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Schwimm-Olympiasieger
Wellbrock vor Schwimm-WM: «Sehe eine Krise im Verband»

Florian Wellbrock
Reist selbstbewusst zur Schwimm-WM nach Budapest: Florian Wellbrock. Foto: Kamran Jebreili
Auch ohne Olympische Spiele ist das Wettkampfjahr für die Schwimmer vollgepackt. Der deutsche Top-Favorit lässt sich davon nicht stressen. Im Verband sieht er eine Krise.

Budapest. Als Doppel-Weltmeister und Olympiasieger reist Florian Wellbrock zur Schwimm-WM. Bei den Titelkämpfen in Ungarn, die erst im Februar in den Wettkampfkalender aufgenommen wurden, ist der 24-Jährige aus dem starken Magdeburger Team von Bundestrainer Bernd Berkhahn erneut der größte deutsche Hoffnungsträger.

Wellbrock will über vier Einzel-Distanzen starten und hat dort überall Medaillenchancen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht er über Ziele, den aus seiner Sicht zu geringen Ehrgeiz einiger Kollegen und seine Freundschaft zu einem ukrainischen Konkurrenten.

Die WM ist ja relativ kurzfristig ins Programm genommen worden. Wie haben Sie das empfunden?

Florian Wellbrock: Für mich ist es positiver Stress. Es kam zwar etwas kurzfristig und unvorhergesehen, aber man freut sich immer auf eine Weltmeisterschaft. Wir haben ja auch einen kurzen Anreiseweg nach Budapest, von daher ist es für uns recht unproblematisch.

Sie schwimmen die Einzel-Rennen über 800 Meter und 1500 Meter im Becken und über fünf Kilometer und zehn Kilometer im Freiwasser. Liegt auf einem dieser Rennen ein besonderer Fokus?

Wellbrock: Ja, definitiv. Ich gehe ja über 1500 Meter und über die zehn Kilometer als Titelverteidiger an den Start. Das soll nicht heißen, dass die anderen beiden Rennen dann unwichtiger wären, aber auf die zehn Kilometer und 1500 Meter freue ich mich schon nochmal ein bisschen mehr.

Vier Starts - drei Medaillen?

Was rechnen Sie sich aus?

Wellbrock: Sonst hatte ich immer drei Einzel-Starts und habe zwei Medaillen mitgebracht. Vielleicht klappt es diesmal mit vier Starts und drei Medaillen.

Wie schauen Sie auf die einzelnen Rennen?

Wellbrock: Ich hoffe, dass die 800 Meter diesmal etwas besser klappen. Bei der letzten WM in Gwangju bin ich da im Vorlauf ausgeschieden und bei Olympia in Tokio hat es mit dem Finale geklappt, aber ich habe das Treppchen verpasst. Vielleicht schaffe ich jetzt den Sprung aufs Treppchen. Das ist mein Anspruch. Über 1500 Meter und zehn Kilometer bin ich Titelverteidiger. Die fünf Kilometer werden spannend, aber auch da möchte ich natürlich nach der Medaille greifen. Aber von vorneherein bei vier Starts zu sagen, man holt vier Medaillen: Das sagt sich immer leichter, als es dann am Ende in der Umsetzung ist.

Das heißt, Sie haben mit dem Rennen über 800 Meter noch eine Rechnung offen?

Wellbrock: Ja, definitiv. Ich bringe dafür eigentlich sehr gute Voraussetzungen mit. Ich bin aber noch nie ein 800-Meter-Rennen geschwommen, mit dem ich richtig zufrieden war. Ich hatte immer irgendwas zu bemängeln und hoffe, dass ich diesmal zufrieden sein kann.

«Sehe Krise im Verband»

Der Deutsche Schwimm-Verband ist mit einem sehr kleinen Aufgebot bei der WM. Sehen Sie eine Krise im Verband?

Wellbrock: Ja. Ich sehe eine Krise im Verband, aber schon ein bisschen länger. Dass das Team jetzt so klein ist, ist auch den Normzeiten geschuldet. Wir hatten sehr starke Olympische Spiele, was das Weltniveau angeht. Deshalb waren viele Staffelzeiten nicht mehr so einfach zu knacken. In den letzten Jahren hatte der DSV immer viele Staffeln dabei. Viele Einzelstarter hatten wir ja auch in den letzten Jahren nicht. Dieses Mal sind die Staffeln weggebrochen. Das wird das Team vor Ort aber nicht einschränken oder benachteiligen. Die Leute, die sich qualifiziert haben, sind etabliert und kennen sich. Das Team wird harmonieren. Für uns Sportler vor Ort wird es nicht nach einer Krise aussehen.

Was macht die Krise für Sie denn hauptsächlich aus?

