1. Startseite
  2. Überregionales
  3. Stuttgart & Südwest
Logo

In der Kippa-Debatte warnt Hochschulchef vor Überreaktionen

Kippaträger
Ein Mann trägt eine Kippa auf dem Kopf. Foto: Uli Deck/Archiv
Ratschläge könnten in der Debatte um die Kippa leicht bevormundend wirken. Das meint ein Experte für das Judentum. Er sieht im individuellen Engagement den Schlüssel für friedliches Zusammenleben.
Heidelberg.

Heidelberg (dpa/lsw) - Der Leiter der Hochschule für jüdische Studien, Johannes Heil, sieht öffentliche Appelle zum Umgang mit der Kippa kritisch. «Die Empfehlung, in bestimmten Gebieten die religiöse Kopfbedeckung nicht zu tragen, ist genauso wenig hilfreich wie die Aufforderung zum symbolischen Kippatragen an alle», sagte Heil der Deutschen Presse- Agentur. Zwar seien die Ratschläge gut gemeint. «Juden brauchen aber keine Verhaltensregeln für ihre Lebenspraxis.» Damit reagierte er auf den Rat des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, die Kippa in bestimmten Gebieten aus Sicherheitsgründen abzunehmen, sowie auf die Ermutigung von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), sie überall zu tragen.

Die Kippa ist eine kleine kreisförmige Mütze. Sie wird von jüdischen Männern als sichtbares Zeichen ihres Glaubens traditionell den ganzen Tag lang getragen. Die von Heil geleitete Hochschule feiert an diesem Montag in Heidelberg ihr 40-jähriges Bestehen.

Der Beauftragte Klein verkennt nach Überzeugung Heils, dass das Tragen der Kippa für manche Juden religiöse Pflicht ist, von der nicht abgewichen werden kann. Wenn jüdische Männer die Kippa zu ihrem eigenen Schutz wegstecken müssten, sei das ein Armutszeugnis für Deutschland. Auch das demonstrative Zeigen der Kopfbedeckung - zum Teil auch von Nicht-Juden als Symbol der Solidarität - gehe ihm zu weit. «Der Aktivismus aus beiden Richtungen kann von jüdischer Seite als Übergriff empfunden werden.»

Allerdings sei die Situation der Juden in Deutschland schwieriger geworden. «Mit dem Aufstieg einer populistischen Partei wie der AfD ist der gesamtgesellschaftliche Konsens gegen jegliche Form der Ausgrenzung brüchig geworden», meint Heil. Das gelte nicht nur für die AfD in Deutschland. «Unbeschwert ist es für Juden und jeden, der auf eine tolerante Gesellschaft angewiesen ist, gerade in keinem europäischen Land.»

Ein Gegensteuern hält Heil vor allem auf individueller Ebene für notwendig: Jeder sei gefordert, antisemitischen und fremdenfeindlichen Aussagen entgegenzutreten - sei es im Bus, in Geschäften, Kneipen oder Gemeinderäten. «Man darf nicht die Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf den Staat schieben, sondern muss intervenieren, wenn eine rote Linie überschritten wird.» In einem Klima des Weghörens und Wegsehens fühlten sich Menschen legitimiert, Brandsätze gegen Synagogen oder Flüchtlingsheime zu werfen.

Die Hetze gegen Ausländer und Juden habe durch das Internet stark zugenommen. »Der böse alte Stammtisch hat sich globalisiert.» Durch die neuen Medien hätten Parteien und Bewegungen wie AfD und Pegida ein Medium zur großen Verbreitung ihrer fremden- und judenfeindlichen Propaganda erhalten. Deshalb gelte es, auch dort Gegenforen aufzubauen, sagt der Vater von drei Töchtern.

Heil leitet seit fast sechs Jahren die 1979 gegründete Hochschule in Heidelberg. Zur Feier des 40-jährigen Bestehens werden als Gäste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erwartet. An der vom Zentralrat getragenen Hochschule sind derzeit 130 Studierende eingeschrieben, davon jeder zweite aus dem Ausland. Die Mehrheit ist nicht jüdischen Glaubens. Nach Angaben von Heil bieten die Heidelberger das größte und vielfältigste Studienangebot in Europa, noch vor dem Oxford Centre for Hebrew and Jewish Studies.

Prof. Johannes Heil