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Analyse
Sánchez und Spaniens ewiges Problem mit dem «Paktieren»

Parlamentswahl in Spanien
Wahlsieger mit schwierigen Mehrheitsverhältnissen: Pedro Sanchez im Wahllokal. Foto: Cèzaro De Luca
Neue Wahl, neuer Versuch - aber Spanien will kein Befreiungsschlag gelingen. Seit Ende des Zweiparteien-Systems ist das Land quasi politisch gelähmt. Es gibt einen klaren Sieger, aber der muss nun geschickt taktieren. Und es gibt einen neuen «Störfaktor» namens Vox.

Madrid (dpa) - Leger in Jeans und mit aufgekrempelten Hemdsärmeln reckt Pedro Sánchez die linke Faust nach oben. Der 47-jährige Ministerpräsident ist der unbestrittene Gewinner der spanischen Parlamentswahl, Tausende Anhänger jubeln ihm noch in der Wahlnacht zu.

Seit elf Jahren hatte die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) keine Wahl mehr gewonnen - «Pedro El Guapo», der schöne Pedro, hat das geändert. Aber in die strahlende Siegerpose beim Auftritt in Madrid mischt sich die Gewissheit, dass die Regierungsbildung zur Herkulesaufgabe werden dürfte. Die mögliche Hängepartie könnte auch die EU - neben Brexit und Gelbwesten-Protesten in Frankreich - vor eine weitere Herausforderung stellen.

Denn Spanien, immerhin die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, droht - wie bereits in den vergangenen vier Jahre - weiter instabil zu bleiben. Und hat es zudem mit einem neuen «Störfaktor»zu tun: Den Rechtspopulisten von Vox.

Die Renommierzeitung «El País» traf mit ihrer Schlagzeile am Montag den Nagel auf den Kopf. «Sánchez siegt, aber er wird paktieren müssen», war groß auf Seite eins zu lesen. Wie schwer sich die Politiker in Madrid mit dem «Paktieren» tun, das weiß man in Spanien nur zu genau. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1975 hat es im Land noch nie eine Koalitionsregierung gegeben. Im Königreich herrschte einfach zu lange ein «Zweiparteiensystem», Konservative und Sozialisten lösten einander im «Palacio de la Moncloa» stets mit stabiler Parlamentsmehrheit ab.

Dass Sánchez' «Nummer zwei», Carmen Calvo, am Tag nach der Wahl sagte, die PSOE könne allein regieren, also mit nur 123 von insgesamt 350 Abgeordneten, überrascht daher nur die Nichteingeweihten. Denn im Klartext heißt das, dass man in die anstehenden Gespräche mit dem Linksbündnis Unidas Podemos von Politikdozent Pablo Iglesias und mehreren nationalistischen Regionalparteien mit dem Ziel gehen könnte, sich die nötigen Ja-Stimmen oder Enthaltungen zur Sánchez-Wahl im Parlament zu holen - ohne aber andere Parteien mit ins Regierungsboot zu holen.

Starkolumnistin Lucia Méndez von der Zeitung «El Mundo» ahnt Böses: «Wenn wir aus den vergangenen Jahren etwas gelernt haben, dann ist das, dass man nicht mit 137 Abgeordneten wie (der konservative Mariano) Rajoy oder mit 84 wie zuletzt Sánchez regieren kann. Was unser Land aber dringend braucht, ist nicht einfach nur einen Ministerpräsidenten, sondern endlich Stabilität.»

Das wünscht sich auch die EU. Kommissionschef Jean-Claude Juncker gratulierte Sanchez zu seinem «klaren Sieg». Eine überwältigende Mehrheit der Bürger habe für Parteien gestimmt, die eindeutig pro-europäisch seien, sagte sein Sprecher. «Wir sind zuversichtlich, dass (...) Sanchez in der Lage sein wird, eine stabile, proeuropäische Regierung zu formen, die es Spanien erlaubt, weiter eine wichtige Rolle in Europa zu spielen.»

