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Wo Mitarbeiter keine Nummern sind

Der Jubiläumstruck: Geschäftsführer Timo Conrad auf dem ERA-Firmengelände in Kornwestheim. Foto: Andreas Becker
Der Jubiläumstruck: Geschäftsführer Timo Conrad auf dem ERA-Firmengelände in Kornwestheim. Foto: Andreas Becker
Aus der Anfangszeit: Ein ERA-Lkw Anfang der 1950er Jahre. Foto: privat
Aus der Anfangszeit: Ein ERA-Lkw Anfang der 1950er Jahre. Foto: privat
Kornwestheimer Unternehmen ERA wird 75 Jahre alt – Corona bringt Mittelständler in schwierigste Zeit der Firmengeschichte

Kornwestheim. „Meine Definition von Mittelstand ist die“, sagt Timo Conrad: „Wenn der Inhaber eines Unternehmens alle Mitarbeiter mit Namen kennt, ist das Mittelstand. Wenn die Mitarbeiter nur noch eine Nummer sind, ist das kein Mittelstand mehr.“ Conrad, einer von drei Geschäftsführern des Speditions- und Logistikdienstleisters ERA, betont, dass er alle gut 100 Mitarbeiter des Kornwestheimer Unternehmens mit Namen kennt. „Wir sind durch und durch mittelständisch und familiengeführt“, sagt der Diplom-Betriebswirt über die 1945 von seinem Großvater Emil Kuchenbeiser gegründete Firma (siehe Infobox).

Diesen Herbst wird ERA 75 Jahre alt, das Unternehmen befindet sich „in der außergewöhnlichsten und schwierigsten Zeit seiner Geschichte“, sagt Conrad. Schuld daran ist die Coronakrise, die vor allem einen der fünf ERA-Geschäftsbereiche hart getroffen hat, mit Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent: die Luft- und Seefracht. ERA ist international tätig und war von Corona betroffen, schon bevor das Virus nach Europa kam: „Wir haben die Krise bereits mit dem Lockdown in China gespürt“, sagt Conrad.

Existentiell gefährdet sei die Firma aber nicht, der Geschäftsbereich Logistik etwa lief und läuft „sehr stabil“. Auch zwei weitere Abteilungen – Landfracht deutschlandweit und weltweit – spürten die Folgen von Corona, ebenso der fünfte Geschäftsbereich – der weltweite Transport von Fahrzeugen, vor allem von Museums-, Exklusiv- und Versuchsfahrzeugen auf dem Luft-, See- oder Landweg. Insgesamt gingen die Umsätze der Firma in der Krise um 20 bis 30 Prozent zurück, sagt Conrad.

Schuhe für Rennfahrer geliefert

Corona traf ERA auch deshalb vergleichsweise hart, weil die Firma Dienstleister für die in der Pandemie stark betroffene Automobil- und Zuliefererindustrie ist. Doch das Kornwestheimer Unternehmen ist breiter aufgestellt, zu seinen Kunden zählen etwa auch der Maschinen- und Anlagenbau, die Konsumgüterbranche, die Textilindustrie. ERA organisiert den Transport sämtlicher Dinge, ob es 40 Tonnen schwere Maschinen und Möbel sind, ob es Sportartikel, Taschen, Flaschen, Oldtimer, Lebensmittel oder, im Privatkundengeschäft, Waschmaschinen sind. Conrad erzählt von dem Bonsai-Baum, den ERA vor Jahren von Japan nach Deutschland transportierte. Oder von dem Rennfahrer, der dringend seine Spezialschuhe benötigte – pünktlich zum Start eines Rennens in Australien. ERA lieferte die Schuhe per Luftfracht-Eilexpress.

