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„Die nächste Zeit wird sehr hart“

Viele Schausteller stehen ohne die Weihnachtsmärkte vor dem Nichts. Foto: privat
Viele Schausteller stehen ohne die Weihnachtsmärkte vor dem Nichts. Foto: privat
Absage trifft die Schausteller hart – Unternehmer kämpfen mit extremen Umsatzeinbußen von bis zu 90 Prozent

Ludwigsburg/Stuttgart. Für die Schausteller sind die Weihnachtsmärkte im Südwesten ihre Umsatzbringer, das Geschäft des Jahres. Doch weihnachtliche Stimmung wird man auf den Marktplätzen in diesem Jahr kaum wahrnehmen, denn wegen der Coronapandemie sind die Weihnachtsmärkte fast überall abgesagt worden, auch wenn der Corona-Shutdown derzeit nur bis Ende November gilt. Ludwigsburg gehört zu diesen Städten. Tourismus & Events tüftelt nun an einer digitalen Weihnachtsmarkt-Plattform, auf der Standbetreiber ihre Waren anbieten können. Aber auch in Heilbronn, Pforzheim, Ulm oder Freiburg mussten die Weihnachtsmärkte abgesagt werden. Und in Stuttgart, Karlsruhe und in Tübingen sollte es nur einzelne Buden geben – oder Märkte in veränderter Form.

Extrem hart treffen die Absagen die Kleinunternehmer, ob sie nun Bratwürste, Schmuck, Kerzen, Lebkuchen, Mützen und Socken anbieten. „Die Weihnachtsmärkte machen ein Drittel des Schausteller-Jahresumsatzes aus“, weiß Mark Roschmann. „Manche Händler machen sogar zwei Drittel ihres Umsatzes mit dem Weihnachtsgeschäft“, ergänzt der Vorsitzende des Schaustellerverbandes Südwest Stuttgart. Und: „Die Weihnachtsmärkte wären unser Rettungsanker gewesen“, betont Roschmann mit Blick auf die seit Monaten anhaltende Coronakrise. Die Absage der Märkte sei unverhältnismäßig. „Das ist ein Eingriff in die Berufsfreiheit“, kritisiert Roschmann.

„Die Lage ist extrem schwierig und der wirtschaftliche Schaden immens“, betont auch Nico Lustnauer, dessen Familie bereits seit den Anfängen im Jahr 1948 durchgängig auf dem Ludwigsburger Weihnachtsmarkt – damals noch in der Stadthalle – vertreten ist. „Der Barock-Weihnachtsmarkt ist unser wichtigster Veranstaltungsort mit dem meisten Umsatz“, erklärt der 42-jährige Unternehmer aus Pflugfelden. Bereits 1989 im Alter von elf Jahren hat er am Stand seines Onkels ausgeholfen. 1997 hat der Außenhandelskaufmann den Familienbetrieb übernommen und betreibt sonst auf dem Barock-Weihnachtsmarkt einen großen Imbiss. Bratwürste und Steaks, Schupfnudeln sowie Glühwein und Kinderpunsch sind Lustnauers Metier.

„Unsere letzten Einnahmen haben wir am 22. Dezember 2019 gemacht“, schildert er die Lage. „Wir konnten uns retten durch einen Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau“, sagt Lustnauer. Doch kein Mensch könne sagen, wie es im kommenden Jahr weitergehe. „So eine Krise habe ich noch nie erlebt,“, sagt der Schausteller. „Zum Glück. Und so etwas will ich auch nicht mehr erleben müssen.“

