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Analyse
Von der Leyen nach Brüssel - Wackelt nun die Koalition?

Kabinettssitzung
Entspannt: Ursula von der Leyen, noch Bundesverteidigungsministerin, vor der Sitzung des Bundeskabinetts. Foto: Kay Nietfeld
Die Überraschungs-Personalie «vdL» bringt in der Bundesregierung einiges durcheinander. Vor allem die SPD ist mal wieder auf dem Baum. Doch hat das tatsächlich Nachwirkungen?

Berlin (dpa) - Ist es nur Theaterdonner? Oder steht die große Koalition eineinviertel Jahre nach ihrem Wackelstart und kurz vor der Sommerpause schon wieder auf der Kippe?

Teile von SPD und Union beharken sich am Mittwoch nach dem Coup um den geplanten Wechsel von Ursula von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission, als ob sie ärgste politische Feinde wären - und nicht gemeinsam dafür sorgen wollten, das Land nach vorne zu bringen.

Zugleich tagt im Kanzleramt das Kabinett, als ob rein gar nichts passiert wäre. Eine nach den Marathonverhandlungen erstaunlich ausgeruht wirkende Kanzlerin begrüßt ihre Regierungsriege. Angela Merkel lächelt in die Runde, eine ziemlich strahlende Verteidigungsministerin wird beglückwünscht, auch mal geherzt. Wie von der Leyen mit SPD-Familienministerin Franziska Giffey und Gesundheits-Kollege Jens Spahn (CDU) zusammensteht, wirkt eher wie traute Runde als eine Regierung kurz vor dem Auseinanderbrechen.

Dabei rauscht fast zur gleichen Zeit erneut ein Sturm durch das politische Berlin. Seitens der SPD sind es allerdings nicht die Amtsträger, die das verbale Gegeneinander auf Touren bringen.

SPD-Leute aus Brüssel und den Ländern sehen die Demokratie beschädigt, weil nach dem Brüsseler Kompromiss nicht die Spitzenkandidaten Manfred Weber und Frans Timmermans zum Zuge kommen. Am lautesten poltert Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel: Er sieht sogar einen Grund für die in Umfragen weiterhin darbenden Sozialdemokraten, die Regierung zu verlassen.

In der CDU sind sie einigermaßen konsterniert über die lautstarke Empörung aus Teilen der SPD. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kontert, immerhin sei die Union samt Weber bereit gewesen, zugunsten des Sozialdemokraten Timmermans und der Spitzenkandidaten-Idee zurückzustecken. Dabei mache die SPD nun «deutlich, dass es ihr am Ende um das eigene parteipolitische Interesse geht. Nicht um Europa, und auch nicht um die Interessen Deutschlands».

Doch Gabriel bleibt mit seinem radikalen Ruf nach einem SPD-Ausstieg aus der Koalition erstmal allein. Zwar hatte die Brodelei in der SPD schon am Dienstagabend begonnen: Die kommissarischen Parteichefs Malu Dreyer, Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig machten schnell klar: Mit Hinterzimmer-Kungelei statt dem Spitzenkandidaten-Prinzip werde das nichts mit einer demokratischeren, glaubwürdigeren EU.

Doch so schnell die Emotionen bei den Sozialdemokraten hochkochen, so schnell kühlen sie auch wieder runter. Ärgerlich, ja. Aber für die Koalition sei die Situation nicht existenzbedrohlich, heißt es rasch im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale. Für eine Kernschmelze in der Regierung müssen schon andere Dinge passieren - zumal sich Merkel bei der Nominierung von der Leyens ja enthalten hat. Damit dürfte sie den Koalitionsfrieden gewahrt haben, wird signalisiert.

Die SPD-Spitze hat ja zur Zeit auch andere Sorgen. Erst mal muss ein neuer Parteichef her - oder eine Doppelspitze. Eine nur kommissarische Parteiführung dürfte kaum derart schwerwiegende Entscheidungen wie einen Bruch der großen Koalition verantworten wollen. Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel haben selbst keine Ambitionen auf die Parteispitze, stehen vor allem deshalb gerade obenan, weil sie absolutes Chaos im Umbruch verhindern wollen.

In der Union ist der Tag danach auch ein Tag der Spekulationen. Wer rückt für von der Leyen am Kabinettstisch nach? Es laufe wohl auf den jungen Gesundheitsminister Jens Spahn zu, meinen die einen. Schon seit Wochen wird sein Name genannt, wenn über einen Umbau der schwarzen Seite des Regierungsteams geraunt wird. Seine Aufgaben aus dem Koalitionsvertrag habe er weitgehend abgearbeitet. Sollte er auf dem «Feuerstuhl» Verteidigungsminister reüssieren, könne ihn das für noch höhere Aufgaben auszeichnen, hoffen seine politischen Freunde.

Glaubt man Unionsstimmen hinter vorgehaltener Hand, können sich aber auch CDU-Verteidigungsexperten wie Johann Wadephul und Henning Otte Hoffnung auf einen Wechsel ins Kabinett machen. Der ehemalige CDU-Generalsekretär und Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber wird auch genannt, genau wie der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer. Er könnte zum Zug kommen, falls die Kanzlerin aus Proporzgründen nach dem Weggang der Hannoveranerin von der Leyen wieder einen Niedersachsen im Kabinett haben möchte.

Doch noch ist offen, ob Deutschland tatsächlich erstmals seit Walter Hallstein in den 1950er und 1960er Jahren wieder den mächtigen Posten des Kommissionspräsidenten besetzen kann. Erst Mitte Juli wird wohl die Abstimmung über die Personalie «vdL» im Europaparlament sein. Bis dahin, heißt es in der Union, solle die Entscheidung über die Nachfolge im Kabinett auf alle Fälle aufgeschoben werden - um niemanden vorzeitig zu verbrennen, wird zur Begründung gesagt.

Für die CSU ist das Ergebnis des Brüsseler Machtkampfs vor allem schwierig, weil der eigene Spitzenkandidat Weber demontiert wurde. Der Zorn vor allem an der Parteibasis ist groß. «Weber wäre der legitime Kommissionspräsident gewesen», klagt CSU-Chef Markus Söder: «Der klassische Sieg des Hinterzimmers über die Demokratie.» Dennoch muss Söder die Entscheidung mittragen, wohl oder übel. «Aus Vernunftgründen», sagt er.

Der Zorn richtet sich in der CSU auch gegen die Kanzlerin. «Merkel hat uns verraten», twittert ein Landtagsabgeordneter. In der Parteispitze glaubt man allerdings nicht, dass das Verhältnis zur Schwesterpartei CDU nachhaltig leiden wird. «Mein Eindruck ist, dass die Bundeskanzlerin sich da schon Mühe gegeben hat», sagt Söder. Dass die SPD so gegen die Personalie von der Leyen austeile, sei dagegen «eine echte Belastung für die Koalition». Kaum einer wagt eine Prognose, ob das tatsächlich noch lange gut geht mit der SPD in Berlin.

Nur eines stellt Söder klar, weil von der Leyens Berliner Posten ja nun nachbesetzt werden muss: dass die CSU ihre Ministerien - Innen, Verkehr und Entwicklung - nicht hergibt.