Wellbrock: Aus meiner Sicht ist ein großer Punkt das Mindset der einzelnen Sportler. Einige sind beispielsweise schon zufrieden, wenn sie sich für eine Europameisterschaft qualifizieren. Dann legen sie nach dem Qualifikationszeitraum die Beine hoch und sagen: "Ich habe jetzt alles geschafft, was möglich ist und das reicht mir jetzt auch." Das ist etwas, was wir Magdeburger gar nicht kennen. Die Qualifikation ist für uns eine Durchlaufstation und danach geht's erst richtig los. Dann hängen wir uns nochmal rein und wollen den Kampf um die Medaillen. Ich merke das in persönlichen Gesprächen mit anderen Athleten auch, dass diese Wunschvorstellung bei einigen einfach nicht vorhanden ist. Mit so einem Mindset wird man sich natürlich nie in der Weltspitze etablieren.

Warum läuft es im Langstreckenbereich gut, aber auf den kurzen Strecken nicht?

Wellbrock: Ich kann nicht beantworten, was im Kurzstreckenbereich getan werden muss, damit man da auch auf Weltklasse-Niveau schwimmen kann. Im Langstreckenbereich weiß ich, dass wir in Magdeburg mit den richtigen Trainingsmethoden arbeiten. Dazu gehören Höhentrainingslager oder auch Höhensimulationen. Wir sind aber aus dem Deutschen Schwimm-Verband mit ein paar Leuten aus Heidelberg die einzigen, die ins Höhentrainingslager fahren. Das könnte ein Grund dafür sein, warum es auf den kurzen Strecken nicht so gut läuft. Norbert Warnatzsch ist damals ja auch mit Franziska van Almsick und Britta Steffen immer ins Höhentrainingslager gefahren. Ich glaube nicht, dass die Talente fehlen. Ich glaube aber, dass Talente auf den Kurzstrecken zu wenig gefördert und gefordert werden.

Der Ukrainer Michailo Romantschuk schwimmt derzeit in Ihrer Trainingsgruppe mit. Wie ist das für Sie, mit ihm zu trainieren?

Wellbrock: Das macht sehr viel Spaß. Er ist glücklicherweise ein Mensch, der jeden Tag egal zu welcher Uhrzeit mit guter Laune in die Halle kommt. Davon profitiert unser ganzes Team. Gemischt mit seiner Stärke im Wasser tut Lukas (Märtens, Anm. d. Red.) und mir das sehr gut.

Inwiefern merkt man ihm an, dass derzeit in seiner Heimat Krieg herrscht?

Wellbrock: Das ist unterschiedlich und auch dadurch bedingt, was gerade durch die Nachrichten geht. Ich bewundere seine mentale Stärke und wie gut er das meistert. Zu 95 Prozent lässt er sich nichts anmerken und zieht sein Training konsequent durch.

Sprechen Sie mit ihm über das Thema Krieg in der Ukraine?

Wellbrock: Ich habe ihm von Anfang an angeboten, dass er mit mir über alles sprechen und jederzeit auf mich zukommen kann. Das hat er Gott sei Dank nicht getan, weil ich auch gar nicht wüsste, wie ich darauf reagieren soll. Dass, was er gerade erlebt und was seine Familienmitglieder und Freunde berichten, das sind Dinge, mit denen wir alle Gott sei Dank noch nie in Kontakt gekommen sind. Ich weiß daher gar nicht, wie man einem Menschen auf der Ebene emotional helfen soll oder kann.

Wie ist es dazu gekommen, dass er nach Magdeburg gekommen ist?

Wellbrock: Er war zu Kriegsbeginn in der Ukraine und ich habe ihm nach Rücksprache mit Bernd Berkhahn angeboten, dass wir noch Kapazitäten in unserer Trainingsgruppe haben. Seine finale Entscheidung ist dann gefallen, als seine letzte Trainingshalle mit einem 50-Meter-Becken kaputt gebombt wurde.

Sie trainieren zusammen, sind aber ja auch Konkurrenten. Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?

Wellbrock: Wir haben ein gutes freundschaftliches Verhältnis. Ansonsten hätte ich ihm das Angebot auch nicht gemacht. Wir in Magdeburg leben davon, dass es in unserer Trainingsgruppe so gut harmoniert. Michailo hatte am Anfang hier keine Kontakte und ist im Supermarkt nicht klargekommen, weil die Produkte bei uns ganz anders aussehen und er auch die Sprache und die Schrift nicht versteht. Da brauchte er natürlich Hilfe und da habe ich mich angeboten. Wir gehen auch abends schonmal essen oder spazieren. Wenn ich zum Friseur gehe, nehme ich ihn mit.

Zur Peron: Florian Wellbrock wurde am 19. August 1997 in Bremen geboren. Der Freistilschwimmer zählt aktuell zu den besten Athleten auf den langen Distanzen weltweit. Wellbrock lebt und trainiert in Magdeburg und ist mit der ebenfalls erfolgreichen Schwimmerin Sarah Wellbrock (ehemals Köhler) verheiratet.

© dpa-infocom, dpa:220616-99-694285/3