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Insektenschutzgesetz: Hauk fordert deutliche Änderungen

Julia Klöckner (CDU)
Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Mit 150 Traktoren protestierten die Bodenseebauern zuletzt noch gegen das Insektenschutzgesetz. Erfolglos. Das Bundeskabinett hat sich nach langem Ringen auf das Gesetzespaket geeinigt. Die Umweltverbände freut's - und die Landwirte laufen dagegen Sturm.
Berlin.

Stuttgart/Berlin (dpa) - Trotz scharfer Kritik unter anderem aus Baden-Württemberg hat das Bundeskabinett nach monatelangem Ringen das Gesetzespaket zum Insektenschutz beschlossen. Es seien sowohl die Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes (gemeinhin bekannt als Insektenschutzgesetz) als auch die Änderung der sogenannten Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung auf den Weg gebracht worden, teilten Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch mit. Der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk (CDU) kündigte umgehend an, sein Bundesland werde einem unveränderten Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen.

Die beiden Vorhaben waren zuvor auf heftigen Widerstand gestoßen - sowohl aus den Bundesländern als auch seitens der Landwirte. Diese befürchten wirtschaftliche Einbußen durch einen restriktiveren Einsatz von Pestiziden, den vor allem die Verordnung zum Pflanzenschutz neu regelt.

Der Entwurf des Insektenschutzgesetzes sieht unter anderem vor, dass Biotope wie Streuobstwiesen und artenreiches Grünland für Insekten als Lebensräume erhalten bleiben. Auch die Lichtverschmutzung als Gefahr für nachtaktive Insekten soll künftig eingedämmt werden. Die parallel vom Bundeslandwirtschaftsministerium eingebrachte Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung regelt unter anderem den Einsatz des umstrittenen Herbizids Glyphosat. Die Anwendung soll zunächst stark eingeschränkt und bis Ende 2023 ganz verboten werden.

In Schutzgebieten soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark eingeschränkt und teils verboten werden. Ausnahmen vom Verbot gibt es etwa für den Obst-, Gemüse- und Weinanbau. Darüber hinaus legt die Verordnung für den Einsatz von Pestiziden einen allgemein einzuhaltenden Mindestabstand zu Gewässern fest, der sich zwischen fünf und zehn Metern bewegt. Bereits getroffene Kompromisse in den Bundesländern sollen weiterhin gelten dürfen.

Landesagrarminister Hauk war seit Tagen gemeinsam mit anderen Agrarministern der Union und mit den Bauern Sturm gegen das Gesetzesvorhaben in seiner ursprünglichen Form gelaufen. Am Mittwoch sagte er, es habe sich noch vieles bewegt. Es gebe aber im Gesetzentwurf nach wie vor «zahlreiche nicht hinnehmbare Einschränkungen für Baden-Württemberg». Nach einer Protokollerklärung des Bundesagrarministeriums wären zwar Abweichungen der Länder erlaubt, sofern es dort wie in Baden-Württemberg bereits ein eigenes Landesgesetz gebe. Allerdings seien diese Ausnahmeregelungen bislang nur in Teilen im offiziellen Teil des Entwurfs enthalten.

Auf Basis der Protokollerklärung müsse der Bundestag daher wesentliche Teile des Gesetzes ändern, forderte der CDU-Minister. «Sollte das Gesetz auf dem heutigen Stand und damit unverändert in den Bundesrat eingebracht werden, könnte Baden-Württemberg im Bundesrat nicht zustimmen», sagte Hauk weiter.

Bundesumweltministerin Schulze verteidigte die Beschlüsse am Mittwoch. «Insektenschutz sichert auch die Zukunft der Landwirtschaft», sagte sie. Auch Umweltverbände wie der Nabu oder der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) reagierten mit Zustimmung. «Das ist eine gute Nachricht für den Natur- und Umweltschutz, weil die Reduzierung von Pestiziden aktiver Bodenschutz ist», sagte die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender der dpa. Sie rechnet allerdings mit wachsenden Protesten der Bauern. «Das, was jetzt passiert, ist erst die Ouvertüre.»

Der Nabu-Landeschef Johannes Enssle erinnerte an das Biodiversitätsstärkungsgesetz in Baden-Württemberg. Nach intensivem Ringen habe es einen guten Weg gefunden, ohne die Existenz von landwirtschaftlichen Betrieben aufs Spiel zu setzen. «Dieser Ansatz muss jetzt auch in Berlin verfolgt werden», forderte er.

Nach Einschätzung des Landesbauernpräsidenten Joachim Rukwied ist der Gesetzentwurf dagegen «kurzsichtig und ein strategischer Fehler für die Naturschutzpolitik». Die Zusammenarbeit zwischen Naturschutz, Gesellschaft und Landwirtschaft sei der einzig wirksame Weg, sagte Rukwied, der auch Präsident des Deutschen Bauernverbandes ist. «Auflagen und Verbote helfen nicht weiter.» Landwirtschaft und Naturschutz müssten sich auf Ziele, Maßnahmen und Förderinstrumente verständigen, wie es einige Bundesländer vorgemacht hätten.

In Baden-Württemberg reagieren Landwirte empfindlich auf alle weiteren Einschränkungen für Pestizide. Sie waren vor zwei Jahren Sturm gelaufen gegen das Volksbegehren «Rettet die Bienen», das Naturschützer und Imker auf den Weg gebracht hatten. Nach einem langen Streit einigten sich die Bauern gemeinsam mit den Naturschützern und der grün-schwarzen Landesregierung auf das sogenannte Biodiversitätsgesetz.

Sein Ziel ist es, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Südwesten in den nächsten Jahren bis zur Hälfte zurückzufahren. Außerdem soll der Anteil des Ökolandbaus im selben Zeitraum auf 30 bis 40 Prozent wachsen. Von 2022 an sollen Pestizide in Naturschutzgebieten verboten werden. Das neue Insektenschutzgesetz könnte wichtige Teile dieses Kompromisses nach Ansicht von Bauern und Agrarminister hinfällig machen.

© dpa-infocom, dpa:210210-99-381899/3