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Analyse
Italien und die Qual der Wahl

Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella
Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella spricht im Quirinalspalast in Rom. Foto: Alessandra Tarantino/AP
Der Polit-Zirkus in Rom zeigt vor allem eines: Den meisten Politikern geht es um den Selbsterhalt und die eigene Macht. Staatspräsident Sergio Mattarella hat die Wahl zwischen zwei denkbar schlechten Optionen.

Rom (dpa) - Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella ist nicht zu beneiden. Das mag sich auch sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier gedacht haben, als er Mattarella am Wochenende in Italien besuchte.

Schließlich war auch Steinmeier vor zwei Jahren in Deutschland nach dem Scheitern einer Jamaika-Koalition in einer ähnlichen Situation: Eine Neuwahl verhindern und ein labiles Regierungsbündnis bevorzugen, das unter keinem guten Stern steht?

Diesen Mittwoch ist D-Day in Rom: Mattarella muss entscheiden, wer nach dem Zerbrechen der Populisten-Allianz aus der rechten Lega von Matteo Salvini und der Fünf-Sterne-Bewegung das wirtschaftlich schwächelnde Land aus der Krise führt. Ist es eine alternative Regierung aus Sozialdemokraten (PD) und Sternen? Oder ist doch nur eine Neuwahl möglich?

Nicht alle scheinen den Ernst der Lage erkannt zu haben. Bei den Drehungen und Wendungen des römischen Sommertheaters kann einem nur schwindelig werden. Heute steht ein möglicher Pakt zwischen Sternen und PD vor dem Aus, morgen ist er in greifbarer Nähe. Hier droht der eine mit dem Abbruch der Verhandlungen, der andere sieht sie auf dem richtigen Weg. Unter Journalisten geht bereits der Witz um: Die einzige Gewissheit dieser Krise sei, dass Mattarella auch morgen noch Präsident ist.

Der ruhige Herrscher auf dem Quirinalshügel hat die Qual der Wahl. Soll er eine neue, aber vermutlich ähnlich instabile Regierung wie die Vorgängerallianz ernennen? Einen Vorgeschmack auf das, was dann kommen könnte, lieferten die Streitereien der vergangenen Tage. Die Parteien werfen sich gegenseitig «Sesselkleberei» und «Postengeschacher» vor - um einen konkreten Plan, wie man regieren will, gehe es nicht. «Wir arbeiten intensiv daran, um den Bürgern sofort Antworten zu geben. (...) Aber bei den Sozialdemokraten haben sie diffuse Ideen. Sie wollen Diskontinuität, aber sie sprechen nur über Postenverteilung und über Minister», empörten sich die Sterne am Dienstag.

Dabei geriet der Protestbewegung aus dem Blick, dass sie in derselben Mitteilung um den wichtigsten Posten schachert: Den des Regierungschefs. Die Sterne beharren auf ihrer «Perle» Giuseppe Conte, dem parteilosen Anwalt, der in der vergangenen Woche seinen Rücktritt eingereicht hatte. Sollten die Sozialdemokraten Conte nicht akzeptieren, wollten die Sterne gar nicht mehr weiterverhandeln.

PD-Chef Nicola Zingaretti war zwar noch am Montag «optimistisch», dass es zu einer Einigung kommt. Fraglich ist aber, ob er wirklich an eine haltbare Koalition glaubt. «Wir wollen nicht enden wie die vorherige Regierung», sagte er.

Diese Gefahr besteht durchaus. Kaum einer glaubt, dass eine «gelb-rote» Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 an der Macht bleiben kann. Zu unterschiedlich sind die Parteien. Die Sterne haben den Protest gegen die Institutionen quasi in ihrer DNA, die Sozialdemokraten stehen aber genau für das Establishment und die verhasste Elite.

Auch beim Thema Europa liegen die Meinungen weit auseinander. Die Sozialdemokraten sehen sich fest verankert in der EU. Die oft irrlichternden Sterne schwanken in ihrer Meinung, sind aber von jeher europakritisch. Doch Ängste eines «Italexit» würden bei einer Regierung mit PD-Beteiligung rasch beruhigt.

Beim Thema Migration braucht es dringend Verhandlungen mit Staaten wie Deutschland und Frankreich, die sich für einen Verteilmechanismus von Bootsflüchtlingen einsetzen. Mit den Sozialdemokraten wäre dies sicher einfacher als mit der rechten Lega. Aber die Sterne waren in ihrer Regierungszeit im Windschatten der Lega am extrem rechten Rand mitgesegelt. Wer weiß, wie sie sich nun mit den linken Kräften positionieren.

Gemeinsam haben die Parteien jedoch, dass sie bei einer Neuwahl beide in der Opposition landen könnten. Denn nach Umfragen würde eine Rechtsallianz mit Salvini an der Spitze eine Wahl im Herbst gewinnen. Der sendet derweil konstant Störfeuer, wettert gegen eine mögliche linke Regierung, die nur Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron hinterherlaufe. Gleichzeitig hat er sich - aus Angst, selbst in der Opposition zu landen - auch einer Neuauflage der Unglückskoalition mit den Sternen nicht verschlossen. Eines der wildesten Gerüchte dieses Sommers lautete, dass die Lega sogar Sterne-Chef Luigi Di Maio als Premier akzeptieren würde, um gemeinsam weiterregieren zu können.

Mattarella könnte allerdings auch einen Schlussstrich unter das Hickhack ziehen und eine Neuwahl ausrufen. Dann allerdings würden die nächsten Wochen von einem bitteren Wahlkampf geprägt. Aber Italien muss bis Ende des Jahres das wichtige Haushaltsgesetz verabschieden. Das hat auch für Europa Bedeutung, denn das Land ist hoch verschuldet und im Dauerstreit über die Neuverschuldung mit der EU.

Zudem müsste Italien eigentlich derzeit einen Kandidaten für einen Posten in der EU-Kommission ernennen, wenn es einen wichtigen Kommissar haben will. Doch angesichts der Regierungskrise hat Rom in Brüssel bereits um Aufschub gebeten.

Mattarella mag sich die deutsche Krise vor zwei Jahren ins Gedächtnis rufen: Steinmeier warb damals intensiv für eine Fortsetzung der großen Koalition aus CDU und SPD. Das Ergebnis war der weitere Sinkflug der SPD. Steinmeier hatte der deutschen Demokratie Gutes tun wollen - aber womöglich das Gegenteil erreicht. Bald wird sich zeigen, welchen Weg Mattarella einschlägt.

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