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Neue Bundesregierung
Nachtragsetat: Opposition spricht von Haushaltstricks

Lindner
Bundesfinanzminister Christian Lindner am Freitag während einer Pressekonferenz in Berlin. Foto: Michael Sohn/POOL AP/dpa
Kabinett
Die neue Regierung bei der konstituierenden Kabinettsitzung vergangene Woche im Bundeskanzleramt. Foto: Fabrizio Bensch/Reuters/Pool/dpa
Um mehr in Zukunftsfelder investieren zu können, will die neue Bundesregierung nicht genutzte Mittel im Haushalt umschichten. Die Union reagiert mit scharfer Kritik.

Berlin (dpa) - Das Bundeskabinett hat am Montag einen umstrittenen Nachtragshaushalt für milliardenschwere Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung auf den Weg gebracht.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte am Montag in Berlin: «Das ist ein Signal unserer Handlungsfähigkeit und es ist Ausdruck von Gestaltungswillen.» Weil dafür Mittel umgeschichtet werden, sind die Pläne umstritten.

Die Union nannte sie verfassungsrechtlich bedenklich und sprach von Haushaltstricks. Der Bundestag muss noch zustimmen, die erste Beratung ist am Donnerstag geplant. Zusätzliche Schulden sind nicht geplant.

Lindner setzt eine Vorgabe des Koalitionsvertrags um. Konkret plant die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP, dass der Energie- und Klimafonds um rund 60 Milliarden Euro aufgestockt wird - und zwar mit Mitteln, die als Kredite bereits genehmigt waren, in diesem Jahr aber nicht mehr gebraucht werden. Details wurden nicht genannt.

In der Corona-Krise hatte der Bund von einer Ausnahmeregel der im Grundgesetz verankerten Schuldenregel Gebrauch gemacht, um mit umfassenden Milliardenmitteln Folgen für Firmen und Jobs abzufedern. Die Schuldenbremse, die nur eine geringe Neuverschuldung zulässt, soll aber ab 2023 wieder gelten. Die Bundesregierung hatte umfassende Corona-Hilfen für die Firmen vorgesehen - die Wirtschaft ist aber insgesamt wieder auf Wachstumskurs, obwohl einige Branchen wie das Gastgewerbe und der Einzelhandel von der Pandemie weiter belastet sind.

Lindner sagte, der Fonds werden dann mit rund 76 Milliarden Euro gefüllt sein. In der Pandemie seien viele Investitionen nicht oder nicht im geplanten Maße getätigt worden, heißt es im Entwurf des Nachtragshaushalt. Die zusätzlichen Mittel für den Fonds sollen laut Lindner etwa für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft genutzt werden sowie zur Entlastung bei den Stromkosten. Die Koalition plant, ab 2023 die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis zu beenden. Die EEG-Umlage finanziert den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) erklärte, die Transformation der deutschen Volkswirtschaft sei eine der größten strukturellen Aufgaben unserer Zeit und werde ein Marathonlauf: «Wir können mit den Mitteln Investitionen hebeln, bei denen wirtschaftliche Erholung und Klimaschutz Hand in Hand gehen.»

Die Regierung hält ihr Vorgehen beim Nachtragshaushalt für verfassungskonform, wie auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte. Daran gibt es allerdings erhebliche Zweifel. So erklärte der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats, es widerspreche der Intention der Schuldenbremse und es berge «erhebliche verfassungsrechtliche Risiken», die derzeit geltende Ausnahmeklausel dafür zu nutzen, nicht krisenbezogene Maßnahmen zu finanzieren oder vorzufinanzieren.

"Hässlicher Sündenfall"

Der Wirtschaftsrat der CDU kritisierte, die «Vorratsverschuldung» widerspreche dem Geist der Schuldenbremse fundamental. «Hier werden nicht mehr Krisenmaßnahmen finanziert, sondern einfach die teuren Ampel-Pläne der nächsten Jahre vorfinanziert», sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der Deutschen Presse-Agentur: «Das sind keine lässlichen kreativen Tricks, sondern ein hässlicher Sündenfall zum Start der Ampel.»

Die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse gelte coronabedingt. Die Mittel, die unter diese Klausel fallen, müssten aber auch im direkten Zusammenhang mit der entsprechenden Notlage genutzt werden, so Steiger. Es entstehe der Eindruck, dass die Schuldenbremse ausgehöhlt werden solle. Der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Sebastian Brehm, warf Lindner vor, in sein neues Amt mit einer «zutiefst unseriösen» Haushaltspolitik zu starten. CSU-Generalsekretär Markus Blume sprach von einem skandalösen und verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, sagte, die neue Regierung baue den bereits bestehenden Klimafonds zu einem gigantischen Schuldenfonds aus. Dieser Vorgang sei verfassungsrechtlich bedenklich.

Der Bundestag hatte im April einen ersten Nachtragshaushalt für 2021 beschlossen. Zur Finanzierung von Belastungen in der Pandemie nahm der Bund 60 Milliarden Euro Kredite mehr auf als geplant, insgesamt sind es für dieses Jahr 240 Milliarden Euro neue Schulden.

Lindner sagte, er erwarte, dass im weiteren Haushaltsvollzug möglicherweise weniger Kredite aufgenommen werden müssten als ursprünglich geplant. Für das kommende Jahr ist nach dem Entwurf der schwarz-roten Vorgängerregierung eine Nettokreditaufnahme von 99,7 Milliarden Euro vorgesehen. Erneut soll 2022 die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden - ab 2023 soll sie aber wieder eingehalten werden.

© dpa-infocom, dpa:211213-99-363693/4

Koalitionsvertrag