Um das zu erreichen, gibt es für die PSOE nun viel zu tun. Die aufgekrempelten Ärmel wirken da bereits wie eine Metapher. Viel Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick werden nötig sein. Etwa mit Podemos, die sich seit Wochen als zuverlässigen Partner anbietet, aber unter anderem fordert, dass Reiche und Unternehmen (viel) mehr Steuern zahlen sollen. Oder mit nationalistischen Parteien wie denen aus dem Baskenland, die zusammen zehn Sitze besetzen und, obwohl sie nicht so im Blick stehen wie die katalanischen Separatisten, auch mehr Selbstbestimmung wollen.

Eins wollen die Sozialisten aber unbedingt vermeiden - nämlich erneut ein Bündnis mit «Independentistas» aus Barcelona eingehen zu müssen. Die hatten Sánchez beim Misstrauensvotum gegen Rajoy im vorigen Juni zwar zu seinem Amt verholfen, den Regierungschef aber im Februar genauso schnell wieder fallen lassen.

Die Spanier hoffen derweil, dass sich die «Blockade» von 2016 nicht wiederholt, als das Land auch nach zwei Wahlgängen innerhalb von gerade einmal sechs Monaten fast ein Jahr lang keine reguläre Regierung hatte. Aber vieles deutet darauf hin, dass es so kommen wird. Auch und gerade wegen des 26. Mai: Dann finden in Spanien neben der Europawahl auch mehrere regionale Abstimmungen statt. Bis dahin werden die Parteien keine Risiken eingehen, meinen angesehene Analysten wie Politologe Pablo Simón und Journalist Jesús Maraña - und viele andere. «Die Gespräche über die Regierungsbildung beginnen erst am 27. Mai», sagt Simón.

Die Zukunft ist ungewiss. Fest steht aber, dass an Sánchez als Regierungschef nach den herben Verlusten der Volkspartei PP kein Weg vorbeiführt. Kommentatoren sprachen am Montag von einem «Debakel» der PP, einem «Rückschlag von historischen Ausmaßen», ja gar vom «Untergang» der christdemokratischen Traditionspartei. Also heißt es jetzt: entweder Sánchez oder - das kennen die Spanier bereits von 2016 - eine weitere Neuwahl.

Nach erste Analysen verlor die PP viele Wähler in erster Linie an Vox. Der Versuch, es nach dem Rücktritt von Rajoy mit dem jungen «Posterboy» und «Erneuerer» Pablo Casado (38) als Parteichef zu versuchen und einen Rechtsruck zu probieren, um den Rechtspopulisten Wind aus den Segeln zu nehmen, ist kläglich gescheitert. «Die Rechte wurde zerschmettert», titelte «El Periódico». Nur die «ganz Rechten» waren vielleicht am Montag glücklich, weil sie bei Vox eine neue politische Heimat haben, die sich in drei Jahren von 0,2 auf mehr als 10 Prozent verbesserte.

Der Erfolg von Vox wurde von vielen Medien aber relativiert. Vor dem Hintergrund von Problemen wie dem Katalonien-Konflikt, der zunehmenden illegalen Einwanderung und der immer noch hohen Arbeitslosigkeit, aus denen sie Kapital geschlagen habe, habe die Formation schlechter als erwartet abgeschnitten. «Vox hatte vor, mit Pauken und Trompeten in den Congreso einzuziehen und die Tür einzutreten. Nun müssen sie hingegen an der Tür klingeln und höflich um Erlaubnis bitten», kommentierte treffend die rechtsliberale «El Mundo». Und sogar Vox-Boss Santiago Abascal musste bei allem Jubel («Das ist erst der Anfang») einräumen: «Spanien steht heute schlechter da als vor der Wahl.» Aus seiner Sicht möglicherweise.

Titelseite von El País

Aussagen von Calvo

Kommentar in El Mundo zu Vox

Kommentar in El Mundo

Spanische Wahlbehörde

Pedro Sánchez auf Twitter

Santiago Abascal auf Twitter