Schnell muss das Kornwestheimer Unternehmen etwa auch dann sein, wenn es ein Ersatzteil für eine Maschine liefern muss – je länger diese stillsteht, desto teurer wird es für eine Firma. „Also müssen wir schnell reagieren, das ist unsere Aufgabe als Dienstleister“, betont Conrad. Steht die Maschine beispielsweise in Südamerika, erledigt ERA auch die bürokratische Arbeit, Einfuhr- und Zollpapiere beispielsweise. „Da hängt sehr viel dran“, sagt Conrad. Doch sei genau das die Stärke des Mittelstands – schnell und flexibel auf die Bedürfnisse des Kunden zu reagieren. „Hier können wir mehr punkten als große Unternehmen, da müssen wir ihnen immer einen Schritt voraus sein“, sagt Conrad, um sogleich die Leitlinie zu nennen, an der sich seine Firma orientiere: „Service, Qualität, Flexibilität. Und dazu gehört auch Schnelligkeit.“

Offenes Ohr für die Mitarbeiter

Zu der Kornwestheimer Firma gehört auch eine Werkstatt, deren Mitarbeiter sich um das Gebäudemanagement kümmern – ERA hat im Großraum Stuttgart viele Logistikhallen, in denen Waren, also Kundenprodukte, lagern. Die Werkstatt ist auch zuständig für den ERA-Fuhrpark; dass eine Spedition einen solchen unterhält, sei selten geworden, sagt Conrad. Immer mehr Konkurrenten würden mit osteuropäischen Unternehmern arbeiten und so Kosten für Personal und Fahrzeuge sparen.

ERA gehe einen anderen Weg, sagt Conrad, der nah an seinen Mitarbeitern sein möchte: „Jeder kann mit seinem Anliegen zu uns Geschäftsführern kommen.“ Werkstattmitarbeiter Marc Wiedensohler spricht von einem „familiären Umfeld“ bei ERA, „ich fühle mich hier sehr wohl“. Peter Noll, seit neun Jahren Fahrer für die Firma, sagt über Conrad: „Er hat immer ein offenes Ohr und hört sich jedes Problem an, auch wenn es noch so klein ist.“

„Sehr stolz“ ist Conrad darauf, „dass wir seit Jahrzehnten ausbilden, damit ziehen wir unseren eigenen Nachwuchs groß.“ Die Mitarbeiter sind ihm wichtig, betont der Chef. In der Coronakrise soll niemand entlassen werden, alle sollen mit Hilfe der Kurzarbeit gehalten werden: „Ich brauche die Leute, wenn es wieder aufwärts geht.“

Infobox:

„Wir sind die älteste Spedition in Kornwestheim und eines der ältesten, wenn nicht das älteste bestehende Unternehmen in der Stadt“, sagt Geschäftsführer Timo Conrad über die Speditions- und Logistikfirma ERA. Conrads Großvater Emil Kuchenbeiser, gelernter Elektriker, gründete sie 1945, als er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kornwestheim kam. Er kaufte einen Lkw und transportierte Waren für die in der Ludendorff-Kaserne stationierten Amerikaner. Das Geschäft wuchs, Kuchenbeiser kaufte einen zweiten Lkw, stellte einen Fahrer ein. Anfang der 50er Jahre baute er im Gewerbegebiet Holzgrund eine Werkstatt mit Wohnhaus – die Anfänge des heutigen Firmensitzes, der über die Jahrzehnte wuchs und heute eine Fläche von 40 000 Quadratmeter hat. Emil Kuchenbeiser starb 2006. Heute führen Timo Conrad (45), Mutter Renate Conrad-Kuchenbeiser (75) und Onkel Rolf Kuchenbeiser (59) die Firma. Zum Umsatz machen sie keine Angaben. ERA zählt gut 100 Mitarbeiter, darunter 15 Lehrlinge. Timo Conrad ist Mitglied der IHK-Bezirksversammlung Ludwigsburg und der Vollversammlung der IHK Region Stuttgart. Er ist auch ehrenamtlicher Handelsrichter und Vorstandsmitglied im Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg. (wd)