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Eine Magierin der Empfindungen

Zu Gast in der Liederhalle: Beatrice Rana.Foto: Warner Classic/Simon Fowler/p
Zu Gast in der Liederhalle: Beatrice Rana. Foto: Warner Classic/Simon Fowler/p
Beatrice Ranas furioser Klavierabend mit Chopin, Debussy und Strawinsky

Stuttgart. Seit Beatrice Rana als 17-Jährige 2010 den Arturo Michelangelo Benedetti Preis der Piano Academy in Eppan gewann, zählt die Italienerin zu den gefragtesten Pianistinnen ihrer Generation. In der New Yorker Carnegie Hall, in der Londoner Royal Albert Hall und vielen Konzertsälen in aller Welt ist sie schon aufgetreten, ebenso als Solistin mit den renommiertesten Orchestern und Dirigenten. Im kommenden Jahr wird sie bei den Sommerfestspielen in Baden-Baden mit dem Chamber Orchestra of Europe die beiden Klavierkonzerte von Clara und Robert Schumann interpretieren. Ihr jüngstes Recital im Beethovensaal der Liederhalle war furios: Beatrice Ranas Spiel frappierte nicht nur durch spektakuläre Virtuosität, sondern ebenso durch eigenwillig souveräne Gestaltung und überbordende Energie.

Zusammen mit Frédéric Chopins „Études“ op.25 hat die Pianistin im letzten Jahr seine vier Scherzi aufgenommen. Sie bildeten den ersten Teil des Klavierabends, und jedes der vier mehrteiligen Charakterstücke gewann in Ranas Wiedergabe ein ungeheuer eindrucksvolles Profil. Der Dissonantakkord im Diskant, die harmonische Antwort im Bass, beides mit unerbittlichem Furor in den Steinway gehämmert, sind der Auftakt zu einem erregenden Psychogramm des Scherzo h-Moll. Die grollenden Wirbel bis zum mit höchster Dynamik exekutierten Sept-Abwärtssprung in Abgründe der Verzweiflung wirken sogartig, das sechsfache Zitat eines polnischen Weihnachtslieds im Mittelteil artikuliert das Heimweh des 20-jährigen Chopin, der heimatlos aus Wien an seine Familie im zaristisch unterdrückten Polen schreibt: „Ich spüre meine Verwaistheit heftiger als je zuvor…“

Blitzartig sind die Übergänge vom perlenden Rauschen der Auf-und-abwärts-Arpeggien zum leidenschaftlichen Aufbäumen hämmernden Marcatos: auch hier, im Scherzo b-Moll, ist die traditionelle Bezeichnung klassischer dreiteiliger Sonatensätze kein Hinweis auf Witz und Humor, Beatrice Rana reizt die emotionalen Spannungen extrem aus. „Presto con fuoco“ geht sie auch das Scherzo cis-Moll an, die oktavierten Läufe in beiden Händen werden mit federnder Dynamik artikuliert, im Kontrast dazu wie kantabel, fast träumerisch die Triolen im Mittelteil. Den Überschuss an Energie nimmt sie mit in das vierte Scherzo E-Dur, das von anderen oft in die Nähe von Mendelssohn und Schumann gerückt wird. Auch hier lodert das Feuer einer dramatischen Ballade, entlädt sich ein brillantes pianistisches Feuerwerk.

„Joyeux et emporté, librément rythmé“ – glücklich und mitgerissen, frei rhythmisiert – lautet Claude Debussys Spielanweisung zur fünften seiner „Douze Études“, sie könnte auch als Motto über dem ganzen Abend stehen. Beatrice Rana bietet die Nummern eins bis sechs als schillernde Ausdrucksgesten mit lustvoller Exzentrik. Bei den superschwierigen „Trois mouvements de Petrouchka“, die Igor Strawinsky aus seinem 1911 uraufgeführten Ballett zehn Jahre später für Klavier solo arrangiert hat, wusste man nicht, was man bei Beatrice Ranas Wiedergabe mehr bewundern sollte: die atemberaubende technische Beherrschung des Steinway als Percussion-Instrument oder die raffinierte Charakterisierung der grotesken Figuren. Spektakulär!