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Grün-Schwarz steht: CDU kommt Kretschmann entgegen

Koalitionsverhandlungen von Grünen und CDU
Thomas Strobl (l, CDU) und Winfried Kretschmann (r, Bündnis 90/Die Grünen) gehen gemeinsam zu einem Pressestatement. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild
Der konservative Grüne Kretschmann wollte unbedingt wieder mit der CDU regieren. Nun hat er seinen Willen. Die CDU dankt es ihm mit weitreichenden Zugeständnissen. Doch auch die Grünen müssen wegen Geldmangels Abstriche machen - beim Klimaschutz.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Sieben Wochen nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg haben sich Grüne und CDU auf eine Neuauflage ihres Regierungsbündnisses geeinigt. Die grün-schwarze Koalition unter Führung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann will den Südwesten zum «Klimaschutzland» machen, doch der coronabedingte Geldmangel in der Landeskasse erschwert den Start. Nach ihrer Wahlschlappe musste die Union eine Reihe von Zugeständnisse machen. Kretschmann zeigte sich zufrieden mit dem Koalitionsvertrag. «Wir haben uns in allen Kernbereichen geeinigt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Es sei ein «echter Aufbruch», auch wenn man wegen der schlechten Finanzlage Abstriche machen müsse.

So sollen alle kostspieligen Vorhaben wie etwa im Klimaschutz, beim Ausbau des schnellen Internets oder mehr Polizei- und Lehrerstellen mit einem Haushaltsvorbehalt versehen und nach und nach realisiert werden. Kretschmann sagte jedoch, die erneuerbaren Energien könne das Land auch so voranbringen, etwa über die Solarpflicht bei Neubauten oder ein besseres Planungsrecht für mehr Windräder. «Der Kern der Energiewende kostet den Staat erstmal kein Geld», sagte der Grüne im dpa-Interview. Die FDP kritisierte dennoch, Grüne und CDU bildeten eine «Koalition der ungedeckten Schecks». Am Mittwoch wollen die Spitzen von Grünen und CDU den Koalitionsvertrag öffentlich vorstellen, nächsten Samstag stimmen dann Parteitage darüber ab.

Südwest-CDU wollte die Koalition unbedingt

Der bundesweit einzige grüne Regierungschef Kretschmann kann voraussichtlich am 12. Mai in seine dritte Amtszeit starten. Der 72 Jahre alte wertkonservative Politiker hatte sich vehement für eine Wiederauflage der Koalition mit der CDU stark gemacht, die bei der Landtagswahl klar unterlegen war. Dabei gab es in den Reihen der Grünen viele Stimmen für eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP. Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl gab sich die Union um Landeschef und Bundesvize Thomas Strobl größte Mühe, die Gespräche zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Dafür musste die CDU allerdings eine Reihe von schmerzhaften Zugeständnissen machen, vor allem beim Klimaschutz, in der Asyl- und Verkehrspolitik sowie beim Wahlrecht. So stimmte die CDU der Einführung einer Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen zu.

Kretschmann geht bei Ministerien auf CDU zu

Innenminister Strobl sprach trotzdem von einer «Koalition, die ihrer Zeit voraus sein will». Kretschmann schloss derweil nicht aus, ein weiteres Ministerium zu schaffen. «Möglich ist alles», sagte der Grüne. Ein weiteres Ressort belaste den Haushalt nicht besonders. Auf diese Weise könnten die Grünen sechs Fachministerien besetzen und die CDU fünf. Ansonsten hätte es ein Verhältnis von 6:4 gegeben.

Grün-Schwarz muss Abstriche und Stufenpläne machen

Grüne und CDU einigten sich wegen des finanziellen Engpasses im Haushalt auf einen Stufenplan für ihre politischen Vorhaben. Erste Priorität hat demnach das Sofortprogramm, mit dem die Corona-Folgen für Schulen, Kunst und Kultur sowie den Einzelhandel in den Innenstädten abgefedert werden sollen. Das genaue Volumen solle erst nach der Regierungsbildung und der Steuerschätzung am 12. Mai festgelegt werden. Das Paket soll aber dem Vernehmen knapp 100 Millionen Euro schwer sein.