„Die Nachricht, dass die Weihnachtsmärkte abgesagt werden, hat uns glatt die Sprache verschlagen“, erinnert sich David Pandel, der seine Betriebshalle in Vaihingen-Gündelbach hat. Von Gündelbach aus ist er bisher zu seinem Stand auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt gefahren. Auch in diesem Jahr wollte er dort Nürnberger Lebkuchen und Feuerzangenbowle verkaufen. „Der Stuttgarter Weihnachtsmarkt war unser Hauptumsatzbringer“, sagt der 32-Jährige, der jeweils einen Imbiss auf dem Stuttgarter Frühlingsfest und dem Volksfest betreibt. Doch auch diese sind coronabedingt ausgefallen. „Von 25 Veranstaltungen in einer normalen Saison sind in diesem Jahr gerade 2,5 übrig geblieben.“ Pandels Umsatzverluste belaufen sich auf über 90 Prozent. Dabei habe er im vergangenen Jahr einiges investiert, um den Weihnachtsmarkt-Besuchern die Feuerzahngenbowle nahezubringen. Ein Blick in die nahe Zukunft: „Die nächste Zeit wird sehr, sehr hart.“ Dazu könne er seinen Geburtstag, der auf den 23. Dezember fällt, den letzten Tag des Weihnachtsmarkts, wohl ohne Freunde feiern.

Seit zwölf Jahren bereits verkaufen Katharina und Jörg Boehm aus Bietigheim-Bissingen ihren selbst designten Silber- und Edelsteinschmuck auf dem Barock-Weihnachtsmarkt. Auch auf Kunsthandwerkermärkten in der Region sind sie seit über 20 Jahren zu finden, doch Corona hat ihnen in diesem Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Das Weihnachtsgeschäft macht etwa ein Drittel unseres Umsatzes aus“, sagt Katharina Boehm. Zudem habe es dieses Jahr keinen einzigen Kunsthandwerkermarkt gegeben. Auch der Online-Shop von Boehm Design könne die Ausfälle nicht kompensieren. Hoffnung setzt die Gold- und Silberschmiedin daher auf Enzweihingen, wo die „Galerie und Markt der Kunsthandwerker“ noch bis 28. November stattfindet.

Alles rund um das Thema Puppenhaus und Weihnachten verkauft Ingrid Auer seit elf Jahren an ihrem Stand auf dem Barock-Weihnachtsmarkt. Von der Lampe oder Glühbirne bis zur Waschmaschine, dem Staubsauger oder einem individuellen Weihnachtsbäumchen. „Ich habe viele Stammkunden“, sagt die Kunsthandwerkerin, „die kommen, um gezielt Miniaturmöbel oder passende Kleinteile für ältere oder restaurierte Puppenstuben zu kaufen.“ Sie beginnt schon im Januar damit, für den nächsten Weihnachtsmarkt zu arbeiten und zu basteln. Mehr als die Hälfte ihrer Gegenstände macht die Ludwigsburgerin selbst. „Totalausfall“, beschreibt Auer diese Saison. Der Umsatzausfall sei extrem.

„Viele Schausteller stehen ohne die Weihnachtsmärkte vor dem Nichts“, betont Roschmann. Sie hätten bislang nur rund fünf Prozent ihres normalen Jahresumsatzes gemacht. Der Verbandschef sieht die bisher von der Bundesregierung angekündigten Hilfen kritisch. Wenn man 75 Prozent der Einnahmen aus dem November 2019 erstatten wolle, helfe dies Schaustellern wenig. So habe er in dem Vorjahreszeitraum nur an sechs Tagen etwas verdient. Ähnlich äußert sich auch Pandel. „Die Weihnachtsmärkte gehen da doch erst los,“ sagen beide.

Offenbar hat man dies auch im Bundesfinanzministerium erkannt und Forderungen nach dem Durchschnittswert des ganzen Jahres aufgenommen. Bei Solo-Selbstständigen und kleinen Betrieben wolle man sich bei der Berechnung der Coronahilfen alternativ auch am monatlichen Einkommen im Jahresschnitt orientieren, erklärt Finanzminister Olaf Scholz (SPD) dazu. Für viele Schausteller könnte dies ein Lichtblick sein. Sie hoffen, dass es nächstes Jahr weitergeht. „Wir kämpfen“, sagt Nico Lustnauer, der die Mitarbeiter der Stadt Ludwigsburg lobt: „Die haben für den Weihnachtsmarkt gekämpft wie die Löwen.“