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Webers unmögliche Mission?
Nach der Europawahl: Wer nun Kommissionschef werden könnte

Manfred Weber
Manfred Weber will Chef der mächtigen EU-Kommission werden. Foto: Peter Kneffel
Die Christdemokraten haben bei der Europawahl deutliche Verluste erlitten. Dennoch meldet CSU-Politiker Manfred Weber Anspruch auf einen Topjob in der EU an. Wie realistisch ist das?

Brüssel (dpa) - Es muss eine kurze Nacht für Manfred Weber gewesen sein. Doch der wenige Schlaf ist ihm nicht anzumerken. Nur ein paar Stunden nach dem historisch schlechten Abschneiden der Union und den Einbußen seiner EVP gibt sich der CSU-Politiker am Montagmorgen selbstbewusst.

Strahlender Gewinner sei seine christdemokratische Parteienfamilie bei der Europawahl zwar nicht geworden. Er sehe jedoch einen «Führungsanspruch, den die EVP, den die Europäische Volkspartei hat», sagt er vor einer CSU-Vorstandssitzung in München.

Der Führungsanspruch gilt vor allem für Weber selbst. Er will Chef der mächtigen EU-Kommission werden. Bereits am Montagabend wollte er deshalb mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen über ein künftiges Bündnis im Parlament sprechen. Vor allem Grüne und Liberale dürften nach ihrem Höhenflug bei der Wahl mit breiter Brust in die Gespräche gehen. Die Europäische Volkspartei (EVP) hingegen fuhr mit Weber als Spitzenkandidat ein schlechtes Ergebnis ein und verliert rund 35 Sitze. Dennoch bleibt sie die stärkste politische Kraft im Parlament.

Gegen wen wird sich der Bayer nun behaupten müssen? Und hat er eine realistische Chance auf die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker?

Offensichtlichster Gegenspieler ist der Niederländer Frans Timmermans, der für die europäischen Sozialdemokraten als Spitzenkandidat angetreten war. Allerdings hat seine Parteienfamilie noch mehr Sitze verloren als die EVP. Entsprechend «bescheiden» gab sich Timmermans in der Wahlnacht. Inhalte sollten vor Posten kommen.

Weniger modest trat die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf. In der Wahlnacht sagte sie erstmals deutlich, dass sie Kommissionspräsidentin werden will.

Weber, Timmermans, Vestager - damit es einer von ihnen wird, müssten sich zunächst einmal die EU-Staats- und Regierungschefs darauf einigen. Denn sie haben das offizielle Vorschlagsrecht. Anschließend muss das Parlament mehrheitlich zustimmen.

Sven Giegold, der als Spitzenkandidat der deutschen Grünen bei der Wahl angetreten war, stellt am Montag gleich mal klar, dass seine Partei Vorschläge von Kanzlerin Angela Merkel und ihren Kollegen nicht einfach so abnicken wird: «Wir wollen, dass es ein Spitzenkandidat wird.» Kandidaten, die bisher immer wieder als Alternativ-Kandidaten genannt wurden, wären somit raus. Der Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, etwa, oder der niederländische Premier Mark Rutte.

Kurz bevor er zurück nach Brüssel fliegt, lässt Weber am Montagmorgen noch ein wenig die Muskeln spielen. Seine Parteienfamilie werde niemanden zum Kommissionschef wählen, der nicht vorher Spitzenkandidat war. Und ohne EVP wird es keine robuste Mehrheit im Parlament geben. Damit kommt realistischerweise nur Weber selbst infrage.

Schon an diesem Dienstag kommen die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Gipfel zusammen, um über die Postenvergabe zu beraten. Dort unterscheiden sich die Mehrheiten von denen im Parlament. Vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron sieht Weber äußerst kritisch. Im für ihn besten Fall präsentiert Weber dann also schon eine starke Mehrheit.

Bereits bei der Organisation der von Weber geplanten Gespräche für Montagabend lief allerdings nicht alles glatt. Am Abend wurde nicht ausgeschlossen, dass sie erst am Dienstagmorgen stattfinden würden. Anschließend war bereits das nächste Treffen mit Parlamentspräsident Antonio Tajani sowie den Fraktionschefs angesetzt für Dienstagvormittag.

Noch komplizierter wird die ganze Sache dadurch, dass nicht nur der EU-Kommissionschefsessel zu vergeben ist, sondern noch vier weitere EU-Topjobs: Die Nachfolge von EU-Ratschef Donald Tusk, des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini sowie des EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani, deren Amtszeiten allesamt enden. Von etlichen Seiten hieß es in Brüssel bereits, die Posten seien eigentlich nur im Paket zu klären. Dabei müsste eine feine Balance zwischen Nord, Süd, West und Ost, zwischen den Parteienfamilien sowie Geschlechterparität gefunden werden.

Hinzu kommt: Merkel hatte ihre Unterstützung für Weber bislang eher halbherzig gezeigt. Fraglich ist nun auch, wie sehr sie sich für den CSU-Mann verkämpft. Oder ob sie unter Umständen bereit ist, auf einen deutschen EU-Kommissionspräsidenten zu verzichten - im Gegenzug etwa für einen möglichen EZB-Präsidenten Jens Weidmann, der bislang Chef der Bundesbank ist, und dem immer wieder Ambitionen nachgesagt werden. Merkels Wort hat im Kreis der Staats- und Regierungschefs und darüber hinaus zwar nach wie vor Gewicht, allein wird sie aber keinen der Kandidaten durchsetzen können. Entscheidend könnte sein, ob Merkel und Macron eine gemeinsame Linie finden.

Sollte es zwischen den Staats- und Regierungschefs sowie dem Parlament keinen Konsens geben, droht eine monatelange Blockade. Kein Wunder, dass Weber während der Pressekonferenz in München im Kopf schon woanders ist: Im Moment sei er «hauptsächlich mit Brüsseler Gedanken beschäftigt».