Oft wird online beleidigt

Anonym im Netz ist die Hemmschwelle für viele noch niedriger. Während der EM waren bislang die Teams und einzelne Spielerinnen von England, Spanien, Frankreich und Italien am häufigsten das Ziel von beleidigenden Posts auf Facebook, Instagram, TikTok und Twitter. Während 70 Prozent der gemeldeten Beiträge Beleidigungen ohne Bezugnahme auf eine bestimmte Personengruppe oder Ethnie enthielten, wurden 20 Prozent als sexistisch eingestuft, sechs Prozent als rassistisch und vier Prozent als homophob. Nach Angaben der Europäischen Fußball-Union wurden 55 Prozent der Posts gelöscht, die meisten davon innerhalb einer guten Stunde.

Michele Uva, UEFA-Direktor für Fußball und soziale Verantwortung, zeigte sich insgesamt jedoch zufrieden. Denn die insgesamt 618 Beiträge, die verdachtsweise auf beleidigende Inhalte untersucht wurden, machten weniger als ein Prozent der Posts mit Bezug zur Fußball-EM aus. «Es ist großartig zu sehen, dass das Projekt läuft», sagte Uva, «und ich freue mich, dass wir anhand der Zahlen während der Gruppenphase schon die konkreten Auswirkungen sehen können.»

Mit ihrer neuen Doku-Serie «Outraged» (in etwa: «Aufgebracht») geht die UEFA gegen Cybermobbing, Diskriminierung und Hassreden im Fußball vor. Wendie Renard, Frankreichs Kapitänin und achtmalige Champions-League-Siegerin von Olympique Lyon, erklärte: «Eine Beleidigung ist und bleibt eine Beleidigung, ob in den sozialen Medien oder im Alltag.»

Medien und Trainer überschreiten Grenzen

Jeder Fall der «auch wahrgenommenen Grenzüberschreitungen ist einer zu viel», sagte Generalsekretärin Heike Ullrich vom Deutschen Fußball-Bund in der ARD-Sendung. «Das muss angesprochen werden.» Sie nehme Sexismus nicht als spezifisches Problem des Fußballs wahr. «Es ist unser aller Aufgabe, nicht nur die des Fußballs, des Sports, sondern unserer Gesellschaft, auf diese Grenzüberschreitungen aufmerksam zu machen», sagte Ullrich. «Egal ob Junge oder Mädchen, Mann oder Frau, zu sagen: Ich fand das nicht gut, was du gerade gesagt hast.»

Nationaltorhüterin Almuth Schult vom VfL Wolfsburg äußerte der Vorankündigung zur Sendung zufolge, sie sei von einem Journalisten gefragt worden: «"Wie fühlt sich das an, wenn man als eine der wenigen in der Mannschaft einen Mann liebt und keine Frau?" Da denke ich: Ist das jetzt wieder das Vorurteil, dass nur Lesben Fußball spielen?»

Eine weitere Bundesligaspielerin spricht im «Panorama»-Bericht anonym von Grenzüberschreitungen eines Trainers. «Er hat immer wieder Kommentare zu dem Hintern einer Mitspielerin gemacht.» Eine andere Spielerin habe er gemustert und angemerkt, wie sexy sie sei. Mitspielerinnen und Betreuer hätten die sexistischen Sprüche des Trainers bestätigt, wie der NDR schrieb. Amateurfußballerin Franziska Bielfeld sagte in dem Beitrag: «Wir haben alle gelernt, wegzuhören. Gerade beim Fußball.»

Immer wieder Sprüche und Belästigungen

Als in Deutschland vor zwei Jahren die Aufhebung des Frauenfußball-Verbots beim DFB vor 50 Jahren gewürdigt wurde, war das Entsetzen teilweise groß, unter welchen erniedrigenden Bedingungen die Spielerinnen einst ihren Sport betrieben haben. «Manche kamen einfach nur, um zu gaffen», erinnerte Bärbel Wohlleben.

Die heute 78-Jährige gewann 1974 mit TuS Wörrstadt die erste offizielle Meisterschaft und wurde als erste Frau für das «Tor des Monats» ausgezeichnet. Eine Frage, die sie sich damals bei der Auszeichnung anhören musste, lautete: «Wie machen Sie das mit Kopfball, wenn die Haare frisch onduliert sind?» Auch Sprüche wie «Statt Kinder, Küche, Kirche wird es für Deutschland jetzt öfter heißen: kicken, köpfen, kämpfen» waren von TV-Kommentatoren zu hören.

Erst kurz vor der EM in England beklagte Britta Carlson, die Assistenztrainerin des deutschen Teams, das frühere Verhalten von Funktionären gegenüber Frauen. «Es gab Funktionäre, die dich mal in den Arm genommen und betatscht haben - was ein No go ist», sagte die 44 Jahre alte Ex-Nationalspielerin in der TV-Dokumentation des DFB und der Filmproduktionsgesellschaft Warner Bros mit dem Namen «Born for this - mehr als Fußball».

© dpa-infocom, dpa:220721-99-100556/4