Die Zeiten des «fröhlichen Geldausgebens» seien ansonsten vorbei, hieß es in Grünen-Kreisen. Nach den jüngsten Prognosen fehlen in den nächsten drei Jahren jeweils etwa vier Milliarden Euro. Deshalb wollen Grüne und CDU in einem weiteren Schritt im Laufe des Jahres vor allem ordnungspolitische Maßnahmen angehen, die das Land zunächst kaum Geld kosten. Neben Solarpflicht und Windkraft will die neue Regierung die rechtliche Grundlage dafür schaffen, dass Kommunen eine Nahverkehrsabgabe einführen können. Dann können Kommunen entscheiden, ob sie alle Einwohner oder nur die Autofahrer zur Kasse bitten, um das Angebot von Bussen und Bahnen ausbauen zu können.

Daneben sollen die Arbeiten an der Reform des Wahlrechts beginnen. Es soll künftig ähnlich wie im Bund ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geben. Grüne und CDU wollen außerdem ein Antidiskriminierungsgesetz für Baden-Württemberg aufsetzen. Es soll Benachteiligungen wegen der Hautfarbe und anderer Merkmale verhindern. Die Grünen setzten auch durch, dass gut integrierte Flüchtlinge künftig schwieriger abgeschoben werden können.

Drohen fünf Jahre Koalitionsverhandlungen?

Wie viel Geld tatsächlich in weitere kostspielige Vorhaben wie den Klimaschutz, den Ausbau des schnellen Internets oder weitere Stellen bei Polizei und Schulen fließt, soll erst später geklärt werden, wie es hieß. Da wird es immer aufs Neue bei der Aufstellung des Haushalts Verhandlungen geben müssen. Das birgt Konfliktpotenzial für die kommende Legislaturperiode, da die Partner auch unterschiedliche Prioritäten haben. So dringen die Grünen auf kräftige Investitionen in den Klimaschutz, während die CDU auf mehr Polizeistellen pocht.

Die Grünen wollten ursprünglich 200 Millionen Euro pro Jahr für Klimaschutz in die Hand nehmen. Damit sollten insbesondere die Planung für kommunale Wärmenetze gefördert, landeseigene Gebäude saniert und klimaneutrale Wohnquartiere unterstützt werden. Kretschmann räumte ein, dass es bei der Gebäudesanierung und im Wärmesektor schwierig werde. «Wenn man jetzt eine Sanierungsoffensive bei Gebäuden machen will, das kostet natürlich. Das geht dann nur entsprechend der Mittel, die man hat.»

Der Umweltverband BUND ist damit unzufrieden. Die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch verwies auf das Karlsruher Urteil in dieser Woche, wonach der Kampf gegen den Klimawandel stark beschleunigt werden müsse. «Wir fordern die Landesregierung auf, Klimaschutz mutig anzupacken und nicht unter Vorbehalt zu stellen.»

Bei Maut dreht CDU bei

Nach anfänglichem Widerstand ließ sich die CDU auch darauf ein, eine Mautpflicht für Lastwagen ab 7,5 Tonnen auf Landes- und Kommunalstraßen einzuführen. Bisher gibt es die Lkw-Maut nur für die Nutzung von Autobahnen und Bundesstraßen. Grün-Schwarz will sich zunächst dafür einsetzen, dass die Maut bundesweit kommt. Sollte dies nicht gelingen, soll sie nur im Land eingeführt werden. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte, die CDU habe «nun auch ihre letzte Bastion geräumt und ist auch noch bei der Einführung einer Lkw-Maut auf Landes- und Bundesstraßen umgefallen».

© dpa-infocom, dpa:210501-99-427699/6